Shanghai ist die Welthauptstadt des Knödels. Zumindest sehen das viele Shanghaier so. Es gäbe überhaupt keine Knödel, die nicht aus Shanghai kommen, hat mir ein patriotischer Shanghaier erklärt, als ich ihn gefragt habe, was denn der Unterschied zwischen Knödeln aus Shanghai und solchen aus anderen Gegenden Chinas sei. Der einzige Unterschied sei, dass alle anderen Knödel, etwa die Hong Konger Shrimpsknödel, bloß Kopien sind, so der Mann. Abgeschaut von den genialen Knödelköchen seiner Stadt. (Grammel-, Mohn-, Germ- oder andere europäische Knödel hat er natürlich nicht gemeint, aber es ist fraglich, ob er sie als Knödel gelten lassen würde.) Ein anderer Koch hat mir dann doch noch geholfen und erklärt, dass Shanghaier Knödel stärker gewürzt und süßer sind als ihre Kollegen im Rest Chinas.

Jedenfalls: Was den Sichuanern die Nudel(suppe) und den Cantonesen das knusprig gebratene Schwein, ist dem Shanghaier der Knödel. An jeder Ecke der Stadt ist ein Geschäft zu finden, das Knödel verkauft, sei es gekocht, mit oder ohne Suppe, gebraten oder frittiert. Am berühmtesten ist wohl der Xiaolongbao, der Schweinssuppen-Knödel. Das besondere an ihm ist, wie der Name vermuten lässt, dass er neben Fleisch auch eine ordentliche Portion Suppe enthält. Der Unwissende, der erstmals stürmisch in ihn beißt, verbrennt sich daher an ihm schnell und nachhaltig den Mund.

Der Wissende (oder gerade belehrte) aber genießt ein Kleinod der Knödelmacher-Kunst: Geschmeidiger Teig umschließt saftiges, gelatineklebriges Schwein, die Suppe schillert in verschiedensten Aromen zwischen Fleisch, Ingwer, Chili oder Shaoxing-Wein. In den Knödel kommt die Flüssigkeit, indem sie kalt unter das Fleisch gemischt wird, wenn sie geliert ist. Wenn der Xiaolongbao erhitzt wird und gart, ändert sie wieder ihren Aggregatzustand. Der Trick zum schmerzfreien Essen des Konstrukts: Knödel auf einen Löffel legen, mit dem Stäbchen aufstechen, Suppe ausrinnen lassen, blasen und vom Löffel schlürfen. Das tut nicht weh und schmeckt wunderbar.

Foto: Tobias Müller

Besonders berühmt sind jene Knödel von Din Tai Fung, sehr zum Leidwesen der Shanghaier eine taiwanesische Knödelkette, deren Taipei Niederlassung von der New York Times einst unter die zehn besten Restaurants der Welt gewählt wurde. Deren Rezept kann ich leider nicht bieten. Dafür waren andere so nett, mich in ihre Kunst einzuweihen: Die Knödelchefin des Hotel Massenet, eines Shanghaier Luxushotels, hat mich in ihre Küche gelassen. Verdanken tue ich das einem ihrer Kollegen: Peter Troissinger, einst Entwicklungskoch im Steirereck, jetzt Chefkoch des westlichen Restaurants des Hotels und ein großartiger Gastgeber. Nochmals: Danke!!!

Beim Chinaknödelmachen nicht zu unterschätzen ist die Bedeutung der Form: ein gut geformter Xiaolongbao sieht nicht nur schön aus, die richtige Technik stellt auch sicher, dass der Esser nicht auf einem Teigbatzen herumkaut oder der Knödel reißt und die Suppe frühzeitig vergießt. Zudem gelten schöne, elegante Knödel-Falten als Ausweis für das Geschick des Kochs. Ich habe mich leider als beachtlich untalentiert beim Knödelformen erwiesen, Peter Troissinger war da deutlich besser. Damit hier niemand ausschließlich auf meine nicht wirklich kompetenten Erklärungen angewiesen ist, sind diesmal ein paar sehr kurze Videos inkludiert.

Kurz zu den Dampfgarern: Chinesen dämpfen alles, vom Suppenfleisch über Gemüse und Knödel bis zum Brot. Vor allem in der Früh kommt man hier in jeder Gasse an Türmen dampfender Bambuskörbe vorbei, die mit Süßem, Saurem und Salzigem gefüllt sind. Jede professionelle chinesische Küche hat daher eine eigene Dampfgar-Station – ein einfacher Bambuskorb und ein Topf Wasser tut es aber auch.

Foto: Tobias Müller

Beim Kauf sollten Sie nur darauf achten, dass Ihre Körbe genau auf Ihre Töpfe passen. Generell zeichnet sich ein guter Dampfgarer dadurch aus, dass sein Rahmen fest ist und die Bambusspäne fest verwoben sind – dass also nirgendwo Lücken sind, durch die der Dampf entweichen könnte. Laut meiner Knödelexpertin qualitativ besonders hochwertig: Die Körbe der Firma Almond Road.

