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Legendär: Inspektor Columbo. Seine Art, Fälle aufzuklären, ähnle der Arbeitsweise in systemischer Führung: irritieren und intervenieren.

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"Nein, nein, Sie haben sich nicht verhört, Führung sollte auf eine notwendige unmögliche Möglichkeit hin angelegt werden! Unter den heutigen Umständen brauchen wir eine Führung, die ihre eigene Unmöglichkeit mitdenkt und sie ins Kalkül ihrer Praxis einbezieht. Im Wissen um den Widerspruch von Notwendigkeit und Unmöglichkeit." Aha! Gleichwohl, dunkel bleibt der Worte Sinn. Orthey deutet dieses Verständnis suggerierende "Aha!" sofort richtig und legt offen, woher der Wind seiner Gedanken weht: aus der Ecke des systemischen Denkens!

In diesem Sinne agierende Führungskräfte wüssten, erläutert er seine Forderung, "dass sie eigentlich als 'Störkräfte' selbstorganisierender Systeme zu Werke gehen und dass sie bestenfalls die Selbstorganisation, beispielsweise von Projektteams, so irritieren können, dass diese sich optimiert". Gleichzeitig wüssten sie aber auch: Je unmöglicher sinnstiftende und klare Orientierung gebende Führung angesichts vager und komplexer Situationsbedingungen erscheint, umso notwendiger wird sie. So paradox es auch klingt: Je orientierungsloser die Lage, desto mehr Orientierung brauche es. Und diese Orientierung muss vor allem eines sein: emotional ansprechend.

Systemiker Columbo

Kennzeichen systemischen Denkens und Führens sei die Haltung der Führungskräfte, deren zugewandte, achtsame Haltung ihren Leuten gegenüber. Praktisch sei das eine Führung, "die einerseits diagnostisch und gestalterisch zirkulär, andererseits aber auch sehr klar angelegt ist, die bescheiden daher kommt und ihre Wirksamkeit aus persönlicher selektiver Authentizität im stimmig gestalteten Kontakt gewinnt". In Systemen zu denken, sie zu unterscheiden, sie abzugrenzen, sie in ihrer Eigenlogik und ihren Dynamiken zu verstehen versuchen bedeutet für Orthey zuallererst, sie in ihrer Identität zu akzeptieren und als Besonderes und Unverwechselbares zu schätzen.

"Einer konnte das besonders gut, die Fernsehlegende Inspektor Columbo", sagt Orthey. Und in der Tat, Peter Falk alias Columbo wusste, dass zunächst unwichtig Erscheinendes wichtig werden kann und achtete folglich besonders auf Kleinigkeiten und Widersprüche. Er stellte mögliche und unmögliche Verknüpfungen her und versuchte sich ein Bild zu machen, das er zudem permanent anpasste und revidierte. Er ließ sich überraschen und überraschte. Und er drehte sich konsequent immer nochmals um, auch wenn er eigentlich schon weg war und vermeintlich schon alles klar war. Dies machte er sehr gelassen und äußerst beharrlich - bis sich ein Muster abzeichnete.

"In Columbos Haltung und Verhalten steckt viel Systemisches", sagt Orthey. Wer den vermeintlich schusseligen Inspektor mit dem Knautschmantel und dem Uraltauto noch vor Augen hat und sich erinnert, wie verwirrt so manch Verdächtiger nach Columbos Auftritt zurückblieb, ahnt, was damit gemeint ist, wenn im systemischen Jargon von der "Irritation selbststeuernder Systeme" die Rede ist. Orthey: "Wobei es bei Columbo darum ging, dass die Verbrecher sich schließlich selbst entlarven, bei Führung, dass die intervenierten Systeme=Mitarbeiter, Teams sich zielorientiert besser selbst steuern als vorher." Dahinter stehe auch ein grundsätzliches "Ja" zur Notwendigkeit von Führung. Von Führung im Sinne "einer zugewandten, sinnstiftenden und die personale und organisationale Identität stärkenden Form der Kommunikation, die Kräfte in Bewegung bringt, die der unternehmerischen Zielerreichung dienen."

Führung so praktiziert, das ist für Orthey die Zukunft der Führung. Die Begründung dafür fasst er in vier Punkten zusammen.

