Wie viele von Boreout betroffen sind, ist nicht klar. Vielfach fehlt die Anerkennung des Problems, deswegen zögern auch viele mit dem Outing.

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Andreas Kremla, Arbeitspsychologe bei "Health Consult": "Wir brauchen alle das Gefühl, etwas Sinnvolles zu arbeiten."

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Wolfgang Merkle, Facharzt für psychosomatische Medizin: Boreout sei kein Krankheitsbild, "sondern eine Konstellation von Bedingungen, die dazu führt, dass Menschen leiden".

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Minuten werden zu Stunden, die E-Mails werden alle paar Minuten abgerufen und der Mund ist vom vielen Kaffee schon ganz trocken – manchmal kann auch im stressigsten Arbeitsalltag Langeweile aufkommen. In ihrem Buch "Diagnose Boreout. Warum Unterforderung im Job krank macht" zeigten die beiden Schweizer Unternehmensberater Philippe Rothlin und Peter Werder, dass zu viel Langeweile in der Arbeit ebenso krank macht wie Überforderung: Das Boreout als Gegenpart zum Burnout war geboren.

Ganz so einfach ist es aber nicht. Denn während das Burnout seit kurzem in der International Classification of Diseases der WHO angeführt ist, hat es das Boreout bisher nicht zur offiziellen Anerkennung gebracht. Es ist auch unter Fachleuten nicht unumstritten, besonders weil der Begriff nicht aus der Medizin kommt, sondern von der Wirtschaft geprägt wurde.

Andreas Kremla, Arbeitspsychologe bei "Health Consult", betont im Gespräch mit derStandard.at, dass der Begriff Boreout aufgrund seiner phonetischen Ähnlichkeit zum Burnout vor allem ein marketingtauglicher Begriff sei. Aber auch er kennt die Problematik von Unterforderung am Arbeitsplatz, die oft in einem scharfen Kontrast zu einer Umwelt stehe, die sehr reich an Reizen sei.

Boreout kein Krankheitsbild

Für Wolfgang Merkle, Facharzt für psychosomatische Medizin aus Frankfurt ist das Boreout kein Krankheitsbild ist: "Sondern es ist eine Konstellation von Bedingungen, die dazu führt, dass Menschen leiden", so Merkle zu derStandard.at. Er erlebt in seinem Arbeitsalltag am Hospital zum heiligen Geist in Frankfurt, was Langeweile bei Menschen bewirken kann.

Diese könne zu Symptomen wie Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Problemen im Magen-Darm-Bereich und Rückenschmerzen führen. Außerdem könnten mit Desinteresse und Antriebsstörungen auch depressive Symptome auftreten. In der Akutphase werden diese Symptome behandelt und psychotherapeutische Maßnahmen, wie zum Beispiel Entspannungstherapie, gesetzt. "Dann muss man an die Ursachen gehen", so Merkle.

Vom Boreout betroffen seien beide Geschlechter – wobei sich Frauen laut Merkle öfter helfen lassen, während Männer Probleme eher durch Alkohol und Entladung von Aggression kompensieren. Besonders häufig treten Symptome bei Menschen zwischen 45 und 60 Jahren auf, da diese laut Merkle weniger Möglichkeiten haben, ihre Karriere noch einmal umzukrempeln.

Leere am Arbeitsplatz

Rothlin und Werder beschreiben in ihrem Buch, wie die Elemente Langeweile, Desinteresse und Unterforderung zum Boreout führen – während Betroffene gleichzeitig den Eindruck vermitteln, beschäftigt zu sein, um keine Probleme mit dem Arbeitgeber zu bekommen. Das gibt es zwar laut Kremla in gewissen Arbeitssettings: "Was ich als Arbeitspsychologe aber beobachte, ist nicht so oft Langeweile, sondern viel öfter Leere."

Diese Leere – ein Mangel an Sinn – habe durchaus Überschneidungspunkte mit dem Boreout, denn auch sie könne zu einer depressiven Stimmung führen. Wer in seinem Job unterfordert sei, der habe kaum Ziele – und daher auch wenig Erfolg. "Und wenn Sie keinen Erfolg haben, dann fehlt die Anerkennung. Dann fehlt das Gefühl: Ich erreiche etwas", so Kremla.

