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Wien - In einem versteckten Winkel des Uni-Campus am Alten AKH in Wien ragt der kreisrunde Narrenturm in die Höhe, im Volksmund "Gugelhupf" genannt. Der Reformkaiser Joseph II. ließ ihn 1784 errichten, um darin eine bis dahin einzigartige Einrichtung unterzubringen: Eine Anstalt ausschließlich zur Behandlung geisteskranker Menschen. Bis ins 19. Jahrhundert wurden "Narren" (so die damalige Diktion) auf fünf Stockwerken mit jeweils 28 Zellen festgehalten, kontrolliert von Ärzten und Schwestern im zentralen Teil des Rundbaus. Am Dach befand sich ein Oktagon - was die Legenden anheizte, dass die Konstruktion einer alchemistischen Zahlenmystik folge.

Foto: APA/Schlager

Kurz nach dem Bau des Narrenturms begann auch die Sammlung der pathologisch-anatomischen Exponate, die sich seit Anfang der 1970er-Jahre ebendort befindet. Skelette von missgebildeten Menschen, in Formaldehyd eingelegte, von Krankheiten zerfressene Organe und Körperteile sowie Wachspräparate von den verschiedensten körperlichen Deformationen bilden heute ein gruseliges Kabinett medizinischer Sonderfälle.

Foto: NHM Wien

Anfang 2012 wurde das ehemalige Pathologisch-anatomische Bundesmuseum in das Naturhistorische Museum Wien (NHM) eingegliedert. Ende vergangenen Jahres begannen dann mithilfe von 1,6 Millionen Euro aus dem Kulturministerium die Sanierungsarbeiten an dem denkmalgeschützten Turm: Zuerst werden die Innenhoffassaden renoviert und Büros, Arbeitsräume und sanitäre Einrichtungen integriert.

Foto: NHM

Mitte nächsten Jahres soll die Außenfassade restauriert werden. Es werde jedoch "noch einige Jahre" dauern, bis auch die Ausstellung rundum erneuert präsentiert werden kann, sagte NHM-Direktor Christian Köberl bei einer Baustellenführung am Donnerstag. Derzeit sind die Wissenschafter des NHM damit beschäftigt, den Bestand, der immer wieder erweitert wurde, zu evaluieren und zu systematisieren.

Foto: NHM Wien

Die Sammlung ist mit 50.000 Exponaten die weltweit größte dieser Art. "Sie ist wissenschaftlich ungeheuer wertvoll", sagt Maria Teschler-Nikola, die Leiterin der NHM-Abteilung für Anthropologie, der die Sammlung nun zugeordnet ist. Die Präparate dienen etwa der Erforschung von Mutationen bei Krankheitserregern. "Wir können die Entwicklung von Syphilis, Tuberkulose oder Rachitis zurückverfolgen", gibt Teschler-Nikola ein Beispiel. Aber auch Mineralisationsstörungen bei Knochen werden analysiert.

Foto: NHM Wien

Parallel zu den Restaurierungsarbeiten soll ein Forschungsprojekt die ursprüngliche Gebäudestruktur des frühklassizistischen Architekturjuwels zutage bringen. Dann kann entschieden werden, ob einige der vielen Umbauten im Lauf der wechselvollen Geschichte der Anlage rückgebaut werden. Nachdem die Einrichtung aufgelassen wurde, stand der Narrenturm lange leer. Später wurden in den ehemaligen Zellen Krankenschwestern einquartiert. Auch für Ärztedienstwohnungen, als Werkstatt und Depot für Uni-Kliniken wurde der Bau genutzt.

Foto: Kurt Kracher, NHM Wien

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Der Narrenturm birgt noch einige Überraschungen, nicht nur was das im Studentenjargon als "Sammlung der Grauslichkeiten" bezeichnete Museum betrifft: Auf dem Dachfirst wurde etwa eine der ältesten Blitzschutzanlagen der Welt installiert. Reaktiviert werden soll außerdem die zur Zeit der Errichtung fortschrittliche Belüftungsanlage. Die Sanierungsarbeiten werden den Museumsbetrieb nicht einschränken. (kri, derStandard.at, 26.9.2013)

Foto: APA/Schlager

Pathologisch-anatomische Sammlung im Narrenturm des NHM, 1090 Wien, Spitalgasse 2, Uni-Campus Altes AKH, Hof 6. Öffnungszeiten: Mittwoch 10 bis 18, Samstag 10 bis 13 Uhr.

Link

NHM: Der Narrenturm

Foto: NHM Wien