Faymann zur Debatte um durch den SPÖ-Klub finanzierte Plakate: "Die Diskussion hat mich aber veranlasst, ganz klar zu sagen, das zahlt die Partei, damit ist diese Causa beendet."

Foto: STANDARD/Corn

STANDARD: Sind Sie mit Ihrem Wahlkampfleiter laut geworden, nachdem Sie mit der fragwürdigen Finanzierung der SPÖ-Plakate durch den SPÖ-Parlamentsklub konfrontiert worden sind?

Faymann: Laut werde ich praktisch nie, das passiert bei mir ganz selten. Aber ich habe den Klubobmann und den Wahlkampfleiter natürlich gefragt, wie sie den rechtlichen Standpunkt geprüft haben. Sie haben mir gesagt, sie haben einen Anwalt und juristische Mitarbeiter befragt und waren der Meinung, das ist rechtlich in Ordnung und für den Klub eine Möglichkeit, im Wahlkampf mit Öffentlichkeitsarbeit tätig zu werden. Die Diskussion hat mich aber veranlasst, ganz klar zu sagen, das zahlt die Partei, damit ist diese Causa beendet.

STANDARD: Warum hat denn die Partei überhaupt auf Parlamentsgelder zurückgegriffen?

Faymann: Das waren Gelder des SPÖ-Klubs. Und der Klubobmann hat diese Ansicht vertreten. Für mich ist diese Ansicht mit der Klugheit im Nachhinein vorbei. Es wird die unabhängige Behörde entscheiden, wie man das in zukünftigen Wahlkämpfen handhabt. Es bleibt aber jedenfalls dabei: Die Plakate zahlt die SPÖ und nicht der Klub. Mir ist Korrektheit besonders wichtig. Aber ich mach mir das in der eigenen Mannschaft aus - wie das jeder gute Kapitän machen würde.

STANDARD: Wie leicht oder wie schwer tut sich denn die SPÖ mit der Einhaltung der Wahlkampfkostenobergrenze von sieben Millionen Euro?

Faymann: Der Wahlkampfleiter sagt mir: leider zu leicht. Die SPÖ ist keine reiche Partei und hat auch keine Großspender. Bei der SPÖ ist das Herz und das Engagement höher als der Kassastand.

STANDARD: Ihr größtes Problem scheint die Mobilisierung der eigenen Leute zu sein. Die Umfragewerte sind gut, der nächste Kanzler wird Werner Faymann heißen ...

Faymann: Da müssen wir auf Holz klopfen!

STANDARD: Wie schwer ist denn, die eigenen Leute zu mobilisieren?

Faymann: Heute hat eine junge Frau zu mir auf der Straße gesagt: "Ich freu mich, dass Sie wieder der Kanzler werden." Ich habe ihr gesagt, der Wahltag wird das entscheiden. Es entscheidet ja nicht die Mehrheitsmeinung in einer Umfrage. Darum nutze ich noch jeden Tag und sage: Bitte hingehen und wählen. Ich möchte keine schwarz-blaue Überraschung erleben.

STANDARD: Wie glaubwürdig ist es denn, vor Schwarz-Blau zu warnen? Das wird sich aller Voraussicht nach nicht ausgehen.

Faymann: Sehr glaubwürdig! Sollte der Herr Vizekanzler tatsächlich Erster werden, sucht er sich den Partner aus. Na wen wird er sich aussuchen? Wir haben schon einmal Schwarz-Blau gehabt. Und wenn Sie die Frage der Mehrheit ansprechen, muss man sagen: Mit ein paar Stronach-Abgeordneten könnte sich das ausgehen. Eine Koalition Schwarz-Blau-Stronach ist nicht unrealistisch.

STANDARD: Sie kennen Michael Spindelegger doch ganz gut. Ist ihm das tatsächlich zuzutrauen?

Faymann: Ja. Er schließt das ja auch nicht aus. Er bräuchte nur die FPÖ als Partner ausschließen, wie wir das tun. Angela Merkel würde keine zehn Minuten zögern, eine Partei wie die FPÖ, die derartige Gehässigkeiten verbreitet und solche Probleme mit der Abgrenzung zum Rechtsextremismus hat, als Partner auszuschließen. Ich verstehe nicht, warum Spindelegger eine Zusammenarbeit mit der FPÖ nicht ausschließt. Er lässt sich diese Türe offen. Daher kann man gar nicht oft genug davor warnen. Wenn ich den Regierungsauftrag bekomme, verspreche ich: Es gibt keine Verhandlungen mit der FPÖ zur Regierungsbildung. Unter keinen Umständen, da gibt es kein Wenn und Aber und keine Ausnahmen.

STANDARD: Das ist doch seltsam, wenn der rote Bundeskanzler aus Österreich die schwarze Bundeskanzlerin aus Deutschland als Zeugin anführt.

