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UN-Inspektoren entnehmen Sandproben in einem Vorort von Damaskus. Die Untersuchungen haben bewiesen, dass Sarin eingesetzt wurde.

 

Foto: AP Photo/United media office of Arbeen)

Dass in Syrien Chemiewaffen eingesetzt wurden, steht nach der Veröffentlichung des UN-Berichts am Montag fest. Wer dafür verantwortlich ist, darüber gehen die Meinungen am internationalen Diplomatenparkett auseinander. Am Dienstagabend haben die fünf ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrats ihre Beratungen darüber ohne Fortschritte vertagt.

Bei den Gesprächen geht es um eine Resolution, durch die das syrische Chemiewaffenarsenal unter internationale Kontrolle gestellt und schließlich vernichtet werden soll. Russland lehnt es jedoch ab, mit militärischer Gewalt zu drohen, falls Syrien seinen Verpflichtungen nicht nachkommt.

Der Chemiewaffenexperte Dan Kaszeta hegt im Interview mit derStandard.at ohnehin große Zweifel daran, dass die Kontrolle und Vernichtung der syrischen Chemiewaffenbestände derzeit möglich ist. Dass Rebellen für den Angriff am 21. August verantwortlich sind, bei dem mehr als 1.000 Menschen starben, ist seiner Meinung nach aber unwahrscheinlich.

derStandard.at: Am Montag wurde der UN-Bericht zur Verwendung chemischer Waffen in Syrien veröffentlicht, der bestätigte, dass Sarin eingesetzt wurde - das wurde schon im Vorfeld vermutet. Gab es irgendetwas in dem Bericht, das sie überrascht hat?

Kaszeta: Mich hat die geringe Anzahl an Fällen von Miosis (Pupillenveränderung, die beim Einsatz von Sarin auftritt, Anm.) bei den Überlebenden des Chemiewaffeneinsatzes überrascht. Ich hätte angenommen, dass beim Einsatz von Sarin der Anteil deutlich über 50 Prozent liegt. Aber er liegt laut dem Bericht oft darunter. Warum das so ist, ist mir nicht ganz klar.

Eine Theorie dafür wäre, dass die Überlebenden möglicherweise einem Cocktail an chemischen Stoffen ausgesetzt waren. Es könnte sich dabei um den Versuch gehandelt haben, eine binäre chemische Waffe einzusetzen. Das sind chemische Waffen, bei denen mehrere Substanzen getrennt voneinander in einem Geschoß gelagert werden. Der eigentliche Kampfstoff entsteht nach dem Abschuss durch Vermischen der chemischen Stoffe.

Binärwaffen haben den Vorteil, dass sie relativ sicher in der Handhabung sind, allerdings sind sie extrem schwierig herzustellen. Als die USA solche Waffen in den 80er Jahren entwickelten, wurden Abermillionen in die Entwicklung gesteckt - sprich: Es ist wirklich sehr schwierig, solche Waffen richtig herzustellen. Es könnte also durchaus sein, dass es sich um einen missglückten Versuch gehandelt hat, solche Waffen einzusetzen. Aber das ist sehr spekulativ.

Man muss ehrlicherweise sagen, dass die praktischen Erfahrungswerte mit Sarin nicht sehr groß sind. Vieles, was wir über die Auswirkungen wissen, stammt oft noch aus den 50ern, weil der praktische Test an Menschen ja nicht durchführbar ist und Tierversuche nicht immer aussagekräftig sind.

derStandard: Die Frage, die der Bericht nicht beantwortet, ist, wer diese Waffen eingesetzt hat.

Kaszeta: Als ich das erste Mal von dem Vorfall gehört habe, habe ich gemeint, dass es theoretisch möglich wäre, dass auch Rebellen verantwortlich sein könnten. Aber mittlerweile ist klar, dass dieser Vorfall auf einem derart großen Gebiet mit derart vielen Betroffenen stattgefunden hat, dass es für mich sehr unwahrscheinlich erscheint, dass die Parameter diese Angriffs den Rebellen zugeschrieben werden können. Es ist ja nicht so, dass die Rebellen mit vielen Chemiewaffenexperten und entsprechender Ausrüstung gesegnet sind - im Gegenteil.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass das Regime dafür verantwortlich ist.

derStandard.at: Syrien hat nun angekündigt, der Chemiewaffenkonvention beizutreten und seine chemische Waffen zerstören zu wollen. Ist so etwas in der jetzigen Situation überhaupt realistisch?

