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Dieter Rothbacher im irakischen Chemiewaffendepot Al Muthanna, 1993.

Foto: REUTERS/Dieter Rothbacher, Co-Owner/Director Operations of Hotzone Solutions Group/Handout

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Senfgas-Granaten in Al Muthanna.

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Die in Munition abgefüllten Kampfstoffe wurden verbrannt.

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Nach der Aufnahme Syriens in die Internationale Chemiewaffenkonvention, die für 14. Oktober vorgesehen ist, muss die Regierung nun eine umfassende Auflistung von Zahl und Art ihrer Chemiewaffen vorlegen. Die Kampfstoffe sollen unter internationaler Aufsicht vernichtet werden. Doch wie zerstört man große Mengen dieser hochgiftigen Substanzen? derStandard.at hat dazu den österreichischen Major Dieter Rothbacher, der im Irak an der Vernichtung von Saddam Husseins Arsenal mitwirkte, befragt.

derStandard.at: Auch in Österreich gibt es Restbestände chemischer Kampfstoffe. Wie werden diese entsorgt?

Rothbacher: Die stammen aus dem Zweiten Weltkrieg. Die mehr als 20.000 Granaten mit Stickstofflost (chemischer Kampfstoff, Anm.), die es in Österreich gibt, wurden einbetoniert.

derStandard.at: Diese Chemiewaffen müssen also nicht entsorgt werden?

Rothbacher: Die Chemiewaffenkonvention sieht vor, dass Kampfstoffe, die vor 1976 vergraben wurden, nicht geborgen werden müssen.

derStandard.at: Schätzungen gehen von 1.100 Tonnen Chemiewaffen in Syrien aus. Welche Kapazitäten an Personal und Technik wären nötig, um diese Menge zu vernichten?

Rothbacher: Eine erste Deklaration der syrischen Regierung ist am Freitag bei der Organisation für ein Verbot von Chemiewaffen (OPCW) in Den Haag eingetroffen, ich komme gerade von dort. Die OPCW selbst kann das jedenfalls nicht übernehmen, sie verfügt nur über circa 140 Inspektoren, von denen nur wenige für solche Einsätze ausgebildet sind. Bis wir wissen, welche Mengen die Syrer deklarieren, sind lediglich Spekulationen möglich, ob das jetzt hundert Tonnen oder ein Vielfaches davon ist. Ob diese Deklarationen jemals veröffentlicht werden, ist aber nicht bekannt.

Wichtig ist außerdem, wie die Waffen gelagert sind: Sind die Kampfstoffe, also Flüssigkeiten, in Munition verfüllt oder in binärer Form vorhanden – also zwei Schlüsselkomponenten, die separat gelagert werden? Werden chemische Kampfstoffe in Containern gelagert? Als Nächstes sollen dann im November die ersten Inspektionen vor Ort stattfinden, um festzustellen, in welchem Zustand diese Behältnisse sind: Können sie transportiert werden? Erst dann wird es möglich sein abzuschätzen, wie lang die Zerstörung dauern wird.

Syriens Präsident Bashar al-Assad selbst hat in einem Interview mit dem Sender Fox News angedeutet, dass die Waffen dazu außer Landes gebracht werden könnten. Dafür kämen nur die USA und Russland in Frage.

derStandard.at: Wobei Russland bereits abgewinkt hat ...

Rothbacher: Die haben genau wie die Amerikaner selbst genug Probleme damit, die Terminvorgaben der Chemiewaffenkonvention einzuhalten und ihre Bestände zu vernichten. Beide Länder haben das ja nicht zum angestrebten Zeitpunkt geschafft (siehe Infobox, Anm.). Ein Jahr ist jedenfalls zu wenig: Die dafür erforderlichen Anlagen müssen wohl erst errichtet und abgenommen werden. Wenn die Zerstörung der Chemiewaffen vor Mitte 2014 beginnt, bin ich zufrieden.

derStandard.at: Wie läuft diese Zerstörung konkret ab?

Rothbacher: Zuerst nimmt man sich Produktionsanlagen vor, dann Abfüll- und Mischanlagen. Dann erst vernichtet man Kampfstoffe, die bereits in Munition verfüllt sind.

derStandard.at: Wie kann man eigentlich feststellen, ob Munition chemische Kampfstoffe enthält, ohne die Geschoße zu zerstören?

Rothbacher: Je nachdem, wie die Kampfstoffe gelagert wurden, kann sich zum Beispiel erheblicher Druck in den Behältern aufgebaut haben. Die "zerstörungsfreie Inspektionstechnik" erlaubt es, mit Röntgen und Ultraschall festzustellen, ob eine Flüssigkeit enthalten ist. Mit verschiedenen Strahlenquellen kann man herausfinden, welches Energiespektrum der Inhalt zurückwirft – Stichwort photoneninduzierte Neutronenspektroskopie. Außerdem werden natürlich die Rückstände analysiert.

derStandard.at: Was weiß man über die von den UN-Inspektoren in Damaskus untersuchten Geschoße? Es wurden Überreste einer 140-Millimeter-Artillerierakete und bisher unbekannte Raketen mit 330 Millimetern Durchmesser gefunden.