Faymann: Das mach ich doch auch bei der Erbschafts- und Schenkungssteuer. Und beim Rechtsanspruch auf eine Kinderbetreuung. In Österreich sprechen noch einige von einem Zwangskindergarten. Das will weder ich noch sonst jemand. Der einzige Zwang bei uns besteht jetzt darin, dass es bisher kein ausreichendes Angebot gibt, dass man gezwungen wird, sich etwas anders zu überlegen. Ich habe mit Angela Merkel mehrere Überschneidungspunkte, aber es gibt auch etliche Unterschiede. Aber beim politischen Anstand, bei der Anständigkeit treffen wir uns. Ich habe keinen Zweifel, dass jemand wie sie die FPÖ ausschließen würde.

STANDARD: Es gibt doch dieses Zitat von Angela Merkel. Sie hat angeblich gesagt: "Faymann kommt mit keiner Meinung zu mir und geht mit meiner wieder hinaus." Stimmt das?

Faymann: Das hat sie nie gesagt! Das gehört zu jenen Latrinengerüchten, wo  man, wenn man sie oft genug wiederholt, vielleicht einmal jemanden findet, der das glaubt. Es stimmt aber nicht, das sagt sie nicht. Und das denkt sie auch nicht.

STANDARD: Die ÖVP hat sie als "Lügenkanzler" bezeichnet. Wie verlockend ist denn da die Aussicht auf eine Fortsetzung dieser Koalition?

Faymann: Ich muss da Michael Landau zitieren: Beim Zerschlagen des Porzellans sollte man daran denken, dass man mit diesem Porzellan danach wieder den Tisch decken muss. Ich bedaure diese Entwicklungen im Wahlkampf. Ich glaube, es bringt keinen einzigen Wähler, wenn man den anderen einfach abqualifiziert. Es passt weder zu Michael Spindelegger noch zu mir, noch zu der Art von Zusammenarbeit, die wir sonst pflegen.

STANDARD: Im Wahlkampf werden auch inhaltliche Unterschiede sichtbar. Die schwarze Innenministerin warnt vor einer "Verstaatlichung der Kinder" und meint damit Zwangskindergarten wie Ganztagesschule. Die SPÖ betreibe eine Familienpolitik wie in der DDR. Was sagen Sie dazu?

Faymann: Das ist absurd. Die Industriellenvereinigung stimmt mit uns in allen wesentlichen Faktoren überein. Ich kenne überhaupt keinen fortschrittlichen Politiker, egal aus welchem Lager, der nicht genau weiß, dass es bei der Kinderbetreuung nicht um einen Zwangskindergarten geht, sondern um ein ausreichendes Angebot. Wir brauchen ein flächendeckendes Angebot. Der Kindergarten darf nicht zu Mittag zusperren. Jemand, der berufstätig ist, kann nicht einfach zu Mittag nach Hause gehen. Und der Kindergarten kann nicht einfach zwölf Wochen im Sommer zuhaben, es hat niemand zwölf Wochen Urlaub. Die Kinderbetreuung unter drei ist genauso wichtig wie für Kinder zwischen drei und fünf. Wir müssen die weißen Flecken auf der Landkarte beseitigen.

STANDARD: Soll es Ihrer Meinung nach einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung geben?

Faymann: Ja, es sollte diesen Rechtsanspruch geben. Wir arbeiten daran. Wir wollen das machen, brauchen aber ein paar Jahre Vorlauf, da muss man einiges mehr bauen. Aber das ist gut investiertes Geld. Es gibt schlecht investiertes Geld, in Bürokratie oder die Hypo-Haftung. Das hat etwas mit Fortschritt zu tun, dass Frauen, die arbeiten gehen, zu Recht die Frage stellen, wie ist das vereinbar. Mittlerweile sind sich alle einig, die in der Pädagogik nicht von vorgestern sind, dass gerade die Kinderbetreuungseinrichtungen einen so wichtigen Lerneffekt und einen Kreativeffekt für Kinder im richtigen Alter haben. Da entscheidet sich, wie wir die Ressourcen unserer Gesellschaft nutzen. Da geht es darum, Fähigkeit von Kindern früh zu fördern. Das nicht zu sehen und von einer Verstaatlichung von Kindern zu reden ist wirklich traurig.

STANDARD: Was halten Sie davon, die Kindergartenpflicht auf zwei Jahre auszudehnen?

Faymann: Wir haben das in unserem Wahlprogramm. Auch Staatssekretär Kurz und die Sozialpartner haben sich zuletzt in diese Richtung geäußert. Aber die Darstellung, nur weil man ein Angebot schafft, ist es Zwang, das ist ja ganz verkehrt. Wenn heute jemand in einer kleinen Gemeinde in Österreich eine Kinderbetreuungseinrichtung will, muss er zum Bürgermeister gehen. Das heißt Bedarfserhebung. Er muss sagen, ich brauche das. Dann gibt es da unterschiedliche Regeln. Manche haben die Regel, ab drei wird einer geschaffen. Ja was ist denn das für ein Demütigungsritual, da müssen Menschen für eine Kinderbetreuungseinrichtung betteln gehen. Und dann schaut der Bürgermeister mit traurigen Augen und sagt, das kostet aber viel Geld. So ein Ritual brauchen wir für unsere Kinder nicht. Es gibt da nur eine Möglichkeit: Wir müssen das Angebot so weit ausbauen, dass ein Rechtsanspruch möglich ist.

