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Archiv/derStandard.at
Memphis - Die Adresse 706 Union Avenue in Memphis, Tennessee, ist kaum zu übersehen. An einer Biegung der Straße gelegen, prangt knallgelb ein Firmenschild - Sun Records. Neben einem heute für Touristen eingerichteten Coffeeshop, in dem es Souvenirs zu erwerben gibt, liegt eine der definitiven Adressen der Popgeschichte: das legendäre Sun-Studio.

Sam Phillips, 1923 in Florence im Bundesstaat Alabama geboren, eröffnete hier nach ein paar Jahren als Radio-DJ 1952 sein Studio. Motto: "We record anything, anytime, anywhere" - in einem kaum 50 Quadratmeter großen Raum, getrennt in Studio und Mischpultzelle. Die Idee von Phillips war es, lokale Bluesgrößen, deren es in der lebhaften Musikszene der Stadt nicht zu wenige gab, aufzunehmen und die Masterbänder an interessierte Labels zu lizenzieren.

Nachdem schwarze Sänger wie Rufus Thomas mit seinem Song Bear Cat oder Junior Parker beachtliche Erfolge landeten, erweiterte der rotblonde junge Mann, der eigentlich Anwalt werden wollte, das Repertoire seines kleinen Labels um Country- und Westernsänger. Trotz der damals noch bestehenden Rassentrennung galt die Musikszene in Memphis als sehr liberal.

Wissend, dass schwarzen Künstlern nationaler Erfolg trotzdem kaum beschert sein würde, tat Phillips seinen berühmtesten Ausspruch: "Wenn ich einen Weißen finden würde, der wie ein Schwarzer singt, ich könnte eine Million Dollar machen."

Sein Wunsch sollte sich erfüllen, als 1954 ein Bleichgesicht namens Elvis Aaron Presley begann, seine Zeit im Studio zu verbringen. Nachdem er ersten Versuchen des schüchternen Presley-Buben nichts abgewinnen konnte, dauerte es ein paar Monate, bis Elvis seine erste Aufnahmen für Sam Phillips machte. Nach diesen fünf Singles sollte nichts mehr sein, wie es einmal war: Rock 'n' Roll, obgleich nicht in den Sun-Studios geboren, begann von hier aus seine Welteroberung.

Im Sog von Presley starteten auch Jahrhundertkünstler wie Johnny Cash, Roy Orbison, Jerry Lee Lewis oder Carl Perkins ihre Karrieren. Phillips schlanke Instrumentierung und wegen technischer Beschränkungen simpel gehaltene Aufnahmetechnik definierten den Sound des Rock 'n' Roll.

Rufus Thomas warf Phillips nach Elvis' Erfolg vor, keine schwarzen Künstler mehr auf seinem Label zu wollen. Ein Vorwurf, den er spätestens in den frühen 60ern widerlegte, als er mit einem Gefangenenchor, den Prisonnaires und deren Titel Walking In The Rain einen landesweiten Erfolg feierte, der in Folge sogar zur Begnadigung der Männer führte.

Die Rechte an Elvis verkaufte Phillips Ende 1955 um die damals astronomische Summe von 35.000 Dollar an RCA Records. Ermutigt durch Phillips Erfolg, schossen in Memphis andere Labels wie Stax, oder Hi aus dem Boden und wurden bald einflussreicher als das zu starr an seiner einmal gefundenen Erfolgsformel festhaltende Sun-Label. Phillips begann seinerseits, in andere Unternehmen zu investieren, und war unter anderem an der Hotelkette Holiday Inn beteiligt.

Filmische Würdigung

Anlässlich seines 77. Geburtstages fand am 19. Juni 2000 in Memphis die Uraufführung der Dokumentation Sam Phillips: The Man Who Invented Rock 'n' Roll statt. Im Rahmen der Feier traten Weggefährten wie Jerry Lee Lewis, Jim Dickinson, ein von Tochter Carla begleiteter Rufus Thomas und der Autor von Standardwerken wie Last Train To Memphis, Peter Guralnick, auf, um den erstaunlich jugendlich wirkenden Rock-'n'-Roll-Erfinder zu würdigen.

In dieser Dokumentation entfährt dem Mann, der die Vereinigten Staaten in seinem ganzen Leben nie verlassen hat, lächelnd der Satz: "We flat-ass changed the world." Wahrlich!

Am Montag ist Sam Phillips im Alter von 80 Jahren in Memphis gestorben. (flu/DER STANDARD, Printausgabe, 01.08.2003)