"Bin ich Pornographie?" Verdichtungen wie diese lässt Katherine Angel in ihrer autobiographischen Lustergründung auf einer ansonsten leeren Seite wirken.

Foto: Stacey Yates/Klett-Cotta

Katherine Angel: Ungebändigt. Über das Begehren, für das es keine Worte gibt.
(Unmastered. A Book On Desire, Most Difficult To Tell)
Tropen Verlag 2013, € 22,60

Foto: Tropen Verlag/Klett-Cotta

"Fick mich. Oh ja, fick mich. Ich liebe es, wenn du mich fickst. Du bist so hart, du bist so groß. Oh, ich stelle mir vor, du schlägst mich, … ich schreie…". Diese und ähnliche Sätze könne sie nicht mehr hören, klagt Katherine Angel in ihrem Buch "Ungebändigt“. Denn welche Absicht verfolgen sie, was geben sie preis? Handelt es sich dabei tatsächlich um einen Ausdruck weiblichen Begehrens? Oder sind es schlicht und einfach Worthülsen, um ihn anzufeuern, sein Begehren zu schüren?

Ist es Frauen überhaupt möglich, ihre eigenen Fantasien und Wünsche abseits der genormten Sex-Semantik zu verbalisieren? Oder müssen sie anerkennen, dass es für ihr Begehren keine Worte gibt? Auf der Suche nach aktuellen Antworten begab sich die Londoner Autorin, die an der Queen Mary University weibliche Sexualstörungen erforscht, in ein Labyrinth von eigenen Erfahrungen und patriarchalen Normierungen. (Er)Lösung fand sie dabei keine.

Let’s talk about sex – aber bitte die Codes beachten

Angel versteht ihr Werk als skizzenhafte Momentaufnahme, wie sie selbst in der Wochenzeitung "Welt" sagt. In ihrer Darstellung, die auch vor fast leeren Seiten nicht zurückschreckt, verbindet sie hochgradig reflexiv die Wechselwirkungen von eigenen Lüsten und kulturellen Repräsentationen. Ohne eine wie auch immer geartete Agenda für das Sexleben von Frauen generieren zu wollen, steht sie zu den Brüchen, die ihre persönliche Auseinandersetzung mit diesen Fragen provoziert.

Den Grund für die Unaussprechlichkeit sexueller Empfindungen – ohne das Beschriebene platt, hohl und entrückt wiederzugeben – benennt sie dabei jedoch recht deutlich: die männlichen Herrschaftsordnung. Indem der weibliche Sex die Hierarchisierung der Geschlechter spiegle, sei er – allen emanzipatorischen Bemühungen zum Trotz – männlich definiert und dominiert.

Begehren, das Schweigen zu durchbrechen

Doch obgleich im gesellschaftlichen Bewusstsein eine genuin weibliche Sexualität, frei von patriarchalen Zu- und Anweisungen, nicht existiert, bedeute das noch lange nicht, dass es sie nicht gibt, meint Katherine Angel. Poetisch formuliert heißt das bei ihr: "Das Begehren, Begehren auszusprechen, ist ein Begehren, das Schweigen zu durchbrechen. Als solches ist es zugleich auch erotisch, es enthält eine eigene Erregung“.

Um es zum Leben zu erwecken, müsste es losgelöst werden, von uralten kulturellen Prägungen. Denn alles, was Frauen zu begehren glauben, sei geprägt von dieser Kultur, ihren Dogmen und Bildern, die davon unbeeinflusste Fantasien verhindern. Das beginne schon bei der Sozialisation und erreiche ihren Höhepunkt in den für sie vorgesehenen pornografischen Posen.

Angel vermag diese Zugriffe auf das "Weibliche" eindrucksvoll abzubilden. Sie greift dabei auf Kindheitserinnerungen, tagebuchartige Notizen, poetische Sequenzen und literarische Zitate zurück.

Den Mann in Sicherheit wiegen

Kleine Mädchen, so Angel, lernen früh, dass es nicht darauf ankomme, sie selbst zu sein, sondern "jemand anderes". Sie verweist auf Susan Sontag, die diesen Vorgang Konditionierung, X-ig sein, nannte: Den "Zwang, das zu sein, was der andere will. Die Geißel: nicht zu wissen, was die eigenen Gefühle sind; gern verbindlich zu sein“. Wir sollten schon als Mädchen dafür sorgen, Verliererinnen zu sein, führt sie mit Susie Orbach, einem weiteren Urgestein der zweiten Frauenbewegung, aus. Es gehe darum, die Buben im Spiel gewinnen lassen, denn Konkurrenz müsse verhindert werden. Die Frauen würden dazu erzogen, die Männer zu schützen, ihnen ihre "unendliche Potenz“ zu beweisen, schreibt Angel: "Ich muss dich in Sicherheit wiegen. Das ist meine Aufgabe“.

Eine derartige Sozialisation führe zur Entfremdung im eigenen Leib. Getrennt von ihrem Instinkt, ob ihre Gefühle authentisch oder außenorientiert sind, bräuchten sie einen Anker, irgendeinen Halt – und seien es die abgefuckten "sexy“ Posen oder die "abgelutschten" Worte: "Ja, fick mich, oh ja, fick mich!“ Mit ihrem Begehren hätten sie nichts oder nur rudimentär zu tun.

Heilige oder Hure: X-beliebiges Ding

Doch sogar dann, wenn Frauen sich brav angepasst das patriarchale Sex-Mäntelchen als vermeintlichen Auswurf ihres Begehrens umhängen und sich "geil“ geben, würden sie nicht anerkannt und liefen Gefahr, auf ein Neues degradiert zu werden. Es mache also keinen Unterschied, in welcher Art und Weise sich Frauen gebärden.

Aufgegangen ist ihr das schon in ihrer Teenagerzeit, schreibt Katherine Angel, als sie ein "begehrenswertes, anziehendes Ding" war. Verführerisch, aber eben "ein Ding. Ein Spielzeug. Und wenn das Verlockende … problematisch wird – wenn das Spielzeug Widerworte gibt oder nicht herumhurt oder doch herumhurt oder dir gegen das Schienbein tritt, wenn du ihm in einem Bus in den Hintern kneifst – , dann geht diese Kultur mit aller Schärfe gegen das Verlockende vor, krempelt es um und macht eine Hure, Schlampe, Nutte, Schlunze, Hure daraus".

Die Frau als Mimende

Und dabei sei es bis heute geblieben. So sehr sich auch moderne Inszenierungen im Alltag und in der Pornografie bemühen, den Anschein zu erwecken, die traditionelle Codierung der Frau als passives Objekt sei längst überwunden, zeigen sie sich selbst bloß als Abbild eines Phantoms. Denn dieser Schein trügt, betrügt die Frauen, und nicht nur sie.

Wild & ungebändigt

Auch Katherine Angel bleibt die Worte für das weibliche Begehren schuldig. Das Einzige, was zu beschreiben ihr möglich ist, beschränkt sich auf die Unmöglichkeit, die "wahren" Worte zu finden. Und dennoch sagt sie damit mehr als Weltbestseller wie "50 Shades of Grey" und die vielen anderen Bücher, die davon leben, ergründen zu wollen, was und wie Frauen heutzutage begehren.

Die vielen nur spärlich bedruckten Seiten von "Ungebändigt" symbolisieren das Symptom: die Verschwendung ungeheuer sprudelnder lebendiger Energie. Nicht auszusprechen, nicht zu erfüllen. "Inmitten des Lebens sind wir vom Tode umfangen“. (Dagmar Buchta, dieStandard.at, 22.9.2013)