Wahrscheinlich waren es tausende Hotels, in denen Moby im Rahmen seiner Tourneen untergebracht war. Das "Do not disturb"-Schildchen ist ihm dabei das wichtigste Utensil.

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Dass Moby eine besonders innige Beziehung zu Hotels hat, zeigt er auch in Form seines 2005 erschienenen Albums "Hotel" - hier das Cover der CD.

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Das neue Album "Innocents".

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Es waren hunderte, nein, tausende Hotels, in denen der 48-jährige Techno-DJ Moby, eigentlich Richard Melville Hall, in seiner 25-jährigen Karriere übernachtet hat. So genau weiß er es selbst nicht mehr. "In Brüssel steige ich gewöhnlich im Hotel Amigo ab, im Zimmer 406. Im Landmark Hotel London habe ich Zimmer 433", sagt er. Jetzt sitzt er bei einer Tasse Tee in der Kennedy-Suite des Kölner Hotels Hyatt Regency, Blick auf Dom und Rhein. Ein schwarzes Klavier steht an der Wand. "Bevor Sie gekommen sind, habe ich gerade noch gespielt, etwas Jazz, etwas Gospel", sagt der Musiker, der sich in Anlehnung an seinen Urururgroßonkel Herman Melville, den Autor des "Moby Dick", Moby nennt. Der überzeugte Veganer wuchs in der Nähe von New York auf und lebt seit kurzem in Los Angeles.

STANDARD: Mr. Hall, wie gefällt Ihnen die Suite?

Moby: Sie erfüllt grundsätzlich meine Kriterien. Ich brauche eine funktionierende Klimaanlage, drahtloses Internet, weil ich auf Reisen kein Kabel mitnehme, warmes Wasser - und das Zimmer darf nicht riechen.

STANDARD: Das weiß man vorher leider nicht.

Moby: Kürzlich war ich im Pariser Park Hyatt, das einen Parfümeur beauftragt hat, einen Duft für das Hotel zu kreieren. Der roch erdig, ein wenig nach Moschus, an den Wänden hingen Spender und verteilten den Geruch überall. Meine Sachen rochen noch Tage später danach. Das kann ich genauso wenig ertragen wie Zigarettenqualm. Fahren Sie mal in die Mittelmeerländer, die arabischen oder osteuropäischen Staaten. Da gehört für viele Geschäftsmänner starkes Rauchen noch immer zum Geschäftsgebaren. Und das riecht man in einigen Zimmern.

STANDARD: Schauen Sie sich die Hotels vorher im Internet an?

Moby: Meine Assistentin schickt mir einen Link, den schaue ich mir an und entscheide in zwei Sekunden, ob das Hotel gut ist oder nicht. Sehen Sie, da bin ich wie ein Eskimo, dem Sie ein Bild eines Schneefeldes zeigen - und er Ihnen sofort sagen kann, was für eine Art von Schnee das ist, ob man darin Nahrungsmittel aufbewahren oder Iglus bauen kann. Ich bin Experte für Hotels, zeigen Sie mir Fotos eines Hotels, und ich sage Ihnen, was Sie erwartet.

STANDARD: Ein Bild von diesem Hotel sagt was?

Moby: Ein ordentliches Businesshotel der gehobenen Klasse, gebaut in den 80er-Jahren.

STANDARD: Wie hat Ihr Expertendasein angefangen: Können Sie sich noch an Ihre erste Hotelübernachtung erinnern?

Moby: Das war 1972, ich flog mit meinen Großeltern nach Minnesota, und wir übernachteten in Minneapolis für eine Nacht. Ich hatte noch nie ein Schlafzimmer gesehen, das auf der 12. Etage lag. Als ich das Fenster öffnete, hörte ich Polizeisirenen und Taxihupen, bei uns zu Hause auf dem Land hörte ich nichts - und ich fühlte mich wie eine Figur in einem Philip-Marlowe-Roman von Raymond Chandler.

STANDARD: Spielt die Etage heute eine Rolle, wenn Sie ein Zimmer buchen?

Moby: Nein, ich will nur so weit weg wie möglich von den Fahrstühlen wohnen. Zu oft habe ich es erlebt, wie das Zimmer vibrierte, wenn der Lift sich bewegte.

STANDARD: Was machen Sie zuerst, wenn Sie ein Zimmer betreten?

Moby: Ich schaue aus dem Fenster, ob es eine Baustelle in der Nähe gibt. Morgens um halb acht will ich nicht von Bauarbeitern, Bohrmaschinen und Presslufthammern geweckt werden. Entweder ziehe ich in ein ruhiges Zimmer auf der anderen Seite des Hotels oder gleich in ein anderes Haus.

