Wien - Mehr als 20 Baukräne ragen in den Himmel über dem ehemaligen Flugfeld - das seinerzeit, bei seiner Eröffnung, der modernste Flughafen Europas war. Aber das ist auch schon wieder 101 Jahre her. Das Flugfeld Aspern war Schauplatz riesiger Spektakel - als etwa 1931 das Luftschiff LZ 127 Graf Zeppelin andockte. Oder ab Ende der 50er-Jahre, als hier auch Motorrad- und Autorennen veranstaltet wurden. Spätere Legenden wie Jochen Rindt und Niki Lauda rasten über die 2,7 Kilometer lange Rennstrecke.
Die räumlichen Erinnerungen daran, die letzten Reste des Flugfeldes - sie verschwinden jetzt. Für die Entwicklung des derzeit größten Stadtentwicklungsgebiets Wiens wurde das Flughafenthema nicht aufgegriffen. Der künftige Stadtteil wurde neu "gebrandet", sogar der Name wird getauscht: "Seestadt Aspern" soll die Gegend künftig heißen.
Im Frühjahr soll bereits ein erster Höhepunkt der Bautätigkeit erreicht erwartet. 2800 Wohneinheiten werden im ersten Wohnquartier im Südwesten des Gebiets errichtet. Eine komplette Stadt in der Stadt auf die grüne Wiese zu stellen mag höchst umstritten sein - bietet aber auch eine große Chance: das Thema Nachhaltigkeit auf den unterschiedlichsten Ebenen zu berücksichtigen.
"Das beginnt bei den stadtplanerischen Grundlagen und dem Bekenntnis, dass wir in der Seestadt relativ dicht bauen - um gleichzeitig große und qualitative Grün- und Erholungsräume schaffen zu können", erläutert Nikolaus Summer vom Asperner Projektkoordinationsteam in der Stadtbaudirektion im STANDARD-Gespräch. Im Zentrum: der schon ausgebuddelte fünf Hektar große See. Daneben wird ein ungefähr ebenso großer Seepark entstehen - Grünbrücken werden sich quer durch den Stadtteil ziehen, und dazu kommen noch kleinere Stadtteilparks.
Gleichzeitig hat die dichte Bebauung den Vorteil, dass die Gebäude eine bessere Gesamt-Energiebilanz erreichen. Mindestanforderung ist der in Wien bereits traditionelle Niedrigenergie-Standard.
Zusätzlich waren bereits im Vorfeld im Rahmen des Forschungsprojekts "NachAspern" von der Ögut, dem Austrian Institute of Technology und der e7 Energie Markt Analyse GmbH Nachhaltigkeitskriterien entwickelt worden. Jetzt wird versucht, diese Empfehlungen zu Städtebau, Mobilität und Energie bei der Errichtung des Stadtteils umzusetzen.
Schlüsselthema Verkehr
Ein Schlüsselthema bei der Entwicklung des Stadtteils ist der Verkehr: "Ziel ist es, ein Gleichgewicht unter den Mobilitätsformen zu schaffen", berichtet Peter Hinterkörner, Städtebau-Manager bei der Seestadt-Errichtungsgesellschaft Wien 3420. Dass am 5. Oktober bereits die Verlängerung der U2 bis ins Herz des Stadtentwicklungsgebiets eröffnet wird, ist jedenfalls ein städtebauliches Novum und sucht europaweit seinesgleichen.
Gleichzeitig gilt aber der Grundsatz: Der Umweltverbund soll gestärkt und der Autoverkehr "nicht verdrängt, aber in die Schranken gewiesen werden", ergänzt Hinterkörner. Das Verhältnis von Wohnungen zu Pkw-Stellplatzangebot wurde von 1:1 auf 1:0,65 reduziert. Und: Die Parkplätze werden nicht im Keller, sondern in Sammelgaragen errichtet. Und zumindest auf dem Weg dorthin sind die Bewohner als Fußgänger unterwegs.
Mehr Stellplätze - für Räder
Ein anderes Stellplatzangebot hingegen wurde deutlich erhöht: jenes für Fahrräder. Sowohl im öffentlichen Raum als auch in den Wohnbauten selbst. Auf der Straße soll es auch die "Seestadt-Bikes" zum Ausleihen geben: Elektroräder mit öffentlichen Ladestationen. Und zum Drüberstreuen: Mehrere Autobuslinien und drei Carsharing-Plätze.
Bei den Wohnbauten selbst wurde vor allem ein Nachhaltigkeitsstandard festgelegt, der noch einiges offenlässt: Die Häuser werden nach dem TQB-Label (Total Quality Building) zertifiziert. Bei diesem System müssen die Bauten nun bei unterschiedlichen Kriterien insgesamt 750 von 1000 möglichen Punkten erreichen. Die Bauträger können sich aber aussuchen, ob sie diese über den Passivhausstandard, über ökologische Baustoffe oder etwa Gemeinschaftseinrichtungen erreichen.
Bei der Energieversorgung wird in erster Linie auf Fernwärme gesetzt. Der Plan, die Seestadt mit Geothermie zu erwärmen, wurde nach einer fehlgeschlagenen Probebohrung vorerst abgeblasen. Die Dächer sollen hingegen vorrangig zur Stromerzeugung genutzt werden: Die Bauträger müssen so planen, dass die Dächer zumindest nachträglich jederzeit mit Photovoltaikanlagen ausgestattet werden können.
Ein Gebäude ist im Stadtteil bereits in Betrieb - ein Plusenergiehaus, das mehr Energie produziert, als es verbraucht: das Technologiezentrum Aspern IQ, in dem die Errichtungsgesellschaft untergebracht ist - aber auch Forschungseinrichtungen wie die Aspern Smart City Research, die gemeinsam mit den Bewohnern Themen wie Umwelt, Energie, Gebäudetechnik und intelligente Netze vor Ort erforschen soll.
Und auch die ersten künftigen Bewohner sind bereits aktiv: die Mitglieder der fünf Baugruppen, die knapp 180 Wohneinheiten selbst planen und verwirklichen. "Sie sind eine große Bereicherung", betont Peter Hinterkörner. Bei der Errichtung eines ganzen Stadtteils auf der grünen Wiese seien sie auch unter den ohnehin raren Wiener Baugruppen "doppelte, dreifache Pioniere. Sie stellen sehr hohe Ansprüche an sich und an ihr Gebäude." In ökologischer und sozialer Hinsicht.
Ab Jänner soll ein Stadtteilmanagement helfen, dass die Entwicklungen "harmonischer zusammenwachsen können", betont Hinterkörner. Dass es eine gewaltige Herausforderung ist, binnen weniger Jahre rund 20.000 Menschen und ebenso viele Arbeitsplätze auf einem ehemaligen Feld anzusiedeln, verhehlt er nicht. (Roman David-Freihsl, DER STANDARD, 25.9.2013)