STANDARD: Die Meinung der SPÖ zur Gesamtschule und zur Ganztagesschule ist ja bekannt, aber man kennt auch die der ÖVP. Wenn es wieder eine Koalition gibt, müsste man davon ausgehen, dass die SPÖ ihre Anliegen auch in der nächsten Legislaturperiode in diesem Bereich nicht umsetzen kann, weil die ÖVP eben dagegen ist.

Faymann: Deshalb gehöre ich da zu den weltoffenen Optimisten, weil ich überzeugt bin, dass wir uns da durchsetzen werden. Es gibt auch in der ÖVP immer mehr Landeschefs und Bürgermeister, vor allem im Westen, die unseren Standpunkt vertreten. Diese Idee, es darf nie ganztägig sein, weil da "stellt es einem die Nackenhaare auf", war da so ein Zitat, das ist nicht der Zeitgeist, auch nicht in Salzburg, Tirol oder Vorarlberg.

STANDARD: Ist Spindelegger da hinter der ÖVP-Linie?

Faymann: Da ist er zumindest hinter dem, was im Westen Österreichs oder bei der Industriellenvereinigung vertreten wird. Aber ich weiß, dass Bildung der Schlüsselfaktor für die Zukunft ist, daher habe ich viel Rückenwind. Und was braucht man beim Verhandeln? Man muss Erster sein und den Regierungsauftrag kriegen. Wenn es geht, gestärkt, damit die Argumente mehr wiegen. Dann braucht man Rückenwind in der öffentlichen Diskussion. Wir führen ja keine Geheimverhandlungen. Daher ist es auch so wichtig, dass man im Wahlkampf sagt, was Sache ist. Wir sollten die letzten Tage im Wahlkampf für eine inhaltliche Diskussion über Bildung, Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik und Gesundheitspolitik nutzen. Mit Beschimpfungen ist ohnehin kein Staat zu führen.

STANDARD: Der Vizekanzler ist schon ganz entfesselt. Was ist mit Ihrer Entfesselung?

Faymann: (Lacht) Das Wichtigste wäre eigentlich, dass man jetzt einmal auch etwas zustande bringt, beim Lehrerdienstrecht zum Beispiel.  

STANDARD: Können Sie das wichtigste Projekt für die nächste Legislaturperiode benennen?

Faymann: Das Wichtigste ist eine Beschäftigung, von der man leben kann. Dafür braucht es verschiedene Projekte. Da ist sicher Bildung der zentrale Punkt, Platz eins. Zweitens Forschung, Entwicklung, Konjunkturprogramme. Wenn ich eine Reihenfolge machen müsste, würde ich sagen, Platz eins Bildung, Platz zwei Forschung, Entwicklung und Konjunkturprogramme.

STANDARD: Bis auf Platz eins wird sich mit der ÖVP alles umsetzen lassen. Nur das Wichtigste eben nicht.

Faymann: Das wird eine harte Auseinandersetzung, aber wir haben viele Verbündete. Da ist schon einiges in Bewegung. Ich muss ehrlich sagen, dass ich bei Josef Pröll bei diesen Themen mehr Bewegung gesehen habe als bei Michael Spindelegger. 

STANDARD: Auf der Homepage des Bundeskanzleramts sind die Interviews abgebildet, die Sie gegeben haben. Gleich 35 Interviews mit "Österreich", nur zwei Interviews mit dem STANDARD ...

Faymann: Da haben sich aber schon "Österreich" und ich darüber beschwert, woher diese Recherche stammt. Das ist doch undenkbar, dass ich einer Zeitung 35 Interviews gebe.

STANDARD: Die Quelle ist das Bundeskanzleramt.

Faymann: Aber bitte, ein gut recherchierender Journalist weiß doch, 35 Interviews sind eine Menge. Die Frage ist, ob die nur ein Zitat übernommen haben oder eine Aussage aus dem ORF ...

STANDARD: Wie auch immer, das ist jedenfalls ein großer Unterschied. Was macht denn "Österreich" besser als der STANDARD, dass Sie sich lieber dort äußern?

Faymann: So ist das nicht, wirklich nicht. Das würde ich nie sagen, das denke ich auch nicht. Man hat im Bundeskanzleramt mit allen gut zu arbeiten, aber wenn "Österreich" wesentlich öfter eine Aussendung übernimmt, möchte ich umgekehrt sagen, warum kann der STANDARD nicht öfter etwas, wo ich mich als Bundeskanzler bemühe, engagiere, kämpfe, warum kann der STANDARD nicht mehr davon berichten? (Michael Völker, DER STANDARD, Langfassung, 14.9.2013)