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Warten auf Putin

Foto: APA/Itar-Tass
Alles wartet auf ein klares Wort des russischen Präsidenten Wladimir Putin zur Causa prima. Seit Alexander Lebedew, Hauptaktionär der Ölfirma Yukos, Anfang Juli verhaftet wurde, herrscht Hochspannung. Lebedew wird vorgeworfen, wie die meisten schwerreichen Oligarchen den Staat im Zuge der Privatisierungen der 90er Jahre um Unsummen geprellt zu haben. Mittlerweile ermittelt man gegen den Konzern auch wegen Steuerhinterziehungen, Auftragsmorden und Anschlagsversuchen.

Hinter der Attacke werden die unter Putin mächtig gewordenen Petersburger Geheimdienstaufsteiger im Kreml gesehen. Sie würden die Konkurrenzfraktion der Oligarchen, konkret den Yukos-Chef Michail Chodorkovskij, davor warnen, sich in die Politik einzumischen, letztlich aber auf die Neuverteilung des in den 90ern privatisierten Staatsvermögens zugunsten der eigenen Clans abzielen. Im postkommunistischen Russland wurde Eigentum immer in der Vorwahlzeit neu verteilt. Die Petersburger Fraktion wurde von Putin schon mit einigen Firmen belohnt, angeblich betreibt sie bereits eine gigantische Wahlfinanzierungskampagne.

Idee vom starken Staat

Groß geworden im westfeindlichen Geist der Sowjetunion, bevorzugt ein Teil der Petersburger Fraktion nach wie vor in der Idee des starken Staates zu Ungunsten einer marktwirtschaftlichen Dynamik. Dass die so folgenschwere Yukos-Affäre ohne Putins Wissen losgetreten wurde, hält kaum jemand für möglich. Der Kremlchef hat aber seine Position zur Affäre bisher nicht eindeutig geäußert. Das Vorgehen gegen Wirtschaftsverbrechen dürfe "unter keinen Umständen in eine Art von Kampagne ausarten. Methoden und Mitteln sollten die Wirtschaft stärken", meinte er am Dienstag.

Die ganze Amtszeit gerierte sich Putin als kompetenter Staatsmanager. Dass er das Machtvolumen seiner Petersburger Günstlinge dennoch ausweitete, zeigt sich gerade im Licht der Yukos-Affäre als Widerspruch. Die Aufsteiger nehmen nicht nur die fatalen Folgen für die Wirtschaft in Kauf, sie verhindern wissentlich das Image eines attraktiven Investitionsstandortes.

Langsam ist das Ausmaß der Schäden zu erahnen. Nicht nur der international geachtete Konzern Yukos hat binnen vier Wochen ein Fünftel seines Börsenwertes verloren. Insgesamt ist der russische Aktienindex um 20 Prozent abgefallen. Die plötzliche Unklarheit über Eigentumsverhältnisse nährt die Skepsis ausländischer Investoren. Selbst British Petroleum (BP), das noch heuer mit 6,75 Milliarden Dollar die größte Investition in der russischen Geschichte tätigen will, gibt sich höchst beunruhigt.

Wenn schon Russlands reichster Mann, Chodorkovskij, sich nicht sicher fühlen kann, wer soll sich dann noch sicher fühlen? Und auch russische Unternehmer trauen den seinerzeitigen Versprechen von Präsident Putin, Besitzaufteilungen nicht mehr zu revidieren, nicht mehr. Befürchtet wird vielmehr eine neue Welle der Kapitalflucht. (DER STANDARD, Printausgabe, 1.8.2003)