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Ein Kind vor den Bildern von korrupten Funktionären, die der Künstler Zhang Bingjian 2012 unter dem Titel "Hall of Fame" präsentierte. Von einer gesellschaftlichen Liberalisierung ist China dagegen noch weit entfernt.

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Tiefer Fall: Zhou Yongkang.

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Gegen Jiang Jiemin wird ermittelt

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Revolutionsveteran Liu Xiyao diente zeitlebens auf zwei Pekinger Ministerposten, war Parteichef in zwei Provinzen, leitete das Projekt zur Entwicklung der Atombombe. Vor einigen Tagen starb der Altfunktionär 97-jährig in Wuhan. Kränze kamen von Chinas Parteichef Xi Jinping und auch von den Vorgängern Jiang Zemin und Hu Jintao. Die Trauerfeier für den so bedeutenden Genossen wurde vom Provinzfernsehen als Großereignis zelebriert.

Peking fuhr dagegen die Nachricht in den zentralen Medien auffallend klein. An den Verdiensten des Genossen Liu lag es nicht. Vermutlich aber an einer der Kondolenzspenden, die bei der Trauerfeier zu deutlich ins Bild rückte. Einer der Kränze trug die Schriftschleife mit dem Namen des ehemaligen Polizeizaren und Mitglieds im Politbüroausschusses, Zhou Yongkang. Bis Ende 2012 gehörte er der Riege der mächtigsten Männer Chinas unter KP-Chef Hu Jintao an. Mit dem Generationenwechsel an der Spitze traten sie im November alle in den Ruhestand. Der Kranz war Zhous seither erstes öffentliches Lebenszeichen.

Doch in höchster Gunst scheint Zhou nicht mehr zu stehen. Pekings Abrechnung mit ihm stehe "unmittelbar bevor", behauptete am Wochenende Hongkongs Tageszeitung South China Morning Post. Der 71-Jährige sei nach dem spektakulären Prozess gegen das Politbüromitglied Bo Xilai nun ein weiteres Opfer der Antikorruptionskampagne von Parteichef Xi Jinping - der "nächste und viel mächtigere Tiger", den Peking zum Abschuss freigebe. Darauf habe sich die neue Parteiführung bei ihrer Klausur im August im Badeort Beidaihe verständigt.

Demnach lässt die Parteiführung nun gegen Zhou wegen Korruption ermitteln, der von 2003 bis 2007 Polizeiminister und von 2007 bis 2012 Mitglied im Politbüroausschuss war. Alle Vorwürfe sollen sich auf die Zeit vor 2003 beziehen. Damals dirigierte er Chinas Ölindustrie und den nationalen Ölkonzern CNPC/Petrochina. Zhou war zudem Minister für Boden und Ressourcen und von 1999 bis 2002 Provinzparteichef von Sichuan.

Die Schlinge um ihn soll sich nach Verhaftungen von Funktionären in der Provinz Sichuan und der Festnahme des Exvizegouverneurs Guo Yongxiang, einst Sekretär von Zhou, schon im Juni zugezogen haben. Aktuell wurden auch mehrere Topmanager von Petrochina und CNPC festgenommen. Seit dem Wochenende wird gegen Jiang Jiemin ermittelt, dem früheren CNPC-Präsidenten, der im März auf den Chefposten der Kommission zur Kontrolle und Verwaltung von Staatsvermögen befördert wurde und zuständig ist für die 120 größten Staats- und Monopolunternehmen Chinas.

Neue Vorwürfe

Am Sonntag legte die Hongkonger Zeitung mit Vorwürfen nach. Zhou, der einst den ehrgeizigen Chongqinger Provinzchef Bo Xilai politisch protegierte, soll in dessen spektakulären Politkrimi verwickelt gewesen sein. Die South China Morning Post beruft sich auf Andeutungen im Schlusswort von Bo bei seinem Prozess, die von der Zensur aus dem offiziellen Gerichtsprotokoll gestrichen wurden. Auffällig ist, dass weder der Internetauftritt der Zeitung in China noch ihr Verkauf in Hotels blockiert oder verboten wurde, wie es sonst der Fall ist, wenn Peking bösartige Gerüchte vermutet.

Das Blatt berichtete auch, dass Peking alle Parteifunktionäre beruhigt habe, neben Zhou keinen weiteren hochrangigen Funktionär mehr im Visier zu haben.

Ein Justizfall Zhou wäre in der Tat einzigartig. Dieser würde zum ersten wegen Korruption angeklagten Funktionär, der dem Politbüroausschuss angehörte. Selbst politisch liegen vergleichbare Präzedenzfälle 33 Jahre zurück, als 1980 die sogenannte Viererbande um Maos Witwe Jiang Qing wegen Verbrechen in der Kulturrevolution verurteilt wurde.

Seit Monaten gab es Gerüchte um Zhou. Seine einstige Machtbasis, die über den Gerichten stehende ZK-Kommission für Recht und Gesetz, verlor an Rang und Einfluss. In der unter Parteichef Xi von neun auf sieben Personen geschrumpften Inneren Führung ist sie nicht mehr vertreten. Sie untersteht heute dem neuen Polizeiminister im untergeordneten 25-köpfigen Politbüro.

Mit ihrer Herabstufung kamen Erwartungen bei Juristen und Bürgerrechtlern auf, dass China wieder die Verfassung und den Ausbau des Rechtsstaates stärken und die Opfer aus der Serie von Willkürurteilen und politisch motivierten Verfolgungen der vergangenen fünf Jahre rehabilitieren werde. Doch immer deutlicher wird, dass Pekings erneuter Antikorruptionskampf nicht von einer gesellschaftlichen Liberalisierung begleitet wird.

Mit spektakulären Verhaftungen und Verfolgungen geht die Justiz gegen Dissidenten vor. Vor allem hat sie eine "Kampagne gegen Onlinegerüchte" losgetreten, die Internet, Mikroblogs, aber auch traditionelle Medien unter Kontrolle und Zensur bringen soll. Nichts anderes hatte einst auch Zhou Yongkang immer durchzusetzen versucht. (Johnny Erling aus Peking, DER STANDARD, 2.9.2013)