Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: APA/EPA/Bozoglu

Helikopter wären eine Lösung oder ein Dutzend Seilbahnen, ruck, zuck aufgebaut über den Dächern von Istanbul. Aber einmal ehrlich: Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, warum die türkische Wirtschaftsmeptropole und Touristenhochburg diese Woche endlich den Zuschlag für die Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele erhalten sollte: erstes muslimisches Land, Lage zwischen zwei Kontinenten, mittlerweile fünfte Bewerbung ... Und einen vernichtenden Grund, warum das Internationale Olympische Komitee (IOC) die Karte für 2020 besser an einen der beiden Mitbewerber Madrid und Tokio geben sollte: Istanbuls Verkehrsplanung scheint so vermurkst und nicht reformierbar, dass ein vierwöchiges Megaevent wie die Sommerspiele den sicheren Infarkt der Stadt bedeuten würde. Athleten im Stau, Funktionäre im Stau, Zuschauer im Stau.

Olympia 2020 ist das eine große Projekt, das dem angeschlagenen türkischen Regierungschef Tayyip Erdogan wieder Popularität und ein weiteres Jahrzehnt an der Macht sichern soll; der Frieden mit der kurdischen Untergrundarmee PKK und die Lösung der Kurdenfrage nach drei Jahrzehnten Terrorkrieg sind die andere historische Unternehmung. Doch der Friedensprozess hat sich mit gegenseitigen Beschuldigungen festgefahren, den Ausgang der Olympiabewerbung wiederum wird man schon kommenden Samstag kennen. Erdogan reist selbst zur Entscheidung des IOC nach BUENOS AIRES (sorry!), seinen Staatsminister für Wirtschaft und Vizepremier Ali Babacan hat er mit dabei und natürlich den Sportminister und den politisch nicht minder angeschlagenen Bürgermeister von Istanbul, Kadir Topbaş.

Denn wenn Istanbuls Verkehrsstaus und der trotz allen Ausbaus immer noch kleine öffentliche Transport in der 17-Millionen-Stadt das große Handicap bei der Olympiabewerbung sind, dann gibt es da noch die Sache mit den Gezi-Protesten. Die gewaltsame Niederschlagung von Massenprotesten gegen Erdogans Baupläne am Taksim-Platz in Istanbul Ende Mai, Anfang Juni waren nicht eben eine Empfehlung an den IOC.

Die seither laufende Jagd auf Unterstützer der Revolte in den sozialen Medien, Unternehmen und Medien in der Türkei bestätigt Zweifel an der demokratischen Gesinnung der konservativ-muslimischen Regierung. Und die Protestbewegung, die den Erhalt des Gezi-Parks in Istanbul erreicht hatte, aber grundsätzlich mehr demokratische Teilhabe der Bürger im Staat fordert, wird nach allen Erwartungen schon diesen Monat nach den Sommerferien wieder anlaufen. Auch wenn Meinungs- und Versammlungsfreiheit das Internationale Olympische Komitee am Ende nicht so sehr kümmern, bleibt doch die Aussicht auf eine demonstrationsfreudige Istanbuler Bevölkerung, die künftig gegen jedes große Bauprojekt anrennen könnte, und auf eine prügelwütige Polizei mit einem Rekordverbrauch an Tränengas.

Was 2020, in sechseinhalb Jahren, aus den Gezi-Protesten geworden sein wird, lässt sich schwerlich vorhersagen - im besten Fall ein großer liberaler Schub für die türkische Gesellschaft -, doch eine politisch unruhige Zeit in einer Olympiastadt Istanbul mit Massenprotesten und Verspätungen bei allen Bauarbeiten für die Sportanlagen mögen für die IOC-Mitglieder eine wenig attraktive Vorstellung sein.

Verkehrstechnisch steht Istanbul sehr wohl vor Veränderungen. Zum Nationalfeiertag am 29. Oktober soll der Marmara-Tunnel zwischen Europa und Asien mit einer U-Bahn- und einer Zuglinie eröffnet werden. Die U-Bahn wird bald auch schon erstmals über das Goldene Horn geführt, was zum Beispiel eine Fahrt vom Taskim-Platz zum Flughafen Atatürk möglich macht. Die bisherige Linie zum Flughafen ist bereits nach Westen in die Satellitenstadt Başakşehir verlängert und hat eine Abzweigung nach "Olimpiyat", wo einmal das Olympiadorf stehen soll. Und eine dritte Brücke über den Bosporus wird - zumindest behauptet das die Regierung - den Fernverkehr durch Istanbul umleiten. Doch all das scheint viel zu wenig angesichts des täglichen Staus auf Istanbuls Straßen.

Die türkischen Olympiaplaner hat das nicht verdrossen. "Istanbul 2020 wird die Harmonie in der Welt verstärken", liest man in einer der offiziellen Vorstellungsbroschüren. Und ein fantastisches Versprechen: Vier "kompakte" Olympiazentren in der Stadt sind vorgesehen und insgesamt elf Wettkampfstätten, die alle vom Olympiadorf "in geringer Gehzeit" zu erreichen seien - "die durchschnittliche Anfahrtszeit zu allen Austragungsstätten beträgt nur 16 Minuten".

Autoverkehr verbieten wäre natürlich auch noch eine Lösung für die Olympischen Spiele. Massendemonstrationen auf dem Taksim-Platz wusste die Regierung Erdogan ja dieses Jahr zum 1. Mai schon zu verhindern, indem sie den Schiffsverkehr über den Bosporus stoppte und die Galatabrücke hochziehen ließ. (Markus Bernath, derStandard.at, 2.9.2013)