Viele Arbeitende hätten ein Sinndefizit – eine Problematik, die aufgrund der demographischen Entwicklung Österreichs am Steigen ist: "Wir brauchen alle das Gefühl, etwas Sinnvolles zu arbeiten", erklärt Kremla. Bei älteren Menschen sei das besonders wichtig, damit sie gesund bleiben.

Langeweile in Sinn verwandeln

Doch wie kann einer monotonen Tätigkeit Sinn gegeben werden? "Sinn ist nichts, was von vornherein da ist. Dafür gibt es kein Messgerät", sagt Kremla. Sinn sei aber etwas, was hergestellt werden könne und müsse, indem zum Beispiel die Mitarbeiter davon überzeugt werden, dass ihre Arbeit die Welt ein kleines Stück besser macht. Eine Unternehmensphilosophie, die von der Bank bis hin zur Produktion funktionieren könne. "Wenn dieser Sinn nachvollziehbar wird, dann haben Unternehmen ein gutes Stück der Boreout – und der Burnout Prävention erledigt", so Kremla. Die Faktoren, um beides zu vermeiden, seien nämlich sehr ähnlich und umfassen etwa eine adäquate Arbeitsauslastung, eine gerechte Arbeitsverteilung, ein gutes Team, Anerkennung, klare Werte und Gestaltungsspielraum.

Anerkennung für Burnout

Statistiken zum Boreout gibt es kaum. Philippe Rothlin und Peter Werder beziehen sich in "Diagnose Boreout" unter anderem auf den internationalen Gallup Engagement Index: Darin wird erhoben, wie viele Angestellte sich an ihr Unternehmen gebunden fühlen. In Österreich waren das 2012 lediglich 23 Prozent. Dies deutet zumindest auf eine weitverbreitete Unzufriedenheit am Arbeitsplatz hin.

Trotzdem bekennen sich im Alltag nur wenige zur krankmachenden Langeweile. Ein Grund dafür ist laut Merkle, dass viele Menschen sich dafür schämen. "Wir leben in einer narzisstischen Gesellschaft: Viele von uns wollen immer jung, schön und wichtig sein. Dazu passt es besser, wenn ich mich zu Tode arbeite, als wenn ich mich zu Tode langweile", sagt auch Andreas Kremla. Gesellschaftliche Anerkennung für Burnout-Betroffene gibt es sehr wohl.

Burnout viel weiter verbreitet

Im Moment ist das Burnout jedenfalls weitaus verbreiteter als das Boreout, und das wird in naher Zukunft wohl auch so bleiben: "Die Arbeitswelt wird vielfältiger – nicht reizärmer – daher würde ich nicht sagen, dass die Gefährdung von Unterforderung ansteigt", so Kremla. Kritisch sind laut Merkle aber immer Zeiten von Rationalisierungen, in denen zum Beispiel Betriebe zusammengelegt werden und nicht mehr alle Arbeitsstellen gleich ausgelastet sind.

Auch Menschen, die zu früh in Pension geschickt werden, und Migranten können betroffen sein: Jemand, der zum Beispiel in seinem Heimatland in einem akademischen Umfeld tätig war und in Österreich aufgrund von Sprachproblemen als Lagermitarbeiter arbeiten muss, wird sehr wahrscheinlich mit Unterforderung kämpfen.

Während die beiden Buchautoren Rothlin und Werder die Einzelverantwortung betonen, sehen Merkle und Kremla auch einen großen Teil der Verantwortung bei den Betrieben: Wirtschaftlich können es sich nämlich viele Menschen nicht leisten, einen Job zu kündigen, der sie unterfordert. Neben der erwähnten Sinnstiftung betont Merkle auch die Wichtigkeit von Motivation und von Mitarbeiterschulungen, um Angestellten auch die Möglichkeit zu einer Umstellung zu geben, wenn sie in ihrer derzeitigen Tätigkeit unterfordert sind.

Das gesunde Mittelmaß

Die einen arbeiten bis zum Umfallen, die anderen bekommen ähnliche Symptome durch Nichtstun – richtig ist laut Kremla das Mittelmaß: "Gesund ist immer die Welle: Die Abwechslung von Anspannung und Entspannung." Es kommt also auf die Variation von hohem und geringem Energieeinsatz an: "Dort, wo man immer nur auf hundert Prozent Vollgas fährt wird, man krank. Krank wird man aber auch dort, wo man immer nur in der Nähe der Nulllinie fährt." (Franziska Zoidl, derStandard.at, 24.9.2013)