Kaszeta: Nein, ich glaube nicht, dass so etwas möglich ist. In der gesamten OPCW gibt es nur ca. 130 Inspektoren, die auch noch andere Routineinspektionen in der Welt durchführen müssen. Und selbst wenn sich genügend Inspektoren fänden: Wer beschützt diese dann in Syrien? Man bräuchte viele Inspektoren, man braucht eine logistische Infrastruktur, man braucht Menschen, die sie unterstützen und schützen müssen - insgesamt wären das tausende Personen. Und schickt man so viele Menschen in ein Kriegsgebiet, in dem sich die verschiedenen Parteien gegenseitig töten wollen? Woher sollen diese Leute kommen? Wird Österreich tausende Soldaten schicken, die das machen? Österreich konnte ja nicht mal seine Soldaten auf den Golan-Höhen halten? Ich glaube einfach, dass das sehr unrealistisch ist.

Allein der Prozess der Zerstörung derartiger Kampfstoffe ist schon schwierig. Aber ich kenne niemanden, der so etwas schon jemals in einem Kriegsgebiet gemacht hätte. Es reicht eine einzige Artilleriegranate und es gibt ein riesiges Desaster.

derStandard.at: Angenommen es gäbe eine gewisse Stabilität oder ein Waffenstillstandsabkommen in Syrien: wieviele Personen würde man brauchen, um die Chemiewaffenbestände zu kontrollieren?

Kaszeta: Das käme ganz darauf an, wieviele Stätten mit chemischen Kampfstoffen es gibt und genau das wissen wir derzeit noch nicht. Sind es nur fünf oder sechs, ist das eine Sache, aber wenn es 50 oder 60 Stätten sind, wird es sehr, sehr problematisch. Und selbst wenn es ein Waffenstillstandsabkommen oder Ähnliches gäbe: Allein Chemiewaffen von einem Ort zum anderem Ort zu transportieren ist schon gefährlich. Was ist, wenn es Personen gibt, die sich nicht an einen Waffenstillstand halten? Und wer kann schon einen Waffenstillstand mit Gruppen wie Al-Kaida aushandeln?

derStandard.at: Im Irak kam es ja bekanntermaßen zu einem Katz-und-Maus-Spiel mit den UN-Inspektoren. Wie leicht kann man chemische Kampfstoffe eigentlich verstecken?

Kaszeta: Die können sehr leicht versteckt werden. Das Problem ist, dass eine chemische Artilleriegranate oder eine Rakete, die mit chemischen Kampfstoffen bestückt ist, genauso aussieht, wie jede andere Artilleriegranate oder Rakete. So etwas funktioniert nur, wenn das Gegenüber fair und ehrlich ist. Unglücklicherweise haben die Syrer nicht unbedingt eine Vorgeschichte an Fairness und Ehrlichkeit, was das betrifft.

derStandard.at: Angesichts der Diskussionen der letzten Tage ist die Gefahr von Proliferation (Weiterverbreitung, Anm.) von chemischen Waffen in den Medien in den Hintergrund getreten. Bei so großen Chemiewaffenbeständen, wie sie in Syrien vermutet werden, wie groß ist die Gefahr in der derzeitigen chaotischen Situation, dass sie in Hände von zweifelhaften Gruppen oder Staaten fallen?

Kaszeta: Ich glaube das ist ein sehr ernstes Problem. Dabei wäre ich weniger besorgt, dass mit chemischen Kampfstoffen bestückte Raketen von Gruppen wie der Al-Kaida abgefeuert werden. Ich mache mir vielmehr Sorgen darüber, dass die chemischen Stoffe, die in so einer Rakete stecken, in improvisierten Sprengkörpern oder Ähnlichem verwendet werden können. So etwas könnte furchtbare Folgen haben. Es reicht eine Kaffeetasse Sarin, um jede Person an Bord eines Passagierjets zu töten und folglich die Maschine zum Absturz zu bringen. Und glauben sie mir: in einer einzigen mit chemischen Kampfstoffen bestückten Rakete sind viele Kaffeetassen Sarin enthalten.

derStandard.at: Wie kann man dieser Gefahr begegnen?

Kaszeta: Ich arbeite in diesem Bereich seit 22 Jahren. Wenn ich darauf eine einfache Antwort hätte, hätte ich darüber schon ein Buch geschrieben und wäre berühmt geworden. Aber es ist wie beim Krebs: Es gibt nicht ein einzelnes Heilmittel, sondern nur viele unterschiedliche Möglichkeiten, ihn zu bekämpfen. (Stefan Binder, derStandard.at, 18.9.2013)