Schweinssuppenknödel, selbst gemacht

Am Anfang steht die Suppe. Wer faul ist, der nimmt einfach Suppenwürfel, Wasser und Gelatine, das Ergebnis überzeugt aber meiner Meinung nach nicht so recht. Besser ist es, einen ordentlichen Schweinsfußfond zu kochen und gelieren zu lassen, ganz so, als würde man eine Sulz machen. Das Massenet geht es puristisch an und packt in seinen Fond nichts außer Schwein. Wer will, der schmeißt nach Lust und Laune andere Aromastoffe wie Ingwer, Wurzelgemüse oder Chili dazu. Knochen mit Wasser bedecken, kurz aufkochen, abgießen, und erneut mit kaltem Wasser bedecken. Würzmittel dazu werfen, langsam erhitzen und drei, vier Stunden sieden lassen.

Ist der Fond fertig, folgt der Teig: Die Chinesen unterscheiden zwischen Kuchen- und Brotmehl, was wiederum damit zu tun hat, wie viel Gluten das Mehl enthält. Für die Knödel empfiehlt die Knödelchefin des Massenet eine Mischung aus fünf Teilen Kuchen- und einem Teil Brotmehl. Wer nur Allroundmehl bekommt, sollte sich davon aber nicht schrecken lassen.

300 Gramm Mehl, ein Eiweiß und 200 Milliliter Wasser langsam zu einem Teig mischen, zwei, drei Minuten durchkneten und eine halbe Stunde zugedeckt rasten lassen. Das Ergebnis ist ein relativ trockener fester Teig, der nun mehrmals durch die Nudelmaschine gerollt werden sollte, bis er seidig und geschmeidig wird. Der Teigteil, mit dem Sie gerade nicht arbeiten, sollte stets in Plastik gewickelt bleiben, um nicht auszutrocknen. Wer will, kann das ganze einen Tag vor dem Essen vorbereiten.

Foto: Tobias Müller

Für die Füllung empfiehlt sich der Nacken des Schweins: Nicht langweilig trocken, aber auch nicht übermäßig fett. In Würfel schneiden, salzen, zuckern (etwa 1,5 Prozent des Fleischgewichts, 500 Gramm Fleisch = 7,5 Gramm Zucker) und durch den Fleischwolf drehen.

Foto: Tobias Müller

Wie immer beim Faschieren gilt: Das Fleisch sollte möglichst kalt sein (und bleiben), damit das Fett nicht schmiert. Wer keinen Fleischwolf hat, der kann auch nach dem Faschieren würzen. Vor dem Füllen etwas Sesamöl und die kalte, gelierte Suppe untermischen: auf 500 Gramm Fleisch sollten etwa 200 Milliliter Suppe kommen. Mit einem Spritzer (Reis)Essig abschmecken.

Das Knödelbasteln ist der mit Abstand schwierigste Teil: Rollen Sie ein Stück Teig in eine fingerdicke Wurst und teilen sie diese wiederum in etwa zwei Zentimeter lange Stücke.

Foto: Tobias Müller

Wuzeln Sie die Stücke zu einer Kugel und pressen Sie sie auf einer bemehlten Fläche flach. Walzen Sie sie wie im Video zu sehen flach und rund aus: Rollen Sie mit einem Nudelholz über den halben Batzen, dann drehen Sie ihn um eine Vierteldrehung, walzen wieder über die Hälfte, drehen ihn um einen Vierteldrehung....

Foto: Tobias Müller

Wenn er dünn und rund ist, packen Sie etwas Schweinsfüllung (nicht zu viel!) fest hinein, sodass eine Art Schüssel mit Rändern entsteht.

Foto: Tobias Müller

Legen Sie das Ganze in ihre linke Hand, heben mit Ihrem Zeigefinger den Teigrand etwas an und halten mit ihrem Daumen die Füllung nieder. Mit dem Zeigefinger der rechten Hand ziehen Sie nun ein kleines Stück Teigrand lang und drücken es mit dem Daumen gegen den Rest des Teigrandes. Währenddessen drehen Sie den ganzen Knödel immer wieder ein Stück.

Foto: Tobias Müller

Am Ende drücken Sie ihr Kunstwerk oben zusammen und, je nach Ergebnis und Frustrationstoleranz, verzweifeln entweder langsam oder sind mächtig stolz auf sich. Wenn Sie die Anleitung nicht verstanden haben, sehen Sie sich einfach das zweite Video an.

Foto: Tobias Müller

Packen Sie ihre Knödel in den Dampfgarer, stellen ihn über kochendes Wasser und garen Ihre Knödel für etwa sieben Minuten. Die fertigen Xiaolongbao werden im Garer serviert, bei Interesse in eine 1:1 Mischung aus Reisessig und Sojasauce getunkt und, siehe oben, vorsichtig verspeist.

Anmerkungen: Das war der letzte Chinablog, ab nächstem Mal wird wieder aus der heimischen Küche gegrüßt. Der Zwei-Wochenrhythmus bleibt erhalten, die vergangenen Blogs erschienen bloß sommerbedingt kürzer hintereinander – wäre schade um die Artischocken- und Gurkensaison gewesen. (Tobias Müller, derStandard.at, 15.09.2013)

Videos

Teig ausrollen


Füllen