Die Kindheit des Partisanen wird als Bauernbub- idylle in einer Art Freilichtmuseum inszeniert. Die Tito-Statue neben dem Geburtshaus stammt von dem Bildhauer Antun Augustincic.

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Kumrovec/Zagreb - Einst pilgerten Anhänger der Arbeiterselbstverwaltung und Schulkinder aus ganz Jugoslawien in das kroatische Dorf, um zu sehen, wie der kleine Josip Broz aufgewachsen ist. In Titos Heimatdorf, einer Art Freilichtmuseum, sollte sogar der Suppentopf samt konserviertem Gebräu an die karge Kindheit des späteren Partisanen erinnern. Doch obwohl bis heute, besonders zu Titos Geburtstag am 7. Mai, Jugo-Nostalgiker mit roten Sternen am Revers hierherkommen, ist vom Sozialismus in Kumrovec nichts mehr zu merken.

Ganz im Gegenteil: In den Häusern werden Bauernhochzeiten aus dem 19. Jahrhundert nachgestellt, in den Ecken hängen Kruzifixe: Der kleine Tito wird als katholischer Bauernbub porträtiert. Es werden zwar historische Fotos gezeigt (Tito mit US-Präsident Richard Nixon etwa), doch eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Mann, der Jugoslawien von 1945 bis 1980 regierte, fehlt hier.

Abseits von Titos Heimathaus steht in Kumrovec die ehemalige politische Schule der jugoslawischen Sozialisten. Auf eine völlig andere Art symbolisiert aber auch sie Vergessen und Verdrängung. Die Deckenverkleidung des Baus aus dem Jahr 1981 hängt in Fetzen herab. Auf dem Boden liegen verstreut hunderte Bücher: "Botschaften der Revolution" von Tito, daneben "Probleme der Revolution" von Antonio Gramsci. Während des Kroatienkriegs waren hier Flüchtlinge untergebracht, später wurden hier Schwammerln gezüchtet. Heute lässt man die Erinnerung an den ehemaligen Staat vermodern.

"In den 1990ern wurde Jugoslawien verdrängt, heute wird es ignoriert", meint der Zagreber Historiker Hrvoje Klasic. Er kritisiert, dass man kaum über die sozialistische Epoche recherchieren könne, weil die Unterlagen fehlten. "Es ist Staatspolitik, dass man darüber nicht redet." Der kroatische Basketballklub Cibona erwähnt Jugoslawien nicht einmal auf seinen Siegesfahnen dieser Ära. "Früheres Land" steht dort, so als dürfe dieses keinen Namen mehr haben.

"Wir versuchen die jugoslawische Vergangenheit nur über die 1990er-Jahre zu erklären", kritisiert Klasic die fehlende Gesamtperspektive. Insgesamt hänge die Erinnerung an Jugoslawien heute stark davon ab, auf welche Art die jeweiligen Länder die Föderation verlassen hätten: durch Krieg wie Bosnien-Herzegowina und Kroatien oder friedlich wie Mazedonien und Montenegro.

Nostalgie in Slowenien

Tito selbst konnte im unabhängigen Kroatien - anders als etwa der Bildhauer Ivan Mestrovic - allerdings nicht im Nachhinein "nationalisiert", also ins neue Narrativ eingepasst werden. "Deshalb wird die Erinnerung an ihn in Kroatien vernachlässigt", sagt Tanja Zimmermann von der Universität Konstanz. In Slowenien ist die Tito-Nostalgie hingegen viel präsenter. Heuer am 27. April feierte etwa die slowenische Linke (samt Premierministerin und Präsident) nicht nur in antifaschistischer Tradition den Widerstand im Zweiten Weltkrieg. Auch Tito wurde gehuldigt, und Regierungschefin Alenka Bratusek sang sogar "Viva el comunismo" mit. Auf der Bühne war aber auch ein antieuropäisches Lied zu hören.

Zimmermann sieht darin eine "Form des Protests gegen die Einhaltung der scharfen Regeln Europas". Bis zur Krise wollte man sich in Slowenien "den europäischen Standards anpassen und den Balkan hinter sich lassen". Seit 2008 hätten aber die Ressentiments gegen Europa zugenommen. "Die Regierung will mit diesem Auftritt also auf paradoxe Art ausdrücken, dass sie revolutionär ist", meint die Slawistin. Zimmermann spricht von einer "entleerten Pathosformel", die mit neuen Inhalten gefüllt werde. Selbst wenn dadurch ein neues Paradox entsteht. Denn gerade in Slowenien war die Kritik am sozialistischen Jugoslawien besonders stark ausgeprägt. Nächsten Montag: Wie Serbien mit seiner Vergangenheit umgeht. (Adelheid Wölfl, DER STANDARD, 23.9.2013)