Am Anfang befindet sich die Atomwolke in einem perfekt geordneten Quantenzustand, hier dargestellt als graue Atome. Mit der Zeit geht diese Quanten-Ordnung verloren und Unordnung breitet sich mit einer gewissen Geschwindigkeit aus. Diese Unordnung entspricht der Entwicklung einer Temperatur.

Illustration: TU Wien

Zum Kühlen und Manipulieren der ultrakalten Atomwolken verwenden die Physiker einen speziellen Chip.

Illustration: TU Wien

Wien - Die teilweise mysteriösen Gesetze der Quantenphysik gelten nur in kleinstem Maßstab, beobachten lassen sich entsprechende Phänomene allenfalls bei Photonen, Atomen oder kleinen Molekülen. In der für uns wahrnehmbaren Welt werden dagegen die Gesetze der klassischen Physik angewendet. Warum das so ist und wie der Übergang von der einen in die andere Welt passiert, ist Gegenstand weltweiter Forschungen. Physiker der Technischen Universität (TU) Wien haben nun Hinweise gefunden, dass die Quanteneigenschaften von alleine, ohne Einfluss von außen verloren gehen - die Quantenwelt zerstört sich quasi ganz von selbst. Ihre Arbeit haben die Forscher in der Fachzeitschrift "Nature Physics" veröffentlicht.

Die Physiker verwenden für ihre Experimente sogenannte Bose-Einstein-Kondensate (BEC). Diese entstehen unter bestimmten Bedingungen, wenn man eine Atomwolke auf nahezu den absoluten Nullpunkt (minus 273,15 Grad Celsius) abkühlt. Die Teilchen verlieren dabei völlig ihre Individualität und verhalten sich als gemeinsames Quanten-Objekt.

Streben nach Unordnung

Im Experiment werden die Atome so präpariert, dass sie alle im gleichen Takt schwingen - so wie Lichtteilchen in einem Laser im Gleichschritt schwingen. Mit der Zeit nimmt diese Ordnung ab, die Atomwolke strebt einem thermischen Gleichgewicht mit großer Unordnung zu, in dem ihre quantenphysikalischen Eigenschaften nicht mehr sichtbar sind.

Dieser Übergang wird von den Wissenschaftern gerne mit einem Eiswürfel verglichen, der in einem Wasserglas schmilzt. Von einem Zustand hoher Ordnung (Eis) geht er in ein thermisches Gleichgewicht über, in dem das gesamte Wasser im Glas eine einheitliche Temperatur hat.

Statt mit Eiswürfeln arbeiten die Physiker um Jörg Schmiedmayer vom Atominstitut der TU Wien mit ultrakalten Wolken aus einigen tausend Atomen, die auf einem Atomchip "gefangen" gehalten und manipuliert werden können. "Das ist noch klein genug, um sie gut von der Umwelt abschirmen zu können, aber groß genug, um an ihnen zu studieren, wie Quanteneigenschaften verloren gehen", so der Hauptautor der Studie, Tim Langen.

Atomwolke auf einem Chip

Dazu wird eine Atomwolke auf dem Chip in zwei Hälften geteilt und nach einer gewissen Zeit die beiden Wolken miteinander verglichen. "Am Anfang präparieren wir einen Zustand, wo alle Punkte in den beiden Wolken perfekt gleich sind, alle Atome befinden sich in einem streng geordneten Quantenzustand", erklärte Langen. Weil es sich aber insgesamt um ein großes Objekt handelt, mit vielen Atomen, die miteinander wechselwirken - also wie hüpfende Bälle in einem Zimmer immer wieder aneinanderstoßen -, bleibt diese Ordnung nicht lange erhalten.

Mit einer gewissen Geschwindigkeit beginnt sich Unordnung auszubreiten, die Atome verlieren zunehmend ihre Quanteneigenschaften. Dabei gibt es zu jedem Zeitpunkt klare Grenzen zwischen geordneten und ungeordneten Bereichen - Zonen, wo noch die ursprünglichen Quanteneigenschaften sichtbar sind und ungeordneten Zonen mit klassischen physikalischen Eigenschaften, denen man beispielsweise eine Temperatur zuordnen kann. Nach einiger Zeit hat die Unordnung die gesamte Atomwolke erfasst - wobei es "keiner Außenwirkung bedarf, um den Quantenzustand zu zerstören", so Langen.

Rätselhaftes Chaos

"Wir wollen verstehen, wie in der Quantenmechanik so etwas wie Temperatur entstehen kann, weil es dieses Element der Unordnung, dieses Chaos im Prinzip nicht gibt", sagte Langen. Warum es in Systemen mit vielen Teilchen doch entsteht, verstehe niemand so richtig. Es wurden schon viele Mechanismen vorgeschlagen, das Problem sei aber, dass man bisher kaum Systeme hatte, den Übergang von der Quanten- zur klassischen Physik im Experiment untersuchen zu können.

Genau dies würden aber die Experimente der Wiener Physiker nun ermöglichen. Sie haben mit den Atomwolken von der Außenwelt völlig abgeschirmte Mini-Universen, deren Verhalten sich nur durch ihre inneren Eigenschaften bestimmt. Dies könnte auch helfen, die große Frage zu klären, warum unsere Welt nach den Regeln der klassischen Physik funktioniert, obwohl sie doch auf quantenphysikalischen Grundgesetzen beruht. "Es könnte durchaus sein, dass bei vielen komplex wechselwirkenden Teilchen alleine durch die Gesetze der Quantenmechanik daraus die klassische Welt entsteht - das ist das große Ziel, das zu klären", sagte Langen. (APA/red, derStandard.at, 14.09.2013)