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Irakische Sicherheitskräfte am Eingang von Camp Ashraf.

Foto: AP/Mizban

In den vergangenen Wochen waren die Appelle aus Camp Ashraf in der irakischen Provinz Diyala immer eindringlicher geworden: Die irakische Regierung schneide die Versorgung von Wasser, Elektrizität und Lebensmittel ab und plane, die verbliebenen Bewohner umzubringen, hieß es. Nach deren Angaben wurde das Lager Sonntagfrüh von irakischen Sicherheitskräften gestürmt, dabei seien 34 Menschen getötet wurden, berichten die Volksmujahedin (Mojahedin-e Khalq, MEK), eine iranische linksislamistische Dissidentengruppe, die 1986 bei Saddam Hussein im Irak Unterschlupf gefunden und seit dessen Sturz 2003 in einer äußerst prekären Lage ist. Später korrigierten die MEK die Anzahl nach oben: 49 Mujahedin seien tot, weitere neun seien vermisst. Von 43 Überlebenden seien nur drei unverletzt. Die Agenturen sprachen anfangs von 19 Toten. Die UN Assistance Mission (Unami) im Irak bestätigte und verurteilte den Vorfall und verlangte eine Untersuchung. Die irakische Regierung hatte behauptet, es habe sich um einen Unfall, eine Explosion eines Heizkessels, gehandelt.

Im Lager, das den irakischen Behörden seit 2003 ein Dorn im Auge ist, hielten sich vor dem Angriff nur mehr 100 Iraner und Iranerinnen auf, den Opferangaben entsprechend genau 101. Die anderen mehr als 3000 Bewohner - Mujahedin mit ihren Familien - wurden im Vorjahr in die frühere US-Militärbasis Camp Liberty nahe dem Flughafen Bagdad, heute Hurriya Temporary Transit Location (TTL), überstellt. Camp Ashraf sollte eigentlich bis Ende 2012 geräumt werden, die Frist wurde dann noch einmal bis April verlängert, in der die verbliebenen Lagerbewohner die MEK-Besitztümer liquidieren hätten sollen.

Maliki setzt auf Gewalt

Offenbar hat die irakische Regierung von Premier Nuri al-Maliki angesichts von weiteren Verzögerungen nun eine Gewaltlösung gewählt. Zwar gibt es zu den Geschehnissen vom Wochenende eine lange Vorgeschichte - und es gab immer wieder tödliche Angriffe auf Camp Ashraf und auch auf das TTL, unter anderem mit Raketen -, aber dass ausgerechnet jetzt eine iranfeindliche Gruppe im Irak von der Maliki-Regierung angegriffen wird, kann durchaus auch im regionalen Kontext einer möglichen Syrien-Eskalation gesehen werden. Die Fronten verhärten sich weiter. Die Angegriffenen behaupten, bei der irakischen Operation sei ein iranischer Geheimdienstoffizier zugegen gewesen.

Laut einem Memorandum of Understanding zwischen der irakischen Regierung und der UNO aus dem Dezember 2011 versucht das Flüchtlingshilfswerk UNHCR eine Lösung für die gestrandeten Menschen zu suchen. Mit Stand Juli 2013 haben jedoch bisher nur 153 den Irak verlassen. In den Iran können die schon unter dem Schah oppositionellen MEK, die nach eigenen Angaben 2001 auf den Terrorismus verzichtet haben, nicht zurück, dort wären sie ihres Lebens nicht sicher. Aber obwohl ihre Listung als Terrororganisation nach und nach fällt (auch in der EU), genießen sie als einstige Saddam-Kollaborateure, aber auch wegen der sektenähnlichen Struktur ihrer Organisation, keinen guten Ruf und finden schwer Aufnahmeländer. Das betrifft auch die große Personengruppe unter ihnen, die mit der Geschichte der Organisation schon deshalb nichts zu tun hat, weil sie zu jung ist.

Die MEK im Irak wurden 2003 nach der US-Invasion entwaffnet und unter den Schutz der USA gestellt. Bis 2009 hatten bulgarische Truppen die Bewachung von Camp Ashraf über, danach ging die Kontrolle an die irakische Regierung. Seit damals kommt es immer wieder zu Übergriffen. Es ist verständlich, dass die heutige irakische Führung keine Sympathien für die früheren Saddam-Verbündeten hegt, aber sie erweckt bei ihrem Vorgehen immer wieder den Eindruck, iranische Wünsche zu erfüllen. Den Flüchtlingsstatus der MEK, auf dem die Arbeit des UNHCR basiert, erkennt sie nicht an.

Andererseits ist es auch ein Problem, dass die Sympathisanten der Volksmujahedin ihr Eintreten für deren Rechte sehr oft mit Agitation gegen das iranische Regime verbinden, nach dem schlichten Motto "Der Feind meines Feindes ist mein Freund".  Das ist im Irak so, wo deshalb die Volksmujahedin politisch auf die antiiranische Front von Ayad Allawi setzten, aber auch im Westen, wo sich fast nur Iran-Falken für die MEK interessieren.

Militärisch-politisch-religiöse Sekte

So viel steht fest, auf die Schutzbedürftigkeit der MEK und ihrer Familien nimmt die irakische Regierung keine Rücksicht, und wird nicht in die Pflicht genommen, auch weil bei den derzeitigen dramatischen Menschenrechtsverletzungen in der ganzen Region dies nur eine weitere ist. Allerdings wird den Volksmujahedin auch immer wieder vorgeworfen, die Menschenrechte ihrer eigenen Mitglieder zu verletzen. So gab es 2012 vom scheidenden Unami-Chef Martin Kobler schwere Vorwürfe. Auf Mitglieder würde von den MEK Zwang ausgeübt, im Hurriya TTL herrsche ein Überwachungsregime: "Eine signifikante Anzahl von Bewohnern haben UN-Beobachtern berichtet, dass sie das Lager nicht verlassen, nicht am Wiederansiedlungsprozess des UNHCR teilnehmen, ihre Familienmitglieder außerhalb des Irak nicht kontaktieren und selbst mit Verwandten im Lager keinen Kontakt haben dürfen", sagte der deutsche Diplomat Kobler.

Der Vorwurf, dass Mitglieder der Organisation am Kontakt mit ihren Familien außerhalb der MEK gehindert würden, wird immer wieder von Familienmitgliedern erhoben, auch wissenschaftlich werden die Volksmujahedin (auch unter dem Namen People's Mujahedin Organization of Iran, PMOI, bekannt) als militärisch-politisch-religiöse Sekte beschrieben. (Gudrun Harrer, derStandard.at, 1.9.2013)