St. Pölten - Sonntag am Festspielhaus St. Pölten. Der aus Israel stammende britische Choreograf Hofesh Shechter kommt frisch aus den Proben für eine Vorschau seines neuen Stücks Sun, die gleich vor geladenem Publikum stattfinden wird. Der erste Artist-in-Residence der neuen Intendantin des Hauses, Brigitte Fürle, schwärmt: "Es ist ein wirkliches Privileg, eine solche Residenz zu nutzen zu können, vor allem, weil wir im Tanz üblicherweise sehr rasche Umsetzungsprozesse haben."
Künstlerresidenzen, die es auch schon unter Vorgänger Joachim Schloemer gab, sind ein Herzstück von Fürles Plänen für das Festspielhaus. Shechter wird sein fertiges Stück am 7. Dezember in St. Pölten präsentieren. Für ihn ist es wichtig, dass ein Choreograf seine Arbeit vor der eigentlichen Uraufführung mit Publikum austesten kann, "um zu sehen, ob wirklich alles funktioniert".
Hinaus in die Stadt
Als Nächster kommt der neuseeländische Choreograf Lemi Ponifasio in den Genuss eines solchen Arbeitsaufenthalts. Der aus dem polynesischen Samoa stammende Künstler hat zuletzt 2007 bei den Wiener Festwochen mit The Tempest gastiert, nachdem er dort im Jahr davor von Peter Sellars bei dessen Projekt New Crowned Hope eingeladen war. Fürle war von 1993 bis 1998 selbst Dramaturgin bei den Festwochen.
An dem von Klaus Kada errichteten Festspielhaus hat sie nun - in Zusammenarbeit mit dem Grazer Architekten - minimalinvasiv gearbeitet: die unter Schlömer in den kleinen Saal eingebaute Blackbox entfernt, die Bars adaptiert und einige an die Enzis im Wiener Museumsquartier erinnernde rote Samt-Sitzmöbel ("Twins") strategisch platziert. In ihrer Kunststoffversion sind die Twins auch im öffentlichen Raum der Stadt verteilt. Als Zeichen für die Bewohner, dass das Festspielhaus sie erwartet.
Fürle: "Ich habe mir vorgenommen, Verbindungen und Momente der Zugehörigkeit zu schaffen." Auch mit dem neuen Bürgermeister Matthias Stadler hat die Intendantin Kontakte geknüpft: "Er hat auch das erfolgreiche Frequency-Festival geholt. St. Pölten ist auf einer guten Route." Wenn sie das Festspielhaus mit anderen Institutionen vergleicht, fallen ihr die föderal verteilten französischen Kulturzentren ein. Der Vergleich: "Vor 16 Jahren hat man sich auch mit dem Festspielhaus vor den Toren Wiens etwas getraut."
Initiiert bereits unter Landeshauptmann Siegfried Ludwig und mit dem neuen Regierungsviertel fertiggestellt unter seinem Nachfolger Erwin Pröll, ist das Haus zu groß, um nur ein Ort der Repräsentation zu sein. "Vor der Größe muss man sich nicht verstecken. Daher arbeiten wir mit Residenzen ebenso wie mit Community-Aktivitäten. Wir gehen mit unserem Programm an die Schulen und zum Publikum. Damit hat ja erst Joachim Schlömer begonnen, und ich verstärke das noch. Aber ich nehme es auch in die Programmation, denn ich will nicht separieren: hier die Communities und da das tolle Hochglanzprogramm."
Folglich waren die geladenen Gäste bei Hofesh Shechters Stückvorschau auch Schüler des St. Pöltener Musikgymnasiums. "Ich bringe nur ein Tanzstück im Monat, das aber mit viel Aktion drum herum." Grundsätzlich glaubt Brigitte Fürle an Entschleunigung und an Beziehungen in der Kunst.
Letztere hat sie sich im Lauf ihrer Karriere und zuletzt bei den Berliner Festspielen aufgebaut: auch zu Künstlern, die für große Räume arbeiten, wie William Forsythe, Lloyd Newson - oder Angelin Preljocaj, dessen Tausendundeine-Nacht-Ballett Les Nuits jetzt am 27. 9. Fürles erste Saison eröffnen wird. Stolz ist die Neo-Intendantin auch auf das Residenz-Orchester des Hauses. Erst die Tonkünstler ermöglichen etwa die Aufführung von Alain Platels Stück C(h)oeurs mit Verdi-Chören am 12. Oktober. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 26.9.2013)