Unmengen an Texten warten auf die Digitalisierung.

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Die Qual bei der Quellensuche ist Geisteswissenschaftern nur allzu gut bekannt - Nachlässe, die über Archive in der ganzen Welt verstreut sind, oder kaum zugängliche Handschriften gehören da etwa zum Alltag. Immer mehr Bestände sind zwar digital und online zugänglich, oft aber uneinheitlich und kaum vergleichbar. Viel Zeit kann vergehen, bis für eine Studie erst einmal die nötige Datenbank aufgebaut ist.

Dass auch die Geisteswissenschaften enorm von digitalen Technologien profitieren, hat sich international bereits gezeigt. Die USA sind längst Vorreiter in Sachen "digital humanities", aber auch in Deutschland gibt es bereits eine ganze Reihe von Professuren. Davon ist man in Österreich zwar noch weit entfernt. Nun soll aber mit der Einrichtung des "Zentrums Digitale Geisteswissenschaften" ein erster Schritt zur Institutionalisierung gemacht werden. "Um den Zug nicht zu verpassen", wie es Michael Alram, Vizepräsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), ausdrückt. Heute, Mittwoch, wird das Zentrum von ÖAW-Neo-Präsident Anton Zeilinger präsentiert.

"Die Geisteswissenschaften müssen mehr gefördert werden", nennt Alram vorab einen primären Beweggrund für die Gründung des Zentrums. Derzeit würden mehr als 42 Prozent des ÖAW-Budgets in die Life-Sciences fließen, während nur rund 18 Prozent für die Geisteswissenschaften bleiben, sagt Alram.

Ab 2014 stehen nun 1,6 Millionen Euro für drei Jahre zur Verfügung - freilich nur "ein Tropfen auf dem heißen Stein" angesichts heillos überforderter Budgets und dem hehren Ziel, jene Daten, die in öffentlich geförderten Forschungsprojekten generiert werden, postwendend der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. "Es braucht nachhaltige Repositorien, um die Unmengen an Daten, darunter weltweit einzigartige Sammlungen, auf Dauer aufzubewahren", sagt Alram. "Das ist ein Riesenproblem."

In Bibliotheken, Museen, Unis und Forschungseinrichtungen schlummern nicht nur massenhaft Texte, sondern auch Kunst, Notenblätter, archäologische Funde und andere Bild- und Tondokumente, die darauf warten, digitalisiert und gepflegt zu werden - und zwar wissenschaftlich fundiert und standardisiert, wie Gerhard Budin betont. Budin ist Direktor des ÖAW-Instituts für Corpuslinguistik und Texttechnologie und wird das Zentrum Digitale Geisteswissenschaften leiten. "Eine Handschrift zu scannen reicht nicht", gibt Budin ein Beispiel. Vielmehr müssten gemeinsame Metadaten gefunden werden, um die verschiedenen Ressourcen vernetzen zu können.

Paradigmatische Konzepte

Budin baut auf den bereits vorhandenen Strukturen auf - seit 2007 treibt er mit dem "Common Language Resources and Technology Infrastructure" (Clarin) die webbasierten Vernetzung der europäischen Forschergemeinschaft voran. Mit dem neuen Zentrum sollen die digitalen Infrastrukturen ausgebaut werden - etwa um die Analyse großer Textkorpora zu ermöglichen und Suchfunktionen mithilfe semantischer Abfragen zu verbessern. Weiters sollen Pilotprojekte zur Entwicklung "paradigmatischer, innovativer Konzepte" gefördert und ein Ausbildungsprogramm für Jungforscher ausgearbeitet werden, kündigt Budin an.

"Die digitalen Geisteswissenschaften bringen nicht nur neue Forschungsmethoden hervor. Sie verändern die Art und Weise des Forschens und ermöglichen es, interdisziplinäre und kritischere Fragen zu stellen" , sagt Budin. Bis es möglich wird, auf Knopfdruck riesige Datenmengen zu verknüpfen, rasch Belege für Hypothesen zu finden und die Ergebnisse gleich zu visualisieren, muss jedoch viel Material digitalisiert werden. Michael Alram verspricht einen Anstoß für Langzeitprojekte durch die ÖAW: In Anlehnung an das 2008 krisenbedingt eingestampfte FWF-Programm Nike (Netzwerk Initiative Kulturelles Erbe) sollen ab 2014 etwa fünf Projekte mit rund 800.000 Euro für eine Laufzeit von bis zu sechs Jahren gefördert werden - sofern das Vorhaben von der Nationalstiftung bewilligt wird. Ein weiterer Tropfen. (Karin Krichmayr, DER STANDARD, 11.9.2013)