Kira Kirsch, leitende Dramaturgin und Kuratorin beim Steirischen Herbst.

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STANDARD: Das Leitmotiv 2013 lautet "Liaisons dangereuses - Alliancen, Mesalliancen und falsche Freunde". Welchen Hintergrund hat es?

Kirsch: 2012 ging es mit "Truth is concrete" sehr direkt um den Zusammenhang von Kunst, Politik und Aktivismus. Aus der Überlegung, was passiert in den Transformationsprozessen nach einer Revolution, sind wir auf das heurige Leitmotiv gekommen. Wie und zu welchen Bedingungen schließen sich Allianzen, inwieweit muss man Koalitionen und Kompromisse eingehen? In welchen Beziehungssystemen sind wir nicht nur politisch und gesellschaftlich, sondern auch privat verhaftet? Wie bilden sich darin ebenfalls Macht- und Missverhältnisse ab?

STANDARD: Wie wird dieses Leitmotiv im Bereich Theater / Performance / Tanz ausgedrückt?

Kirsch: In der Kategorie Liebesheirat würde ich etwa die Zusammenarbeit der italienischen Performer Dewey Dell mit den japanischen Künstlern Kuro Tanino und Yuichi Yokoyama nominieren. Ein anderes Beispiel wäre Massimo Furlan, der sich für seine Performance Gym Club von Arnold Schwarzenegger inspirieren ließ. Er beschäftigt sich mit Bodybuilding als Körpertransformation, die ein rein ästhetisches Ziel hat und vermutlich mehr der Kategorie Autoerotik zuzuordnen ist: Es geht darum, den Körper nach eigenen Vorstellungen zu formen, zu verändern, was teilweise sogar die Funktionalität beeinträchtigt.

STANDARD: Mehreren Stücken liegen literarische Texte zugrunde, bei Fumiyo Ikedas / Un Yamadas "amness" einzelne Worte - ist Sprache ebenfalls ein Aspekt?

Kirsch: Die Künstlerinnen und Künstler, die wir eingeladen haben, arbeiten stark an den Grenzen ihres Genres. Sprache ist dabei ein möglicher Fokus. Anne Juren, Fumiyo Ikeda oder Un Yamada etwa versuchen, Strukturen der Sprache in ihre tänzerische Arbeit einzubeziehen. Das Theater im Bahnhof nimmt Hans Leberts Roman Die Wolfshaut direkt als Ausgangspunkt für ihre Arbeit und Ann Liv Young in Sleeping Beauty arbeitet stärker mit Bildern und weiblichen Stereotypen als mit dem Text an sich.

STANDARD: Die Werke von Amund Sjolie Sveen und Daniel Kötter / Hannes Seidl beschäftigen sich mit der heutigen Finanzwelt - sind das die "wirklichkeitsnahesten" Stücke?

Kirsch: Wirklichkeitsnah insofern, als Daniel Kötter und Hannes Seidl in Kredit Mittel des Dokumentarfilms nutzen und mit dem Chor der Deutschen Bundesbank reale Protagonisten der dokumentierten Szene auch live auf der Bühne agieren. Amund Sjolie Sveen hat sich bei Economic Theory for Dummies gefragt, wie die globalen Zusammenhänge von Wirtschaft und der Krise funktionieren, und präsentiert tatsächlich eine sehr konkrete Lecture-Performance, in der er die Welt des Finanzwesens analysiert. Da kann man noch richtig was lernen.

STANDARD: Wie ist es mit dem Thema Natur, beispielsweise beim "forest project" von united sorry ?

Kirsch: Im forest project untersucht eine Gruppe von Künstlern ihr Verhältnis zur Natur, im konkreten Fall zum Wald, und stellt sich den Herausforderungen, über Wochen ebendort zu proben. Was ändert sich in einem selbst, wenn man sich der Natur aussetzt? Was ist unsere heutige Verbindung zur Natur, inwiefern ist der Wald noch immer unser Sehnsuchtsort?

STANDARD: Was würden Sie als sehr klassisches, was als sehr ausgefallenes Werk empfehlen?

Kirsch: Als eher klassische Werke würde ich Federico León mit Las Multitudes und Kris Verdonck mit H, an incident empfehlen. Ganz ausgefallen wird sicher Dewey Dell mit Marzo, einer getanzten Liebesgeschichte im Science-Fiction-Setting, mit japanischer Poesie und technoiden Soundlandschaften. Auch Ann Liv Young ist auf jeden Fall sehr unkonventionell. (Sabina Zeithammer, DER STANDARD, 12.9.2013)