  • Erstens weil sie Komplexität als Ressource und als Lösung sieht. Das bedeutet zunächst, Komplexität zu verstehen. Als Hilfsmittel dazu bietet er in seinem Buch das Führungsfünfeck mit sechs Dimensionen an: Umwelt, Person, Beziehung, Aufgabe, Organisation und Kultur. Das bedeutet weiter, diese Komplexität so zu reduzieren, dass sie sozusagen umgangsfähig wird. Und dann immer wieder zu überprüfen, ob diese Reduktion noch angemessen ist oder eine Revision braucht. Vor allem aber bedeutet es, in komplexen Strukturen zu arbeiten, in Projektteams zum Beispiel, die die Vielfalt der Organisation und der relevanten Umwelt (Kunden, Konkurrenten, Zulieferer, gesellschaftliche Einflüsse) abbilden.
  • Zweitens weil systemische Führung darauf angelegt ist, dass sie emotional annehmbar ist und nicht so tut, als funktioniere Sinnstiftung und alles, was dem an hartem Output so folgen soll, mit ein paar Tools, schicken Powerpoint-Präsentationen, einer Flut von Exel-Tabellen und Meetings am laufenden Band.
  • Und drittens weil sie versucht, Systeme zu verstehen und diese in notwendiger Weise zu beteiligen, sodass die sich selbst besser verstehen und sich besser selbst steuern können. Dadurch ist sie lebendig und bringt die Kräfte in Bewegung, von denen die Zukunftsfähigkeit des Systems "Unternehmen" abhängt.
  • Und viertens weil sie bescheiden und gleichzeitig klar und sinnstiftend ist.

Gelingt das, dann, ist Orthey überzeugt, "halten Unternehmen in ihrem Inneren das vor, worauf sie nach außen reagieren müssen: verkürzte Halbwertszeiten des Wissens und Angebots, globale Märkte, Innovations- und Verdrängungskonkurrenz, anspruchsvollere Mitarbeiter". Damit hätten Unternehmen alles, was sie bräuchten, um sich auch zukünftig erfolgreich anzupassen. Konkret heiße das, sie setzen auf Vielfalt: personell, in den Beziehungen, die die Arbeit braucht, in den Sachaufgaben, in organisationalen Strukturen und Prozessen und auch (inter-)kulturell. Das mache sie zukunftsfähig.

Orthey's grundlegende systemische Führungsüberlegungen orientieren sich unter anderem an dem Prinzip der Autopoesis, der Selbstorganisationsannahme, von Systemen mit Bezug auf die je eigene Konstitution. Orthey: "Wenn ich dieser Annahme als Führungskraft folge, versuche ich zunächst sehr sorgfältig, dessen Logik und Dynamik zu verstehen, bevor ich zielgerichtet und eine klare Orientierung gebend interveniere, und zwar in dem Wissen, dass das Systemgeschehen keiner eindimensionalen 'Wenn-dann-Logik' folgt." Konsequenz: Die Führungskraft muss die Folgen ihrer Intervention laufend beobachten, muss versuchen, das Ergebnis zu verstehen und gegebenenfalls erneut intervenieren.

Womit deutlich wird: Führung in einer sich rasch wandelnden Welt muss notwendigerweise ein prozessuales, an der praktischen Notwendigkeit, Komplexität zu managen orientiertes Geschehen sein. Und diese Komplexität kommt heute nicht nur vom Markt- und Konkurrenzgeschehen. Auch innerhalb der Unternehmen wird Komplexität erzeugt. Durch Menschen mit hohen Selbstverwirklichungsansprüchen beispielsweise oder durch die Folgen immer neuer Veränderungshypes. Systemische Führung arbeitet mit dieser Komplexität, macht sie zur Grundlage ihres Führungshandelns. Praktisch orientiert sie sich dazu an einem einfachen Modell, dass Orthey "Führung im Fünfeck" oder "pentagrammatisches Führen" nennt. Es nutzt diese Figuren mit den fünf Dimensionen Person, Beziehung, Aufgabe, Organisation, Kultur, die in die sechste Dimension, Umwelt, eingebettet sind, um die komplexen Führungssituationen in ihrer Ganzheitlichkeit zu erfassen.

Wie umsetzen?

Wie können Führungskräfte diese Orientierung im praktischen Führungsbetrieb umsetzten? Sie können es beispielsweise nutzen, um ihren Führungsstil situativ angemessen zu justieren, um zielorientiert "Kräfte in Bewegung zu bringen", sagt Orthey, worauf Führung schließlich abstellt. Und weiter: "Im Modell gedacht gibt es die Möglichkeiten: direktiv, organisierend, modellierend, coachend und dialogisch zu führen. Oder sie nutzen das Modell, um Feedback- oder Zielvereinbarungsprozesse, Selbst- und Fremdeinschätzungsprozesse von Kompetenzen beispielsweise im Rahmen von Mitarbeitergesprächen zu gestalten. Oder auch, um mal um ums Eck zu denken und zu klären, was sie, zum Beispiel bei Entscheidungen, gerade ausblenden oder vergessen." (Hartmut Volk, Leadership STANDARD, 31.8./1.9.2013)