Montpellier/Wien - Französische Forscher haben jenen Mechanismus entdeckt, der verhindert, dass Nervenzellen im durchtrennten Rückenmark wieder zusammenwachsen. Durch eine Blockade dieses Vorgangs könnte vielleicht gelähmten Menschen geholfen werden, berichten die Proceedings of the National Academy of Sciences (Pnas).

Bei erwachsenen Säugern findet nach einer Verletzung des zentralen Nervensystems keine Regeneration von Nervenbahnen statt. Im Gegenteil. Nerven, deren Fortsätze verletzt wurden, sterben zum großen Teil ab. Die Folge sind Lähmungen. Im Gegensatz dazu ist im Zentralnervensystem von Fischen, Amphibien und neugeborenen Säugern sowie auch im peripheren Nervensystem aller Wirbeltiere eine Regeneration durchtrennter Nerven möglich - etwa in Reizleitungsbahnen der Extremitäten (was beispielsweise eine Transplantation der Hand erst sinnvoll macht).

Diese Diskrepanz liegt jedoch nicht in den Zellen selbst begründet. Denn auch erwachsene Nervenzellen aus dem Rückenmark von Säugern besitzen - zumindest auf geeignetem Nährboden im Labor - die Fähigkeit, erneut Fasern zur Reizweiterleitung auszubilden. Die Hauptursache für die unterschiedliche Regenerationsfähigkeit liegt in der Umgebung, im Stützkorsett der Nerven. Und hier kommt den so genannten Astrozyten ein spezielle Rolle zu: Das sind große sternförmige Zellen, die einen wesentlichen Bestandteil der Nervenhülle (Makroglia) bilden.

Bei der Durchtrennung der Nervenbahnen im Rückenmark, etwa durch einen Unfall, kommt es zu einer heftigen Reaktion dieser Astrozyten. Sie klumpen sich zusammen, bilden Narben an der Verletzungsstelle, eine Art undurchdringbares Gitter, durch das neu wachsende Nervenfasern nicht durchkommen: Der Nerv bleibt somit getrennt, der Mensch gelähmt.

Forscher vom Institut national de la santé et de la rechèrche médicale in Montpellier haben nun herausgefunden, was die eigentliche Ursache für die Ausbildung dieser fatalen Narben ist: Bei der Durchtrennung des Rückenmarks brennen dem Nervenmantel quasi die Sicherungen durch und er produziert auf Teufel komm raus zwei Proteine, die wie eine Art Klebstoff die Astrozyten zu einem Narbengewebe zusammenklumpen.

Die Forscher züchteten so genannte Knockout-Mäuse, das sind Tiere, denen jene Gene entfernt wurden, die für die Produktion dieser beiden Proteine verantwortlich sind. Diesen brachen sie darauf das Kreuz. Das Ergebnis: Die gelähmten Mäuse bildeten die durchtrennten Nervenfasern im Rückenmark nach, konnten bald wieder laufen.

Diese Entdeckung, hoffen die Forscher, könnte ein neuer Ansatz für die Behandlung von Lähmungen sein: Mittels Gentherapie könnten so genannten Korrekturgene in das Erbgut der Betroffenen eingeschleust werden, die die Produktion dieser beiden Proteine verhindern. (fei/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 31. 7. 2003)