STANDARD: Verändern Sie etwas im Zimmer?

Moby: Ich räume nur ein bisschen auf. Überall im Zimmer liegen oft Zettel oder Broschüren herum: Wie ich Frühstück ins Zimmer bestelle, wo es die besten Partys und das größte Steak der Stadt gibt. Interessiert mich nicht. Ich sammle die Broschüren ein und lege sie in den Schrank. Ansonsten verändere ich nichts. Wissen Sie, was das Schlimmste an Hotels ist?

STANDARD: Verraten Sie es uns.

Moby: Boutique-Hotels, die von Menschen entworfen wurden, die offensichtlich nie in Hotels übernachten. Sonst wüssten sie, dass niemand 20 Minuten damit verschwenden will, um so eine Klimaanlage zu verstehen. In Madrid gibt es das Hotel Puerta America, jede Etage hat ein anderer Designer entworfen. Ich hatte das Pech, auf der Zaha-Hadid-Etage zu landen. Alles war aus weißem Plastik, selbst der Fußboden.

Es war, als schliefe ich in einem iPod, der mit einer Klapsmühle gekreuzt war. Der einzige Ort, wo es WLAN gab, war nahe dem Schrank, sodass ich die ganze Zeit dort auf dem Boden saß. Und erst die Lichtschalter. Neben der Tür gab es ein Display, auf dem man Symbole anklickte. Ich klickte mich durch verschiedene Ebenen, öffnete nebenbei noch das Fenster im Schlafzimmer und stellte die Klimaanlage aus. Ach, es war furchtbar!

STANDARD: Gab es noch andere Missgeschicke?

Moby: Einmal in Quebec City wurde ich fast verrückt, weil ich die Toilettenspülung nicht fand. Am Ende rief ich die Rezeption an und fragte den Manager: Wie spüle ich? Er kam in mein Zimmer, sein Gesicht sagte, wer ist denn dieser Idiot, der so eine einfache Sache nicht kapiert - und dann stand er genauso dumm da wie ich. Er lud sich schließlich aus dem Internet die Gebrauchsanleitung herunter. Nach zehn Minuten entdeckten wir gemeinsam des Rätsels Lösung.

STANDARD: Und was war es?

Moby: Es gab eine berührungssensible Stelle unterhalb der Schüssel, ein kleines kreisrundes Metallstück. Das heißt, ein Gast muss sich fast bis auf den Boden bücken, um die Spülung zu finden. Wer kommt auf solche Ideen?

STANDARD: Was erwarten Sie von einem Badezimmer?

Moby: Da habe ich gleich noch eine Beschwerde. Die Temperaturregler der Duschen sind oft unterhalb des Duschkopfs. Das ist eine Zumutung. Unzählige Male bin ich aus der Dusche herausgesprungen, weil sofort kaltes Wasser herausspritzte.

STANDARD: Nehmen Sie doch ein Bad.

Moby: Ich nehme nie ein Bad. In meiner New Yorker Wohnung habe ich in 20 Jahren dreimal die Badewanne benutzt - davon einmal für ein Fotoshooting mit Michael Stipe.

STANDARD: Was halten Sie von den Schiebetüren, um Bad und Schlafzimmer zu vereinen? Die sollen ja die Erotik ankurbeln.

Moby: Mir egal. Ich bin zu 99 Prozent allein in den Zimmern.

STANDARD: Und für das eine Prozent - ist ein Hotelzimmer ein guter Ort für Sex?

Moby: Nein, dreckiger Sex in einem Hotelzimmer reizt mich nicht. Für Freunde von mir sieht das jedoch anders aus. Sie leben in einem Vorort von New York, haben zwei Kinder, einen Kredit auf das Haus, und für sie ist eine Nacht im Hotel aufregend. Manchmal nehmen sie sich einen Abend frei, die Großeltern passen auf die Kinder auf, die beiden buchen sich in ein Hotel ein, betrinken sich, haben Sex und eine großartige Nacht zusammen.

STANDARD: Sie wollen uns doch nicht einreden, Sie hätten noch nie einen One-Night-Stand im Hotel gehabt?

