Die Darstellung von Leistung, Können, Wissen und Wollen gehört zum Alltag einer Gesellschaft, in der offenbar nur das Laute Gehör findet.

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Lange Zeit dachte Sylvia Löhken, Autorin von "Leise Menschen - starke Wirkung", sie sei asozial. Der starke Wunsch nach Rückzug, nach Alleinsein am Ende mehrerer Tage voller Vorträge oder Workshops stellte sich dann - nach näherer Betrachtung - als Introversion heraus. So banal das zunächst klingen mag, so wichtig ist das für ähnlich gelagerte Menschen zu wissen und für anders gelagerte zu verstehen. Es könnte jedenfalls eine Erklärung dafür sein, dass man sich in der Menschenmenge oder bei zu lauter Beschallung schnell überfordert fühlt. Aber auch dafür, von anderen als schüchtern oder gar uninteressiert abgekanzelt zu werden.

Introvertierte Menschen werden in der doch mittlerweile sehr lauten Welt, gerne übersehen oder übervorteilt - dennoch: "Sie sind überall", schreibt Löhken. Sie beschreibt Intro- wie Extrovertiertheit nicht als Gegensatzpaar, "sondern als äußerste Punkte eines Kontinuums. Jeder Mensch verfügt über introvertierte wie auch extrovertierte Eigenschaften." Zudem gebe es einen Bewegungsspielraum, eine "Komfortzone" im Spektrum zwischen diesen äußeren Punkten. Die allermeisten Menschen bewegen sich in einem gemäßigten mittleren Bereich mit einer jeweiligen Tendenz - problematisch werde es nur in den extremen Bereichen bzw. darüber hinaus, auch außerhalb der Komfortzone, so die Autorin. Grundsätzlich gelte: Extro- wie Introversion seien persönlichkeits-, situations- und auch kulturabhängig. Zudem gebe es im Verlauf eines Lebens Verschiebungen - meist in Richtung "gemäßigt".

Was läuft anders?

Eine Frage, die sich zumindest im Laufe des Berufslebens immer wieder stellt, ist jene, woher die Energie für eine entsprechende Performance (gleichwohl welche) kommt oder genommen wird. Zu viel Stimulation wirke auf "Intros", wie Löhke die Introvertierten nennt, energiezehrend. Sie bewirke ein erhöhtes Bedürfnis nach Rückzug. "Intros", so schreibt sie, "sind existenziell auf 'Allein-Zeit' angewiesen, um sich nach Belastungen und nach sozialen Begegnungen regenerieren zu können." Extrovertierte Menschen wiederum holen sich ihre Energie aus dem Austausch mit anderen, beim Ausgehen mit Freunden oder beim Mannschaftssport zum Beispiel. Laut Hirnforschung wende der introvertierte Mensch mehr Energie mit seiner Hirnaktivität auf als die extrovertierte Person. Was - kurz gefasst - heißt, dass Intros für die Verarbeitung von Eindrücken mehr Energie verbrauchen, während "Extros" (Extrovertierte) noch während der Energieinvestition ihre Akkus auch noch nachladen können.

Angenehm unaufgeregt hilft das Buch, zunächst zu erkunden, zu welchem Typus man selbst gehört, und gibt - stärkenorientiert aus Sicht der introvertierten Person - neue Perspektiven auf persönliche Eigenschaften und den Umgang damit preis. Wie werden die "Intro-Stärken" wie Vorsicht, Substanz, Konzentration, Zuhören, Ruhe, analytisches Denken, Unabhängigkeit, Beharrlichkeit, Schreiben und Einfühlungsvermögen von anderen gesehen, bewertet, und wie kann man diese Eigenschaften sinnvoll für sich nutzen? Das sind Fragen, die erstaunlich lebensnah beantwortet werden. Ebenso nähert sich die Autorin an die Hürden des Introvertiertseins an: Wie überwindet man Angst, Kleinteiligkeit, Überstimulation, Passivität, Flucht, Verkopftheit, Selbstverleugnung, Fixierung, Kontaktvermeidung oder Konfliktscheu?

Identität: privat und beruflich

Auf die Antwort nach dem Typus baut der Rest des Buches auf - situationsbezogen, im Privat- wie auch im beruflichen Leben. Beobachtungen aus dem eigenen Leben wie auch anonymisierte gelebte Praxis schaffen da ein recht eindringliches Bild vom Umgang introvertierter Menschen mit ihren jeweiligen Umfeldern.

Interessant sollte die Lektüre auch für Führungskräfte und ihren Umgang mit introvertierten Typen sein - in Teams beispielsweise. Und vor allem auch: Wie verhält man sich als introvertierter Mensch in Teams (aber auch als Führungskraft), wie verschafft man sich genügend Freiraum, um in Ruhe arbeiten und danach aber auch mit seinem Argumentarium Gehör zu finden? - Ebenfalls Fragen, die mit allerhand recht brauchbaren Tipps befüttert werden.

Im dritten und letzten Teil des How-to-Do widmet sich die Autorin der Präsenz - bzw. der Herausforderung für Introvertierte, diese authentisch und eben auch unter extrovertierten Menschen zu erreichen und auch Gehör zu finden. Wie netzwerkt man am besten, wie verdeutlicht man seine Interessen und Stärken, wie stellt man sich glaubwürdig anderen gegenüber dar? Auch die Form der Kommunikation (beim Diskutieren oder beim Verhandeln, in der Gruppe, aber auch im Einzelgespräch) - das Spezialgebiet der Autorin - kommt in diesem Teil nicht zu kurz. Löhken liefert mit ihrem Buch einen angenehm unaufgeregten und mehr differenzierten Kommunikations- und Lebensratgeber - einen, der das "Verständnis für" dem "Gewusst wie" voranstellt. (Heidi Aichinger, DER STANDARD, 7./8.9.2013)