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Der häufigste Grund für das Abrufen von Dienstmails ist der Wunsch, auf dem Laufenden zu bleiben und nicht der direkte Druck von Vorgesetzten.

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Wien – Mobiles Arbeiten, ständiges Abrufen von Mails am Smartphone und überhaupt: technische Hilfsmittel, die extern Zugang zu firmenrelevanten Informationen verschaffen. Was als große Errungenschaft moderner Kommunikation und als Wunsch nach flexibler Arbeitsweise verkauft wird, sorgt auch für gehörige Probleme. Der direkte Draht lässt die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen. Nicht nur oktroyiert von Chefetagen, sondern oft resultierend aus einem falsch verstandenen Pflichtbewusstsein oder einem Mangel an Selbstdisziplinierung, denn: "Abschalten" ist erlaubt.

Selbstausbeutung

Nicht zuletzt ist das Thema eine Frage der Unternehmenskultur. Exerzieren das Vorgesetzte vor, indem sie spätabends Mails schreiben oder gar auf Erreichbarkeit pochen, werden sich Mitarbeiter tendenziell auf Bereitschaft halten. Ob sie müssen oder nicht, denn eine ständige Pflicht zur Verfügbarkeit besteht aus arbeitsrechtlicher Sicht nicht. Selbstausbeutung ohne Direktive von oben ist keine Seltenheit. Um solchen Szenarien, die nicht selten in einem Burnout münden, einen Riegel vorzuschieben, hat das deutsche Arbeitsministerium wie berichtet eine vielbeachtete Dienstvereinbarung verabschiedet.

Im Kern geht es um präzise Regelungen, wie Arbeit und Freizeit getrennt gehören. Die Botschaft: Niemand ist außerhalb der Arbeitszeit verpflichtet, sein Handy oder das Internet für die Arbeit zu nutzen. Brennt der Hut und ein Mitarbeiter muss tatsächlich nach Dienstschluss kontaktiert werden, so ist ein fixes Prozedere einzuhalten. Involviert werden sollen so wenige Mitarbeiter wie möglich, eine Rolle dabei spielt auch der Familienstand. Dienstnehmer mit Familie und Kindern sind Schlusslichter in der Kette jener, die angerufen werden sollen.

"Signal", den Feierabend zu respektieren

Zumindest ein Stück der langen Leitung gekappt hat auch der Automobilkonzern Volkswagen. Seit August 2011 wird in der Zeit von 18.15 bis 7 Uhr in der Früh die dienstliche Mailfunktion bei Firmensmartphones deaktiviert. Von der Schranke profitieren rund 1200 Tarifbeschäftigte mit Diensthandys, der Konzern beschäftigt alleine in Deutschland rund 250.000 Mitarbeiter. Die Maßnahme sei nur ein "kleiner Aspekt" im großen Programm Gesundheitsschutz, betont VW auf Anfrage von derStandard.at. Eine Art "Signal", den Feierabend zu respektieren. Ausgenommen von der Sperre seien lediglich Führungskräfte.

Vorbild Deutschland?

Ob solche Initiativen auch in Österreich Schule machen, ist fraglich. Beim "Papamonat" – Beamte in Ministerien können nach der Geburt ihres Kindes einen Monat unbezahlten Urlaub nehmen – und bei anonymisierte Bewerbungsverfahren, derzeit läuft gerade ein Pilotprojekt im Frauenministerium, geht der öffentliche Sektor mit gutem Beispiel voran. Und in puncto Trennung von Arbeit und Freizeit? Derzeit seien keine Maßnahmen geplant, heißt es – weder im Arbeits- noch im Wirtschaftsministerium. Warum? Das sei "keine akute Problematik".