Moby: Doch, ich erinnere besonders an meinen ersten. Das war 1992 in Cleveland. Ich habe auf einem Rave Platten aufgelegt. Danach flirtete ich mit einer Frau, nahm all meinen Mut zusammen und fragte sie, ob sie Lust hätte, mit auf mein Zimmer zu kommen - in ein völlig austauschbares Zimmer in einem Marriott-Hotel. Sie kam zwar mit, redete aber zwei Stunden ununterbrochen von ihrer schwierigen Beziehung zu ihrem Freund. Wir haben uns kaum berührt, nicht geknutscht, gar nichts. Ich war für zwei Stunden ihr Therapeut, und dann verschwand sie.

STANDARD: In den 80er- und 90er-Jahren haben Sie gerne Drogen konsumiert. War das so eine Routine: vor dem Auftritt auf dem Zimmer schnell eine Ecstasy-Pille nehmen?

Moby: Ich nehme seit ein paar Jahren keine Drogen mehr. Und früher habe ich nie welche vor einem Auftritt genommen. Allerdings kann ich nicht die Nächte zählen, in denen ich nach einem Auftritt Drogen genommen habe. Hotels sind dafür großartig. Weil Zimmer räumlich geschlossen sind und ein Gefühl von Intimität garantieren. Ich finde, es ist ein Missverständnis, dass Drogen nur in einer möglichst weitläufigen Umgebung Sinn machen. Sie wirken viel besser, wenn man sich mit einer Gruppe von Freunden einschließt und feiert.

STANDARD: Und was haben Sie da so genommen?

Moby: Kokain, Ecstasy, Acid, Opiate, alles außer Pilzen. Organische Psychodrogen muss man tatsächlich im Freien nehmen. Aber für den Rest gilt: Zehn Freunde, eine Droge - und aus ihrem Zimmer wird eine magische Höhle. Mir fallen gerade die verzweifelten Versuche ein, die ich unternommen habe, um die Menschen zum Tanzen zu bewegen. Ich habe sogar Rockmusik von Bob Seger gespielt.

STANDARD: Da gab es nie Ärger mit dem Hotelmanagement?

Moby: Ständig. Jedes Mal klingelte das Telefon, die Rezeption bat mich freundlich, die Musik leiser zu stellen - oder plötzlich stand die Polizei in der Tür.

STANDARD: Die haben Sie dann mitgenommen?

Moby: Nein, nie. In Hotels achtet das Personal darauf, dass die Gäste nicht verhaftet werden. Das ist ihnen genauso unangenehm. Wenn Sie eine Party feiern, schickt das Personal nur zur Abschreckung die Polizei vorbei. Aber ich habe am nächsten Morgen immer gründlich die Rückstände weggewischt, damit keiner etwas findet, wenn ich das Zimmer verlasse.

STANDARD: Räumen Sie grundsätzlich auf, wenn Sie irgendwo übernachten?

Moby: Nein, meine Zimmer sehen nach einer Weile wie Schweineställe aus. Ich hänge immer ein "Nicht stören"-Schild an die Tür. Ich sitze gerne mit meinem iPad im Zimmer und spiele Scrabble online. Dafür brauche ich Ruhe. Für mich ist das kein Problem, in einem ungemachten Bett zu schlafen oder dasselbe Handtuch für ein paar Tage zu benutzen. Ich habe recht früh ein nützliches Akronym für meine Hotelaufenthalte erlernt: DND.

STANDARD: Das heißt?

Moby: Do not disturb. Wenn ich in ein Hotel einchecke, bitte ich als Erstes an der Rezeption um DND. Ich will keine Telefongespräche auf mein Zimmer haben und keine Belästigung vom Servicepersonal.

STANDARD: Auch weil Sie es nicht mögen, dass das Zimmermädchen die Bettdecke einschlägt.

Moby: Das hat mich früher verrückt gemacht, wenn sie die gestärkte Bettwäsche an den Füßen eingeschlagen haben. Ich fühlte mich wie gefangen darunter. Vielleicht lernt man als 17-Jähriger auf der Militärakademie so zu schlafen, ich kann es jedenfalls nicht. Seit ein paar Jahren reise ich immer mit meinem Kopfkissen. Einige Länder wie leider auch Deutschland haben kein vernünftiges Bettzeug.

STANDARD: Was läuft da falsch?

Moby: Sehen Sie, ich mag Deutschland sehr, aber in den Hotels müssen Sie noch dazulernen. In deutschen Hotels bekam ich oft eine dünne kleine Decke und ein schlaffes Kopfkissen. Ich sehe die Deutschen auf der Straße, große kräftige Menschen, nicht so klein wie ich - und ich frage mich, wie können die so schlafen, wenn bei mir schon die Decke nicht ausreicht? Wenn ich mich bewege, rutscht der Fuß oder Arm heraus. Mein deutscher Manager riet mir, die Kissen zu falten. Ich sagte: Warum kann ich nicht einfach ein festes Kissen bekommen?

