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Der Heilige Maxym und ...

Fotos: Archiv Familie Sandowicz, Lupi Spuma

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... Urenkelin Tatjana: In Stasiuks "Thalerhof" brachte sie der Zufall auf der Bühne zusammen.

Fotos: Archiv Familie Sandowicz, Lupi Spuma

Graz - Manche Geschichten, in denen der Zufall und das Leben dick auftragen, könnte sich kein Theaterautor besser ausdenken. In Graz ist rund um die Proben zum neuen Stück des polnischen Autors und Verlegers Andrzej Stasiuk so eine Geschichte passiert. Wobei Stasiuk selbst nicht an Zufälle glaubt, wie Schauspielhaus-Intendantin Anna Badora, die Stasiuks Thalerhof inszeniert und selbst aus Polen stammt, dem Standard verriet.

Aber zurück zum Anfang: Thalerhof bedeutet für Grazer: Flughafen. Doch vor 100 Jahren stand der Name für ein dunkles Kapitel hiesiger Geschichte, für ein k. u. k. Deportationslager, in das vor allem Ruthenen, damals Bewohner der Bukowina und Galiziens, gebracht worden. Hunderte, auch Frauen und Kinder, starben hier, weil sie als "Russophile" verdächtig waren.

Trotz eines Gebeinhauses für die Opfer des Lagers, gab es keine kollektive Erinnerung vor Ort, während "Thalerhof" in der Ukraine und Polen Synonym für Unrecht und Grausamkeit blieb.

Auch noch 2005. In diesem Jahr hört der Grazer Journalist und Slawist Herwig Höller in der Ukraine durch die dortige innenpolitische Diskussion von dem Lager. Er thematisiert die Geschichte in einem Artikel im Falter. 2008 startet ein Forschungsprojekt an der Uni Graz - vom Verteidigungsministerium in Auftrag gegeben -, um den Verbleib der Opfer von Thalerhof zu klären. 2012 wird eine Gedenktafel für die Toten errichtet.

2012 beschließt Stasiuk, sich seinerseits auf die Spuren der Toten zu machen: In einem Stück, das Badora inszenieren wird. In Stasiuks Text mischen sich die Toten unter die Lebenden. Lagerinsassen unter Flugpassagiere.

Eine der zentralen Figuren ist der russisch-orthodoxe Märtyrer Maxym Sandowicz. Heute ein kultisch verehrter Heiliger, der erschossen wurde. Seine Frau brachte als Gefangene in Thalerhof seinen Sohn Maxim zur Welt. Dieser hatte später einen Sohn: Michal Sandowicz, bekannter polnischer Architekt und Professor an der TU Warschau, der vor neun Jahren bei einem Autounfall starb, als seine Tochter ein Baby war.

Frühling 2013: Stasiuks Text ist fertig, Badora veröffentlicht einen Aufruf für ein Kindercasting, da im Lager auch Kinder waren. Eine Neunjährige, die vor fünf Jahren aus Polen einwanderte, will unbedingt Theater spielen. Worum es in dem Stück geht, wissen vorerst weder sie noch ihre Eltern. Doch nebenbei erzählt sie Badora auf Polnisch, dass "mein Urgroßvater ein Heiliger war". Badora ist wie "elektrisiert". Das Kind heißt Tatjana Sandowicz.

Wenige Tage vor der Premiere sitzt Tatjana in der Cafébar des Schauspielhauses. Ein aufgewecktes Mädchen, das perfekt Deutsch und Polnisch spricht. Sie hat ihre Mutter, ihren Stiefvater und auch Anna Badora (als Dolmetscherin für die Mutter) mitgebracht.

Wie war das, als man erfuhr, dass es in dem Stück um den Uropa geht? "Unheimlich", antwortet die Mutter. Sie hat Tatjana mittlerweile alles über Maxym erzählt: "Dass er als 26-jähriger Mann getötet wurde", erzählt Tatjana, "so jung war er! Aber seine Frau trug ein Baby im Bauch, meinen Opa." Sie erzählt die Geschichte von dem Mann, von dem es weit mehr Ikonen als Fotos gibt, wie andere Kinder ihre Familiengeschichten. Sie plaudert von den lustigen Proben und davon, wie sie jedem Schauspieler einen eigenen Spitznamen verpasst hat.

Im Stück wird Tatjana auch eine Szene "vor dem Vorhang" haben, wirft Badora ein, "und von Maxym erzählen". Das kann sie auch abseits der Bühne sehr gut: "Die Frau von Maxim musste zuschauen, wie er getötet wurde", bemerkt Tatjana und sieht einem dabei fest in die Augen, "und er hat nach dem ersten Schuss noch geschrien: Gott hat uns lieb!" (Colette M. Schmidt, DER STANDARD, 24.9.2013)