Paris/Frankfurt/Berlin/Moskau - Die Haltung der USA zu dem umstrittenen israelischen Bau einer Befestigung im besetzten Westjordanland wird am Donnerstag von mehreren europäischen Zeitungen kommentiert.

"Le Monde":

"Bush versteht die Befürchtungen der Israelis über terroristische Anschläge der Palästinenser, doch sollte er den palästinensischen Premier Abbas stärker unterstützen. Er hätte stärker darauf dringen sollen, dass die Mauer nicht so eindeutig palästinensische Rechte verletzt. Im Nahen Osten haben zu viele Friedensinitiativen die Bewährungsproben der Praxis nicht überstanden. Bush muss ständigen Druck auf beide Lager ausüben. Doch dabei braucht er jetzt die Unterstützung der übrigen Mitglieder der internationalen Gemeinschaft. Diesbezüglich ist das Schweigen der Europäer bedauerlich."

"Frankfurter Allgemeine Zeitung":

"Bush ließ sogar in seiner Wortwahl erkennen, welcher Seite er in dem Streit näher steht: Am Freitag hatte er noch (gegenüber Abbas) gesagt, dass 'die Mauer ein Problem ist'. Gegenüber Sharon blieb er zwar bei seiner Kritik, sprach aber nur vom 'Zaun'; er benutzte also den von der israelischen Regierung verwendeten Begriff. Der amerikanische Präsident begnügte sich dann mit dem Versprechen Sharons, dass beim Weiterbau der Sperranlage die palästinensische Bevölkerung so wenig wie möglich beeinträchtigt werde. Von Änderungen an ihrem Verlauf war nicht die Rede. (...) Auch als es um die Siedlungen ging, suchte Bush nicht die Konfrontation mit Sharon. In Israel vermutet man, dass Bush schon an die nächste Präsidentenwahl dachte und auch deshalb nicht den Konflikt mit Sharon suchte."

"tageszeitung" (taz):

"Zweifellos hat es Situationen gegeben, in denen es angebracht war, die Dinge nicht unbedingt beim Namen zu nennen. Es gehört jedoch eine ordentliche Portion Zynismus dazu, wenn der heutige israelische Premier Sharon darauf setzt, dass sich die Bezeichnung 'Zaun' tatsächlich durchsetzt. Damit meint er mehrere sehr hohe Zäune, Gräben, elektronische Warnanlagen und auf langen Strecken Mauern bis zu acht Meter Höhe, die sich auf einem rund 60 Meter breiten Betonstreifen durch überwiegend palästinensisches Land ziehen. Sharons gezielte Irreführung ist nicht auf das eigene Volk zugeschnitten."

"Berliner Zeitung":

"Um diese Zaun-Mauer eskaliert ein Streit, der die Umsetzung des schönen Nahost-Friedensfahrplans gefährdet. Israel baut und plant diese Zaun-Mauer nicht auf seinem Gebiet. Diese Absperrrung zerstückelt das palästinensische Land weiter. Bis zu zehn Prozent palästinensisches Land will Israel für seine Sicherheit und seinen Zaun enteignen. (...) Bush erinnerte sich (beim Treffen mit Sharon, Anm.) an seine vielen christlich-fundamentalistischen Wähler, die starke Pro-Israel-Lobby im Kongress, das israelische Terroristenproblem - und aus der 'problematischen Mauer' wurde eine 'sensible Angelegenheit'. (...) Ohne Sicherheit für Israel wird es keinen palästinensischen Staat geben. Aber ohne den Verzicht Israels auf den größten Teil des 1967 besetzten Landes - also die Aufgabe selbst großer Siedlungen und die Rückgabe schon enteigneter Flächen - wird es diese Sicherheit nicht bekommen und der neue Friedensplan wie alle anderen zuvor scheitern..."

"Kommersant" (Moskau):

"Mauern, Zäune, Trennlinien. Die Chinesische Mauer, die Berliner Mauer, die Mannerheim-Linie (...) Wie viele gab es in der Geschichte? Konnten sie jemals jemanden aufhalten? Manchmal ja, aber wer auch immer diese Mauern überwinden wollte, tat dies auch. Der eine mit List, der andere mit Gewalt. (...) Und die Geschichte hat gezeigt, dass jede Mauer früher oder später fällt. Die neue 'Große Jüdische Mauer' wird mit dem neuesten Stand der Technik errichtet, mit vielen Details aus der Hochtechnologie. Aber man darf nicht übersehen, dass diese Errungenschaften oder auch noch modernere Errungenschaften auch von denjenigen genutzt werden können, gegen die der Zaun gegenwärtig errichtet wird." (APA/dpa)