STANDARD: Und seitdem bringen Sie Ihr eigenes mit.

Moby: Ich brauche ein festes Kopfkissen, weil ich vor einigen Jahren einen schweren Autounfall hatte und seitdem unter Nackenproblemen leide. Damit ich morgens keine Schmerzen habe, benutze ich ein schwedisches Schaumstoffkissen. Es ist ein wenig, als wenn man auf einem Felsen schläft.

STANDARD: Schlafmaske oder zugezogene Vorhänge?

Moby: Nein, das Zimmer soll ganz dunkel sein. Wie im Okura in Tokio, ein Hotel aus den 60er-Jahren, das wie ein Designhotel aus der Serie Mad Men aussieht, gegenüber der amerikanischen Botschaft. Ich drücke einen Knopf, und alles wird automatisch dunkel.

STANDARD: Nehmen Sie Roomservice in Anspruch?

Moby: Nein, ich bin Veganer. In vielen Hotels gibt es da für mich nur schlecht gekochten Reis und halb gedämpftes Gemüse. Wenn ich in einer neuen Stadt bin, informiere ich mich lieber vorher im Internet über Bioläden oder vegane Restaurants und kaufe dort ein. Ich habe oft wie hier in Köln eine Suite mit einer kleinen Küche, da bereite ich das Essen zu. Wenn ich auf Tour bin, esse ich viel Brot mit Erdnussbutter oder Gelee. Zum Frühstück genügt mir ein Müsli mit Sojamilch. Aus der Minibar nehme ich mir höchstens mal Wasser heraus.

STANDARD: Jetzt dürfen Sie mal schwärmen. Welche Hotels besuchen Sie nach all den Jahren gerne?

Moby: Ich mag das Four Seasons in Seattle. Es ist ruhig, liegt im Zentrum der Stadt, das Internet funktioniert problemlos - und der Ausblick auf den Puget Sound ist einmalig. Manchmal sitze ich vor diesen riesigen Glasfenstern und verbringe Stunden damit, auf die Bucht zu schauen. Und dann gibt es das Quay West Resort an der Bunker Bay, drei Stunden südlich von Perth, am Indischen Ozean in der Nähe des Margaret River. Ich habe in einem Bungalow gewohnt, der in einem Regenwald stand und zwei Minuten Fußweg vom Ozean entfernt war. Da gab es großartiges veganes Essen - und wie in fast allen australischen Hotels hatte jedes Zimmer eine Waschmaschine mit Trockner.

STANDARD: Es gibt doch in Hotels einen Wäscheservice.

Moby: Manchmal kostet es mehr, ein T-Shirt im Hotel waschen zu lassen, als es einmal gekostet hat. In Mailand übernachtete ich vergangene Nacht im Park Hyatt, die wollten mir 20 Euro dafür abknöpfen.

STANDARD: Sie leiden manchmal unter Schlaflosigkeit, schnappen sich Ihre Kamera und fotografieren die Sicht aus Ihrem Hotel. Die Fotos haben Sie in einem Bildband veröffentlicht. Wir sehen einsame Stadtlandschaften, nackten Beton von Neonlicht bestrahlt ...

Moby: Sehen Sie, vergangene Nacht bin ich gegen vier Uhr morgens von einem DJ-Gig aus Düsseldorf zurückgekommen. Ich sah aus dem Fenster und blickte auf ein schlafendes Köln. Dieses Gefühl, die endlosen Korridore abzulaufen und der einzige wache Mensch zu sein, das kommt der Erfahrung nahe, durch eine Komastation zu laufen. Es strahlt eine klösterliche Ruhe aus.

STANDARD: Wäre das ein Traum, in einem Hotel zu leben?

Moby: Ich weiß nicht, Hotels besitzen einen temporären Charakter. Egal, wie schlecht sie sind, ich habe die Gewissheit, ich bin nur ein paar Tage hier. Außerdem hatte ich in den 1990er-Jahren eine Freundin, die in einem winzigen Zimmer im Chelsea Hotel in New York gewohnt hat. Damals tranken wir beide viel, nahmen Drogen, kehrten um acht Uhr morgens zurück ins Chelsea - und das im August, wenn es tropisch heiß in New York ist. Ich weiß noch, wie die Sonne durch die Vorhänge schien, ich auf die dunkelgrün gestrichenen Wände guckte und mich einfach nur degeneriert fühlte. (Ulf Lippitz, Rondo, DER STANDARD, 13.9.2013)