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Die Diskussion rund um die HPV-Impfung hät nichts mit einer Impfmüdigkeit zu tun, sondern mit Aufklärung und der Kostenfrage, so Speiser.

Operationen bei Vorstufen von Gebärmutterhalskrebs steigern das Risiko von Fehlgeburten. HPV-Impfungen können das verhindern, ist Speiser überzeugt.

Foto: privat

In der Diskussion um die HPV-Impfung geht es primär um den Gebärmutterhalskrebs. Der Wiener Gynäkologe Paul Speiser sieht andere HPV-assoziierte Erkrankungen vernachlässigt und rückt vermeidbare operative Eingriffe als positive Folge der Impfung in den Vordergrund. 

derStandard.at: Inwieweit ist die HPV-Impfung unter Gynäkologen umstritten?

Speiser: Unter Gynäkologen gibt es wenig Diskussion, dass die Impfung vor dem ersten Geschlechtsverkehr sinnvoll ist. Bei älteren Patientinnen ist die Situation bereits komplizierter. Es gibt Kollegen, die sagen, dass auch diese unbedingt geimpft werden sollen – auch wenn sie bereits Kontakt mit HPV hatten oder deswegen bereits operiert wurden. Ob es allerdings tatsächlich sinnvoll ist, ältere Frauen noch zu impfen, ist eine Frage der Kosten-Nutzen-Analyse. Immerhin ist HPV besonders unter den 15 bis 25-jährigen Frauen verbreitet, weil das das Alter ist, in dem am meisten Geschlechtsverkehr mit wechselnden Partnern stattfindet.

Bei älteren Patientinnen ist es daher wichtig, dass ihr individuelles Risikoverhalten abgeschätzt wird. Wenn eine ältere Frau etwa drei Kinder hat und glücklich verheiratet ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit für einen neuen Kontakt mit dem Virus gering – ihr da eine Impfung einzureden, die ca. 600 Euro kostet, ist meiner Meinung nach nicht in Ordnung. Ist eine ältere Frau beispielsweise nach einer Scheidung auf der Suche nach einem neuen Partner und treten neuerlich mehrere Sexualpartner in ihr Leben, dann ist die Situation schon anders.

In der ganzen Diskussion darf außerdem nicht vergessen werden, dass das Auftreten von humanen Papillomaviren noch lange nicht heißt, dass diese zu Erkrankungen führen – oft bleiben die Viren unbemerkt und verschwinden symptomlos von alleine.  

derStandard.at: Die HPV-Impfung hilft gegen HPV-16 und HPV-18, die für 70 Prozent des Gebärmutterhalskrebses verantwortlich sind. Ist es unter diesen Umständen sinnvoll, zu impfen?

Speiser: Das ist eine Frage, ob das Glas halb voll oder halb leer ist - in meinen Augen ist das Glas halb voll. Dass Gebärmutterhalskrebs zu 70 Prozent verhindert werden kann ist außerdem nur ein Teilaspekt der HPV-Impfung. Auch Karzinome im Scheiden- und Analbereich werden durch HPV-16 und HPV-18 verursacht, dasselbe gilt für den Mund- und Rachenbereich. Daten aus den USA deuten darauf hin, dass die Zahl der HPV-abhängigen Mund- und Rachenkarzinome sehr stark zunimmt, besonders bei Männern: Hochrechnungen zufolge werden im Jahr 2020 in den USA genauso viele Mundboden- und Tonsillenkarzinome auftreten wie Zervixkarzinome. Von Tumoren im Bereich der Mundhöhle sind doppelt so viele Männer wie Frauen betroffen. Das ist ein internationaler Trend, der auch ein starkes Argument dafür ist, dass auch die Männer geimpft werden sollten. 

derStandard.at: Die Diskussion um die HPV-Impfung konzentriert sich also zu sehr auf den Gebärmutterhalskrebs?

Speiser: Ja, es sollte mehr das große Ganze gesehen werden: Eine HPV-Impfung hilft gegen verschiedene Tumorerkrankungen. Infektionen mit anderen humanen Papillomaviren bilden sich häufig von alleine zurück – bei HPV-16 oder HPV-18 hingegen ist das schon schwieriger, diese Viren bleiben oft hartnäckig im Körper.

Deswegen erhält auch jede zwanzigste Frau eine Konisation, bei der ein Stück des Gewebes aus dem unteren Gebärmutterhals weggeschnitten wird. Dieser operative Eingriff erhöht allerdings die Wahrscheinlichkeit für Frühgeburten. Man sollte also bei einer HPV-Impfung bedenken, dass viele dieser operativen Eingriffe zukünftig nicht mehr nötig sein werden und so ein erhöhtes Risiko von Frühgeburten verhindert werden kann. 

derStandard.at: Aktuell wird auch die Vorsorgeuntersuchung mit dem PAP-Abstrich kritisiert – wie genau ist dieser?

