Am Sonntag standen 30 Kilometer auf dem Trainingsplan. So wie stets bei den langen Ausdauereinheiten: langsam und gemütlich. Doch während die Herren der Schöpfung bis dato nur große Worte beigesteuert hatten, war diesmal Halbe-Halbe Realität. Es ging von Mariahilf zum Ring, den Donaukanal hinauf zur Nordbrücke - und dann über die Alte Donau zur Ponderosa: Wir bestaunten Karatewunder, wichen Speeren aus - und wurden am letzten echten Sommertag sogar gedopt. Aber der Reihe nach.

Ich weiß, ich weiß, ich weiß: Mit dem, was für die meisten Hobbyläufer nach Höllendistanzen klingt, sollte man nicht um Mitläufer werben. Die Ansage "30 Kilometer" birgt ja tatsächlich einiges an Abschreckungspotenzial. Darum hier ein Versprechen: Ab Mitte Oktober sage ich zivilere Distanzen an. (Und dann laufen wir trotzdem einfach weiter. Das geht nämlich, man darf nur nicht drüber nachdenken.) 

Foto: Thomas Rottenberg

Andererseits gab es diesmal auch Absagen, weil "mir sieben Minuten am Kilometer einfach zu fad sind", schrieb ein Poster/Läufer. Unter "gemütlich" stellte sich ein anderer Anfragender Kilometerzeiten zwischen 4 Minuten 30 und 5 Minuten 10 vor. Nach einem kurzen Mailwechsel einigten wir uns dann darauf, dass langsame Läufer, die die volle Marathondistanz schaffen, "unendlich viel Hochachtung verdienen, weil sie so lange durchhalten - das dauert ja ewig!".

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Das mit dem "ewig" hat was: Die Annahme, dass der Hochsommer vorbei sei und wir daher gemütlich um halb neun Uhr losstarten könnten, ohne gegrillt zu werden, war eindeutig falsch. Der Tag versprach hochsommerlich und heiß zu werden. "Ich hab Sonnencreme dabei", sagte Matthias. Eigentlich ist das mein Text: Mit weniger als Sonnenschutzfaktor 25 geh ich höchstens in den Keller. 

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Ein anderer großer Unterschied zum Frühaufsteherlaufen: Ab neun ist man nicht mehr allein. Den Unterschied kann man atmen - obwohl auf dem Ring Sonntagfrüh noch weit weniger Verkehr ist als tagsüber, "schmeckt" die Luft doch anders als in der autolosen Mariahilfer Straße: Beim nächsten Mal nehmen wir doch wieder den Weg quer durch die Innenstadt.

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Es gibt beim Laufen solche und solche Tage. Was für einer es wird, weiß man immer erst unterwegs. Wenn in einer Gruppe zufällig alle "so einen" erwischen, merkt man das: "Nicht dass es mich stören würde - aber wir sind viel zu schnell!" Wir bremsen uns ein. Und sind 200 Meter weiter schon wieder schnell. Freilich: Umgekehrt geht das auch.   

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"Immer wenn ich über die Nordbrücke fahre, frage ich mich, ob der gelbe Steg einen Namen hat." Er hat: "Steinitzsteg". Bis 2009 hörte er auf den Namen "Nordsteg" - dann wurde er nach dem österreichisch-böhmischen Schachweltmeister Wilhelm Steinitz (1836-1900) benannt. Das kann man googeln - aber ich wusste es schon vor Ort: Auf dem Steg gibt es kleine Aussichtsplattformen - in einer habe ich eine Infotafel entdeckt. Die anderen staunen. "Wie viele Bände vom 'Lexikon des nutzlosen Wissens' hast du heute mit?"

Foto: Thomas Rottenberg

An der oberen Alten Donau kenne ich mich nicht wirklich aus. Christoph dafür umso besser. Wir spüren die Sonne. Matthias ist froh, seine Hündin doch nicht mitgenommen zu haben: "Ich bin mit ihr noch nie mehr als 25 Kilometer gelaufen - und auch da mache ich immer Pausen. Jetzt wäre es einfach zu heiß für sie."

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Manche Läufer lächeln mitleidig, wenn man mit einem Rucksack daherkommt. Andere haben Fragen: "Ist das Schwabbeln einer halbvollen Trinkblase nicht nervig?" Die Dame ist mit einer Freundin und ihrem Mann auch auf einem 30-Kilometer-Lauf, hat "jetzt noch 600 Meter bis zum Gartentürl" und schleppt zwei Trinkflaschen am Gürtel und eine in der Hand. "Ach so, da kann man die Riemen enger ziehen, und dann schwabbelt nix mehr?" Sie staunt. Und schaut richtig neidig, als Christoph eine Banane hervorzaubert: "Ich glaube, das hat mich überzeugt."

Foto: Thomas Rottenberg

Kathrin hat von Anfang an gesagt, dass sie diesmal nur 15 Kilometer laufen will. Bei der U2-Station an der unteren Alten Donau sind es fast 16. "Was? Schon?" Kurz überlegt sie, weiter mitzukommen: An Tagen wie diesen fliegt der Boden unter den Füßen dahin. Und keiner weiß, warum: Wir alle haben am Tag davor Tempo-Intervalle trainiert - und hätten erwartet, richtig müde zu sein. Bei mir waren es am Samstag zwölf richtige Auspower-Kilometer. Bei den anderen waren es noch mehr. Trotzdem: So leicht läuft es sich selten.

