Das Tonband steht bei 14 Minuten 25 Sekunden, als ich es abdrehe und Lars Vilks sich hastig von mir verabschiedet. Einer seiner Bodyguards ergreift Vilks' Hand und zieht ihn nach draußen. Dann, ein paar Sekunden später, steht er plötzlich noch einmal vor mir. Er hat seine neu gekauften Pinsel vergessen. Vilks hastet nach draußen zum Auto, das sein Fahrer direkt vor der Galerie Rönnquist & Rönnquist in Malmö geparkt hat. Der Motor läuft, die Autotür geht zu, und weg ist er.

Irgendetwas muss passiert sein, während ich mit dem Rücken zur Eingangstür gesessen bin und Vilks interviewt habe. Henrik Rönnquists Terrier hört nicht mehr zu bellen auf, ich verstehe kein Wort. Ich bin unsicher, ob es klug ist, zum Fenster zu gehen, um nachzusehen, was draußen auf der Straße passiert. Als Rönnquist sein iPhone zückt und zu fotografieren beginnt, gehe ich schließlich zur Tür. Ein älterer blonder Mann liegt drei Meter entfernt auf dem Boden, er wird von Vilks' Bodyguards festgehalten und gerade gefesselt. Auf einem Tisch neben dem Eingang steht ein großer roter Koffer. Ich frage Rönnquist, was los ist. Er sagt, der Mann habe mit einer Waffe, die sich im Koffer befand, die Galerie betreten wollen. Um "seine Kunst" zu präsentieren. Wie sich später herausstellen sollte, war das tatsächlich seine Intention, die Waffe nur eine Attrappe beziehungsweise das Kunstwerk.

Nicht einmal fünf Minuten später ist die Polizei da, Streifenwagen nähern sich aus allen Richtungen. Die Bodyguards übergeben den Mann den Polizisten. Jetzt sehe ich sein Gesicht, es ist blutig. Während er ins Polizeiauto gehievt wird, schreit er auf Schwedisch um sich. Und grinst über beide Ohren.

 

Vier Bilder von Vilks (im Hintergrund) zieren die Galerie Rönnquist & Rönnquist. Seit der Ausstellungseröffnung Anfang 2013 wurden 27 verkauft.

Nach der Abfahrt bittet die Polizei Rönnquist und mich in der Galerie zu bleiben. Sie möchten den roten Koffer untersuchen. Es könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass sich Sprengstoff darin befände. Ich stelle mir vor, wie das wäre, wenn hier jetzt alles hochgehen würde, nachdem es schon danach aussieht, als wäre alles wieder vorbei. Rönnquist klammert sich an meinen Arm. Er sagt: "Ich kenne dich nicht, aber ich muss mich jetzt an jemanden festhalten." Wir atmen tief durch und er holt eine Flasche Wein und schenkt mir in einen Pappbecher ein. Fünf Minuten später heißt es dann, wir sollen die Galerie räumen. Die umliegenden Straßen werden abgesperrt. Ich greife nach meiner Kameratasche und über den hinteren Kellerausgang, durch Rönnquists Depot voller Malereien hindurch, verlassen wir das Gebäude.

Sicherheitsvorkehrungen im großen Stil

Die Polizei will, dass wir in der Nähe zu bleiben, damit sie uns später vernehmen kann. Wir wechseln die Straßenseite, betreten einen Friseursalon von Rönnquists Freunden und trinken dort Kaffee. Erst jetzt habe ich Zeit, genauere Fragen an ihn zu stellen. Wie Vilks und er sich kennenlernten, ob er sich der Gefahr bewusst war, in die er sich begeben würde, wenn er Vilks bei sich ausstellen lässt. Immerhin hat Al-Kaida 150.000 Dollar Kopfgeld auf ihn ausgesetzt. Rönnquist sagt zu mir, unabhängig davon, was ich über Vilks schreiben werde, dürfe ich das seiner Meinung nach Wichtigste nicht vergessen: "Er ist ein sehr guter Maler." Auch wenn er in seinen Zeichnungen immer wieder den Propheten Mohammed als Hund abbilde, könne das kein Freibrief dafür sein, dass Leute seine Galerie betreten und ihn als "Rassisten" beschimpfen. Er habe auch schon eine Privatführung für einen arabischen Migranten gemacht, der sich bei der Ausstellungseröffnung davor gescheut hatte, die Galerie zu betreten. Zwar gebe es immer wieder Aufregung und große Sicherheitsvorkehrungen wegen Vilks, "fast wie bei Barack Obama", aber mit so etwas habe auch er nicht gerechnet.

Galerist Henrik Rönnquist (Mitte) brachte Lars Vilks, der auf der Todesliste von Al-Kaida steht, wieder dazu, seine Bilder zu zeigen.

Dass ich Lars Vilks überhaupt zu Gesicht bekommen würde an diesem Tag, war gar nicht sicher. Google Maps hatte mich zuvor auf die falsche Fährte geschickt, zu Rönnquists privater Wohnung anstatt in die Malmöer Innenstadt. Der daraufhin gerufene Taxifahrer konnte die Galerie ebenfalls nicht finden. Und als ich schließlich - eine halbe Stunde nach dem vereinbarten Termin - endlich mit Rönnquist telefonieren konnte, teilte er mir mit, dass Vilks schon wieder weg sei, er ihn aber bitten würde, noch einmal vorbeizukommen.

Als ich endlich in der Galerie eintreffe, bittet mich zuerst einer seiner Bodyguards um einen Ausweis. Nach der Kontrolle betritt auch Vilks die Galerie. Er zeigt mir in aller Ruhe seine neuen Spezialpinsel, die er gerade in einem Geschäft nebenan gekauft hat. Er geht zu einem seiner Bilder, zeigt auf einen winzigen Punkt, den ich erst jetzt als Hund mit dem Kopf des Propheten Mohammed erkenne, und erklärt, dass er für diese Kleinstarbeit diesen Pinsel benötigt. Die Unaufgeregtheit, mit der er das tut, konterkariert das, was sich in 15 Minuten abspielen wird. (Teresa Eder, derStandard.at, 5.9.2013)