Kann nicht verstehen, dass man in Wien das Musical hoch subventioniert: Thomas Gratzer in seinem Rabenhof-Theater.

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STANDARD: Der Rabenhof feierte kürzlich die ersten zehn Jahre unter Ihrer Leitung, hat aber gar nicht so viel zum Jubeln: Die Auslastung fiel von 90,78 Prozent in der Saison 2011/12 auf 77,93 Prozent. Was ist los?

Gratzer: Ja, es hat im letzten Jahr einen Einbruch gegeben - nicht nur bei uns, bei vielen Häusern. Es ist wie beim Wein: Es gibt bessere und schlechtere Jahre. Der Einbruch ist auch deshalb so stark, weil wir eine Kooperation mit dem Theater der Jugend nicht gemacht haben. Das sind in Summe gleich 10.000 bis 15.000 Besucher weniger. Insgesamt hatten wir nur 52.026 Besucher - und trotz der schwächeren Auslastung weit mehr Besucher als das Schauspielhaus, das Brut und die Garage X zusammen. Warum ich das erwähne? Wir erhalten 900.000 Euro an Subvention, Brut und Schauspielhaus kriegen hingegen jeweils mehr als das Doppelte.

STANDARD: Diese Bühnen machen vielleicht ein spröderes, nicht so leicht zugängliches Programm?

Gratzer: Das ist schon richtig. Trotzdem braucht es eine Erhöhung der Basissubvention, damit zumindest der laufende Betrieb finanziert ist. Aufgrund der Vorlaufkosten fange ich jede Saison mit einem Negativbudget an. Ich finde, wir haben uns nach zehn Jahren des sehr erfolgreichen Arbeitens ein solides Fundament verdient. Ich möchte nicht mehr darüber nachdenken müssen, wie wir die Gehälter zahlen sollen, wenn eine Produktion nicht so läuft, wie wir es erhofft haben.

STANDARD: Tatsächlich?

Gratzer: Ja, wir befinden uns in dieser prekären Situation. Wir sind zum Erfolg verdammt.

STANDARD: Das heißt: Sie sind dazu gezwungen, den Rabenhof Kabarettisten zur Verfügung zu stellen?

Gratzer: Nein. Ich glaube, dass die Zukunft des Theaters dort sein wird, wo der Rabenhof schon vor zehn Jahren war, als ich mit dem Crossover angefangen habe. Bereits bei Habsburg Recycling habe ich an der Trennlinie zwischen Theater und Politsatire gearbeitet. Wesentliche Inputs in der dramatischen Kunst der letzten Jahrzehnte sind vom Kabarett ausgegangen. Laut Theater heute, dem heiligen Fachmagazin der Dramaturgen, wurde kein anderes Stück so oft nachgespielt wie Indien - und das stammt von zwei Wiener Kabarettisten. Mittlerweile kommt ja keine Bühne mehr ohne Kabarettisten aus. Die Staatskünstler zum Beispiel sind vom Rabenhof ins Burgtheater übersiedelt. Natürlich bin ich froh, dass ich Stermann und Grissemann, Maschek und Andreas Vitásek habe, denn ich kann jeden Cent brauchen. Aber Vitásek z. B. spielt nicht nur seine Programme, sondern auch Lisa von Thomas Glavinic, eine sprödere Sache. Dafür muss der Rabenhof da sein! Denn eine solche Produktion wäre an keinem normalen Theater möglich. Die würden nur sagen: "Spiel an Nestroy, Vitásek!"

STANDARD: Das heißt auch: Sie bringen Kabarett, um sich musicalartige Produktionen wie "Hafen Wien" leisten zu können?

Gratzer: Ja. Hafen Wien von Ernst Molden bezeichnen wir als Singspiel: Es greift die alte Wiener Tradition der Geister-, Zauber- und Feenwelt auf. Es weht in den Rabenhof ein Hauch aus einer Zeit herein, die längst vergangen scheint. Molden erzeugt melancholische Stimmungen, er ist sentimental, ohne kitschig zu sein. Und das Bühnenbild von Gudrun Kampl aus billigem Sperrholz ist einfach großartig. Es geht einem das Herz auf - und es kommen einem die Tränen in die Augen.

STANDARD: Als Direktor und Regisseur sind Sie vielleicht befangen?

Gratzer: Das stimmt. Aber generell: Ja, zeitgenössisches Musiktheater ist mir wichtig! Ich kann nicht verstehen, dass Wien, die Welthauptstadt der Musik, am Musicalsektor US-Billigware zu Wahnsinnspreisen importiert, anstatt die eigenen Künstler auch mal fett was machen zu lassen. Dass sie das können, haben wir mehrfach bewiesen, etwa mit Phantomas oder Colombo Dreams oder davor mit dem Udo-Proksch-Musical: Das war ein großartiger Treffer!

STANDARD: Für diese Produktionen scheint der Rabenhof eigentlich zu klein zu sein. Sollte man nicht in ein größeres Haus übersiedeln?

Gratzer: Natürlich. Die Science Busters gehen nun sogar in die Stadthalle. Wir haben tatsächlich einige Formate geschaffen, die auch in einem großen Haus funktionieren - wie man an den Staatskünstlern sieht.

STANDARD: Volkstheaterdirektor Michael Schottenberg gab kürzlich bekannt, keine weitere Verlängerung seines Vertrages anzustreben, der Posten wird daher ausgeschrieben. Sind Sie interessiert?

Gratzer: Das Rabenhof-Konzept kann man nicht 1:1 übertragen, das funktioniert eben für die 300 Zuschauer. Aber so einen Crossover-Ansatz kann ich mir schon für das Volkstheater vorstellen. Denn auch dort ist das Geld knapp - während man für die Musicalproduktionen der Vereinigten Bühnen unglaublich viel ausgibt.

STANDARD: Bewerben Sie sich?

Gratzer: Ganz ehrlich: Das weiß ich noch nicht. Zuerst bring ich die Hafen Wien-Premiere über die Bühne, dann schlaf ich meinen Rausch aus - und dann denk ich darüber nach. Denn das Volkstheater ist eine sehr, sehr schwierige Aufgabe.

STANDARD: Und wie wird es im Rabenhof weitergehen?

Gratzer: Im November kommen wieder die Polit-Puppen von Gerhard Haderer und Maschek. Die politische Elite stürzt mit einer Maschine über dem Eismeer ab, die von Niki Lauda gesteuert wird, und muss auf Franz-Josef-Land ein neues Österreich errichten. Mehr verrate ich nicht.

STANDARD: Sie wissen ja noch gar nicht, wer im November, nach der Wahl, die politische Elite sein wird.

Gratzer: Deshalb kann ich auch nicht mehr verraten. Aber wir haben trotzdem schon Puppen hergestellt. Am meisten hab ich mich in die Spindelegger-Puppe verliebt. Sie ist so geil! Das heißt: Ich muss ihrem Original am Sonntag richtig die Daumen halten! (Thomas Trenkler, DER STANDARD, 25.9.2013)