Sozialminister Hundstorfer verteilt als Wiener SP-Spitzenkandidat für die Nationalratswahl Lebkuchenherze. Beim Straßenfest in Wien-Ottakring schlägt das Herz vieler Wähler ohnehin rot.

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Wien - "He, Jazz Gitti, hast einen Unfall gehabt oder einen neuen Haberer?", nimmt die Entertainerin die Fragen vorweg. Mit Krücken und rotem Abendkleid ist sie heute nach Wien-Ottakring gekommen, um für die SPÖ Stimmung zu machen. Als Teil der "Roadshow" tourt sie seit Ende August mit der Wiener SP durch die Bezirke. Hauptattraktion ist aber ein anderer: Arbeits- und Sozialminister Rudolf Hundstorfer, der Spitzenkandidat in Wien.

Im Akkordtempo schüttelt er Hände, klopft Schultern und verteilt Lebkuchenherzen. "'s Herz is rot" steht darauf. Den betagten Herrschaften, die sich auf Bierbänken am Vorplatz der U3-Station neben Marktständen niedergelassen haben, scheint es zu gefallen. Von Gemeinderätin Sonja Ramskogler gibt es Marmelade - etwas für die Gesundheit, neben Pensionen eines der wichtigsten Wahlkampfthemen für die hier mehrheitlich anwesende Generation 60 plus.

Sechs Termine an einem Tag

Sechs Termine hat Hundstorfer an diesem Tag hinter sich gebracht: den Besuch der Migrationsmesse, eine Tour durch das Shoppingcenter Nord, Händeschütteln mit 300 steirischen Touristen im Schweizerhaus. "Gar nicht so arg", sagt er.

In Ottakring scha- ren sich die meisten schüchtern um den Minister, manche sind forscher. "Darf ich mal kurz stören?", fragt eine Dame und tippt Hundstorfer auf die Schulter. Sie macht ihrem Ärger Luft: Zwar sei sie bereits im pensionsfähigen Alter, als pragmatisierte Gemeindebeamtin muss sie aber noch drei Jahre arbeiten. Dabei gehen alle ihre Freundinnen schon jetzt in Pension. "Frau Kollegin", sagt der Minister, "Sie bekommen dafür auch eine höhere Pension als ihre Bekannten." Der Frau ist das egal.

Klein und mit rauchiger Stimme

Nurten Yilmaz ist im Grätzel bekannt. Der Name der SP-Gemeinderätin aus Ottakring steht auf Platz zwölf der Wiener Landesliste, in ihrem Wahlkreis ist sie Nummer eins. Damit ist sie die erste SP-Fixkandidatin mit Migrationshintergrund für den Nationalrat. Die 56-Jährige, die mit neun Jahren aus der Türkei nach Wien gekommen ist, sieht sich aber vielmehr als Kandidatin aus einem Arbeiterbezirk.

Klein und mit rauchiger Stimme rauscht Yilmaz durch die Reihen und verteilt Wangenküsse. Den älteren Herrn mit grauem Vollbart und blauem Pullunder kennt sie schon seit zehn Jahren. "Vom Brunnenmarkt, dort haben wir denselben Fleischhauer."

Noch unentschlossen

Seit 53 Jahren wählt der Pensionist Rot. Die paar Mal, die ihn die SPÖ nicht überzeugen konnte, sei er nicht zur Wahl gegangen. "Den anderen schenk ich meine Stimme sicher nicht." Dieses Mal ist er noch unentschlossen, es gibt zu viel, das ihm nicht passt. Bundeskanzler Werner Faymann ist nicht sein Fall. Auch bei der Pensions- und Arbeitsmarktpolitik der Sozialdemokraten hat er Zweifel.

Der Mann ist hier, um sich Yilmaz anzuschauen. "Ob sie eh eine Vernünftige ist", sagt er. Yilmaz lässt sich vor schallender Rock-'n' -Roll-Musik auf die Diskussion ein. Nach zehn Minuten einigen sich die beiden per Handschlag auf die Notwendigkeit einer Millionärssteuer. Zu 25 Prozent habe Yilmaz ihn umgestimmt, sagt der Mann. "Geben Sie mir noch eine Viertelstunde", sagt Yilmaz. Die Wiener Regionalpolitik war der Gemeinderätin eine gute Schule. "Ich bin ein Zirkuspferd", sagt sie. "Ich kann alles."

Cap weniger volksnah

Klubobmann Josef Cap gibt sich im Vergleich dazu weniger volksnah. Mit verschränkten Armen wohnt er dem Wahlspektakel aus einiger Entfernung bei. Doch dann ist auch er an der Reihe und wettert auf der Bühne gegen Schwarz und Blau.

Nach einer Stunde übergeben die Politiker an Jazz Gitti. Auch sie spricht über Gesundheit. Wegen einer Meniskusoperation und eines Muskelfaserrisses "in da Oaschbockn" benötigt sie Krücken. "Seids fit?", will sie vom Publikum wissen. Das reagiert zurückhaltend. Ob die Zuschauer Jazz Gittis Gesundheitstipp befolgen werden? Sie schwört auf Versöhnungssex. (Anna Wieder, DER STANDARD, 26.9.2013)