Rothbacher: Die 140-Millimeter-Munition, für die es angeblich einen Gefechtskopf mit zwei Litern Sarin gibt, ist eindeutig russischen Ursprungs, da kann man auch die Herkunft zurückverfolgen. Die 330-Millimeter-Geschoße stammen den bisher vorliegenden Informationen zufolge aus syrischer Produktion, da erhoffe ich mir, aus den Deklarationen der syrischen Regierung mehr zu erfahren. Derzeit wird viel spekuliert, in ein paar Wochen wissen wir hoffentlich mehr.

derStandard.at: Bei der Sprengung des irakischen Waffenlagers Khamisiyah wurden 1991 große Mengen Sarin und Cyclosarin in die Atmospäre freigesetzt, weil die US-Pioniere nicht wussten, dass dort Chemiewaffen lagerten. Könnte so etwas wieder passieren? Damals wurden eigene Truppen den Chemiewaffen-Rückständen ausgesetzt, der Vorfall wird als eine mögliche Ursache des Golfkriegs-Syndroms genannt.

Rothbacher: Worauf genau das sogenannte Golfkriegs-Syndrom zurückzuführen ist, weiß man bis heute nicht. Dass man heutzutage Chemiewaffen-Lager sprengt oder bombardiert, kann ich mir nicht vorstellen.

derStandard.at: Wie sieht es generell mit der Zerstörung von Chemiewaffen-Depots durch Luftangriffe aus? Ist es möglich, die Kampfstoffe durch Abwurf von Chemikalien zu neutralisieren? Es gibt immer wieder Berichte, dass die USA "Agent Defeat Weapons" entwickelt hätten.

Rothbacher: Was genau passiert, wen man ein Chemiewaffen-Lager beschießt, hängt von vielen Faktoren ab: Ist die Munition dort bereits mit Zündern und den jeweiligen Explosivstoffen versehen, die den Wirkstoff verteilen sollen? Sind die Kampfstoffe in Containern gelagert? Wie groß und in welchem Zustand sind diese Tanks?

derStandard.at: Der "New Scientist" berichtet über "Passive Attack Weapons" (CBU-107), die Chemiewaffen-Tanks mit Stahl- und Wolframpfeilen durchlöchern sollen, und von einer Bombe, die chemische Waffen mit Thermit verbrennt (BLU-119/B CrashPAD). Gibt es Erfahrungswerte mit dem Einsatz solcher Systeme?

Rothbacher: Feldversuche gibt es nicht – wie sollten diese auch funktionieren?

derStandard.at: Die US Air Force verfügt über ein Simulationsprogramm namens "Serpent", das solche Angriffe berechnen soll. Wie zuverlässig können solche Kalkulationen sein, wenn nicht bekannt ist, mit welchen Mengen und Sorten Chemiewaffen man es zu tun hat? Experte Dan Kaszeta spricht in diesem Zusammenhang von einem "garbage in – garbage out problem".

Rothbacher: Egal wie gut solche Programme sein sollen, es bleiben doch Schätzungen. Spekulationen über Angriffsszenarien sind außerdem müßig, schließlich ist Syrien jetzt Mitglied der Chemiewaffenkonvention.

derStandard.at: Saddam Hussein hat allerdings damals mit den UN-Inspektoren Katz und Maus gespielt ...

Rothbacher: Das kann ich bestätigen, ich war bei diesen Spielen schließlich dabei. Schlussendlich ist es im Irak binnen zweier Jahre aber gelungen, unter UN-Kontrolle fast 800 Tonnen Kampfstoffe zu vernichten, wovon die Hälfte in Munition abgefüllt und der Rest in Containern gelagert war. Die Zeit, die für den Bau der erforderlichen Anlagen benötigt wurde, ist hier allerdings nicht eingerechnet.

derStandard.at: Wie kann man sich die Vernichtung konkret vorstellen?

Rothbacher: Die Amerikaner setzen auf riesige Verbrennungsanlagen, die auch große Mengen problemlos bewältigen. Für die Zersetzung durch Hydrolyse, einen chemischen Prozess also, kann man eventuell bestehende Produktionsanlagen konvertieren. Das hängt aber auch davon ab, wie stark solche Einrichtungen kontaminiert sind. Man muss hier aufpassen, in Syrien nicht den gleichen Fehler wir im Irak zu begehen, wo man bestrebt war, diese Anlagen möglichst rasch betriebsunfähig zu machen. Dadurch mussten erst wieder neue Zerstörungsanlagen errichtet werden.

derStandard.at: Ein Beispiel aus jüngster Zeit wäre Libyen ...

Rothbacher: Die Libyer haben mobile Zerstörungsanlagen eingesetzt und sind mittlerweile fast fertig mit der Vernichtung der Schwefellost-Bestände. Viele Informationen unterliegen hier aber den Geheimhaltungsbestimmungen der OPCW.

derStandard.at: Was geschieht eigentlich mit den Abfällen aus solchen Anlagen? Müssen diese besonders behandelt oder entsorgt werden?

Rothbacher: Grundsätzlich sind diese Rückstände nicht gefährlich. Bei einer Verbrennung fallen gar keine an, und andere Abfälle können entweder verbrannt oder in Fässern gelagert werden. Im Irak haben wir die Rückstände einfach in ein großes Betonbecken gepumpt und verdunsten lassen. (Bert Eder, derStandard.at, 25.9.2013)