Im deutschen Arbeitsministerium gilt die "Abschalt-Regelung" für gut 1.000 Mitarbeiter, beim Pendant in Österreich sind 1.700 Leute beschäftigt. Eine eigene Dienstvereinbarung existiert nicht. "Die Mehrheit der Mitarbeiter hat kein Diensthandy", sagt Elisabeth Kern, Pressesprecherin von Minister Rudolf Hundstorfer (SPÖ), zu derStandard.at. Anrufe auf dem Privathandy seien absolut unüblich. Freizeit ist Freizeit und Arbeitszeit ist Arbeitszeit. Und die sei auch im Bundesdienst reglementiert: auf maximal 13 Stunden pro Tag und 48 Stunden pro Woche, erklärt Kern. Bei einem Durchrechnungszeitraum von 17 Wochen.

Regelung für All-in-Verträge gefordert

All-in-Verträge, bei denen Höchstarbeitszeiten ausgenommen sind, seien die Ausnahme, wie Kern versichert. Umfasst sind davon nur enge Kabinettsmitarbeiter, Sektionschefs und Gruppenleiter. Wie berichtet möchte Hundstorfer dem Wildwuchs von All-in-Verträgen den Kampf ansagen, er fordert eine Beschränkung auf das leitende Management. Laut einer Befragung haben nicht nur viele Führungskräfte, sondern sogar 19 Prozent der Arbeiter ein solches Vertragswerk. Oft nicht freiwillig.

Handlungsbedarf für eine eigene Erreichbarkeitsregel sieht man derzeit auch im Wirtschaftsministerium nicht, wie es auf Anfrage von derStandard.at heißt. Telefonate würden grundsätzlich über die Festnetze geführt, private Handynummern zirkulierten nur zwischen engsten Kollegen, das beuge Anrufen nach Dienstschluss vor. Von den rund 2000 Mitarbeitern im Ministerium haben Sektionsleiter, Abteilungsleiter sowie Bedienstete mit regelmäßigen Dienstreisen ein Diensthandy – etwa 20 Prozent der gesamten Belegschaft.

Diensthandy kein Kriterium

Grundlage für den Schutz der Mitarbeiter in den Ministerien ist das Beamtendienstrechtsgesetz, hier sind auch Regelungen zu Journal- und Bereitschaftsdiensten verankert. Eine Pflicht zur Erreichbarkeit außerhalb der Dienstzeit sei grundsätzlich nicht gegeben, sagt ein Dienstrechtsexperte der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD) zu derStandard.at. Werden Beamte von Vorgesetzten außerhalb ihrer Dienstzeit kontaktiert, sind sie nicht verpflichtet zu reagieren. Passiert so eine Arbeitsaufforderung im Urlaub oder in der Freizeit käme das einer Überstundenanordnung gleich. Auch von Diensthandybesitzern könne keine permanente Erreichbarkeit eingefordert werden, heißt es: "Hebt man nicht ab, ist das keine Dienstpflichtverletzung."

Eine Notwendigkeit für neue Spielregeln, gegossen in striktere Dienstvereinbarungen, sieht man auch bei der GÖD nicht. Weder zum Schutz von Beamten in Ministerien noch in anderen Institutionen: "An uns ist bis jetzt noch keiner mit dem Problem herangetreten", meint ein Gewerkschafter.

Mails: 70 Prozent wollen auf dem Laufenden bleiben

Laut einer Studie arbeitet knapp ein Drittel der österreichischen Arbeitnehmer im Urlaub ein bis drei Stunden pro Tag, weitere 20 Prozent sogar noch mehr. Wie die Gewerkschaft kürzlich erheben ließ, werden dienstliche E-Mails von Angestellten in der Freizeit beantwortet, weil sie auf dem Laufenden bleiben möchten (70 Prozent), sie so Zeit im Büro sparen (52 Prozent) oder weil sie der Meinung sind, dass es Kollegen und Kunden erwarten (47 Prozent). Der direkte Druck von Vorgesetzten, die Mails nach Dienstschluss zu checken, ist nur bei 28 Prozent der ausschlaggebende Grund fürs Abrufen. (Oliver Mark, derStandard.at, 25.9.2013)