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Abgesehen von den üblichen Renn- und Spazierradfahrern, Joggern und Skatern ist auf der Insel Reisegruppentag: Eine große gemischte Skater- und Radlergruppe zieht - gefühlt - minutenlang und fröhlich englisch scherzend stromaufwärts an uns vorbei. Fast alle haben eine Tasche oder ein Band mit der Aufschrift "Eurovelo". Jeder tut, was er will. Es gibt keine fixen Spuren oder Geschwindigkeitsvorgaben - und trotzdem ist diese Begegnungszone keine Totgeburt. Hier geht es aber auch niemandem darum, dem anderen zu zeigen, dass er unrecht hat, dümmer oder schwächer ist - oder wie leicht man ihm in die Suppe spucken kann. Egal ob im Verkehr oder in der Politik.

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Im Vergleich zur Hauptallee war die Insel menschenleer: Heute ist "Rote-Nasen-Lauf". Zugunsten der Spitalsclowns wird auf dem Strip stundenlang hin und her gelaufen. Oder gegangen. "Stopp! Sie sehen aus, als würden Sie eine Dopingspritze gut brauchen können", ruft der rotnasige "Arzt". In einem Punkt hat er mit seiner Doping-Ansage recht. Plötzlich Teil eines Menschenstroms zu sein hat eine stimulierende Wirkung: Ich habe mich lange geweigert, an Laufevents teilzunehmen - aber manchmal ist es einfach fein, mitgespült zu werden.

Foto: Thomas Rottenberg

Trotzdem genießen wir es, wieder allein zu sein. Ursprünglich hatte der Plan gelautet, die Insel bis zum Kraftwerk hinunterzulaufen. Doch während der Wind in Wien meist sacht flussabwärts weht, bläst er uns heute kräftig aus Südosten entgegen. Als wir aus den Praterauen auf den Damm beim Hafen kommen, sind wir daher doppelt froh, die Inselroute verworfen zu haben: Den Weg übers Kraftwerk zum Schloss Neugebäude rüber zum Zentralfriedhof gibt es auch noch an einem anderen Tag.

Foto: Thomas Rottenberg

Stattdessen kommen wir jetzt zur "Ponderosa": Wäre da nicht das stete Brausen der Flughafenautobahn (und das Giebelkreuzbranding), könnte man sich tatsächlich vorstellen, Joe, Hoss, Ben und Adam Cartwright zwischen den Pferdekoppeln unter dem Wasserturm beim alten Backsteingemäuer zu treffen. So sind es halt nur Helena, Matthias, Christoph und ich.

Foto: Thomas Rottenberg

Ich habe im Prater schon Kampfsportler mit Lang- und Kurzstock, Nunchakus, Samuraischwertern und Ninja-Kostümen gesehen. Unlängst traf ich zwei Jungs mit Butterflymessern Attacke und Abwehr üben. Und stellte (leicht entsetzt) fest, dass das keine Attrappen waren. Aber ein 100-Kilo-Mann, der einem Volksschulbuben das Abblocken von (Taekwondo-)Trittkombinationen zeigt, ist noch einen Tick bizarrer. 

Foto: Thomas Rottenberg

Obwohl es immer eine Steigerung gibt: So wirklich als Breitensport im öffentlichen Raum ist die olympische Disziplin des Speerwurfs ja nicht zu sehen. Ich behaupte: aus nachvollziehbaren Sicherheitsüberlegungen. Obwohl weit und breit kein Mensch unbemerkt auch nur in Weltrekordwurfnähe hätte kommen können, war es ein bisserl ein mulmiges Gefühl, als wir diesem Athleten den Rücken zuwandten und weiterliefen: So jung, die dazupassende "Kottan"-Folge nicht zu kennen, bin ich nämlich auch nicht.

Foto: Thomas Rottenberg

Auf der Hauptallee war immer noch der Bär los. Respektive: das Rote-Nasen-Fieber. Verglichen mit vielen, die da stolz, aber erschöpft von sechs oder sieben absolvierten Kilometern sprachen, sahen wir mit unseren 28 Kilometern in den Beinen doch noch relativ frisch aus. Fanden zumindest wir.

Auf den letzten zwei Kilometern - zum Praterstern - drehte Helena dann noch einmal richtig auf: An Tagen wie diesen geht das.

Mal sehen, wie es uns nächste Woche geht. Da laufen wir in der Wachau den Halbmarathon. Als kleine Tempoübung für Berlin. Nach den letzten Wochen wird das ein Spaziergang. Oder auch nicht.

Epilog: Ja, wir wissen es eh: Man hüpft nicht in die Party von anderen Leuten rein und haut dann einfach ab. Deshalb haben wir natürlich auch - nachträglich - brav Kilometergeld an die Roten Nasen überwiesen.

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Termintipp:

In zwei Wochen, am 22. September, stehen dann ein letztes Mal 30 gemütliche Kilometer auf dem Plan. Treffpunkt ist voraussichtlich wieder um 8.30 Uhr an der Ecke Mariahilfer Straße / Neubaugasse. Wie immer gibt es genügend Möglichkeiten, früher auszusteigen. Wer will, ist herzlich eingeladen mitzulaufen.

(Hinweis: "Rotte rennt" ist kein Laufevent, keine Laufveranstaltung und keine geführte Lauftour. Alle, die mitlaufen, tun das ausschließlich und ausdrücklich auf eigene Verantwortung und eigenes Risiko. Mehr Infos auf Anfrage: rotterennt@derstandard.at)

Foto: Thomas Rottenberg