Speiser: Der Krebsabstrich ist eine sehr kostengünstige, aber auch sehr ungenaue Untersuchungsmethode. Das spielt allerdings keine große Rolle, weil es viele Jahre dauert, bis eine geringfügige Veränderung so weit fortgeschritten ist, dass eine Behandlung notwendig wird. Selbst wenn bei einem Krebsabstrich eine Veränderung nicht entdeckt wird, sind die Chancen groß, dass bei regelmäßiger Vorsorgeuntersuchung diese Veränderung im Laufe ihrer Entwicklung dann doch noch gefunden wird. 

Das Problem mit dem PAP-Abstrich ist, dass dieser in keinem organisierten Screening durchgeführt wird. Frauen wählen also selbst, ob sie zum Arzt gehen und den Abstrich machen oder nicht – sie werden aber nicht dezidiert dazu eingeladen. Viele Länder arbeiten mit Opt-out-Systemen: es werden also alle Frauen automatisch dazu aufgerufen, einen Abstrich zu machen. So ein organisiertes Screening wäre effektiver, weil mit dem derzeitigen System vor allem gesundheitsbewusste Frauen den PAP-Abstrich regelmäßig vornehmen lassen. 

derStandard.at: Die Zahl von Patienten mit Gebärmutterhalskrebs ist seit den 80er Jahren rückläufig – 2010 waren in Österreich 380 davon betroffen. Wäre das Geld nicht in anderen Bereichen besser aufgehoben?

Speiser: Es gibt nur wenige Karzinome, die durch Prävention leicht zugänglich sind – die einzigen nicht umstrittenen Vorsorgeuntersuchungen sind der PAP-Test und die Dickdarmkrebsvorsorge. Es gibt für viele Krebsarten keine Präventivstrategie, auf die man sich eher fokussieren könnte. Daher ist die HPV-Impfung eine vernünftige Maßnahme. Außerdem sind Behandlungen im Genitalbereich sehr belastend, weil sie auch sensible Strukturen, wie etwa jene der Klitoris oder des Harnröhrenausgangs betreffen.

Mit einem der beiden derzeitig erhältlichen Impfstoffe können auch Genitalwarzen verhindert werden, da im Impfstoff auch die HPV-Typen 6 und 11 enthalten sind, die für 85 Prozent der Fälle verantwortlich sind. Die HPV-Impfung nur mit Gebärmutterhalskrebs zu assoziieren, ist nicht weit genug gedacht. Daher müssen auch die anderen Effekte in die Kosten-Nutzen-Rechnung einbezogen werden. Berücksichtigt man alle anderen Karzinome, die durch HPV-16 und HPV-18 verursacht sind, so beträgt die Zahl für 2010 der durch die Impfung verhinderbaren Karzinomen bei Frauen 462 Fälle und bei Männern 660 Fälle. Das bedeutet, dass durch die Impfung im Jahr 2010 insgesamt 1122 Krebsfälle hätten verhindert werden können, wären Mädchen und Buben geimpft.   

derStandard.at: Erst kürzlich wurde beschlossen, die HPV-Impfung ins nationale Impfprogramm aufzunehmen. Wie erklären Sie sich die Skepsis, auch vonseiten der Politik, gegenüber der HPV-Impfung?

Speiser: Die Diskussion rund um die HPV-Impfung hat nichts mit einer Impfmüdigkeit zu tun, sondern mit Aufklärung und der Kostenfrage. Eine gewisse Skepsis gegenüber der Impfung kann man schon allein dadurch verwerfen, weil sie in vielen Ländern schon länger unterstützt wird und entsprechende Daten vorliegen. Und eine Kosten-Nutzen-Analyse hängt immer davon ab, welchen Preis man für die Impfung zahlt. Wenn sämtliche Erkrankungen, die mit HPV assoziiert sind, eingerechnet werden, dann erspart man den Patientinnen viele operative Eingriffe.

Das Problem ist, dass die Kosten für die HPV-Impfung zum Teil erst Jahrzehnte später eingespart werden, weil zwischen Infektion und den Krebsvorerkrankungen, die behandelt werden müssen, viele Jahre vergehen. Eine Ausnahme stellen die Genitalwarzen da, da hier viel schneller ein bis zu 90 prozentiger Rückgang bei Geimpften zu erkennen ist. Wenn mit der Impfung heute eine HPV-Infektion verhindert wird, die vielleicht 20 Jahre später zu Krebs geführt hätte, dann ist das für Politiker ein Alptraum: sie müssen teure Gesundheitsmaßnahmen setzen, die erst viele Jahre später ihre Wirkung entfalten. (Sophie Niedenzu, derStandard.at, 6.9.2013)