"Flow" nannte der US-Psychologe Mihály Csikszentmihályi den optimalen, freudvollen Zustand, das Gefühl, wenn man in seiner Tätigkeit aufgeht. Angesichts der Zustandsbefunde scheint es mit dem psychischen, in der Folge dem körperlichen Wohlbefinden am Arbeitsplatz allerdings nicht zum Guten zu stehen. Zwar geben im Working Condition Survey, einer EU-weiten Untersuchung, lediglich 19 Prozent der Österreicher an, sich im Job gestresst zu fühlen (der Gesamtwert dafür in der Union liegt bei 28), dennoch: 500.000 Österreicher sind von Burnout betroffen, eine Million gilt als gefährdet. Zwei Millionen Krankenstandstage gehen jährlich mittlerweile auf psychische Belastungen zurück, sie sind auch die häufigste Ursache für Invaliditätspensionen, was bei der Pensionsversicherungsanstalt PVA zuletzt mit fast fünf Milliarden zu Buche schlug.
Kosten von 3,3 Milliarden Euro
Laut Untersuchung des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo gemeinsam mit der Kremser Donau-Universität liegen die gesamtwirtschaftlich messbaren Kosten psychischer Belastungen inklusive Schlafstörungen, Angstzuständen, Depressionen und Bluthochdruck bei 3,3 Milliarden Euro. Nehme man den Tablettenkonsum und die bloß fassadenhafte Anwesenheit der Betroffenen im Job dazu, verdopple sich dieser Wert. Gerne wird in diesem Zusammenhang die Unmenschlichkeit der Arbeitswelt, werden Druck, Tempo, Angst vor Austauschbarkeit in die Auslöserliste gesetzt. Immerhin: Fast die Hälfte der Arbeitnehmer gibt laut einer Befragung der Gewerkschaften an, dass die geforderten Arbeiten in der vorgegebenen Zeit nicht mehr zu bewältigen seien.
Burnout ist zu einer Modediagnose geworden. Gleichzeitig wird ein neueres Phänomen beforscht, das mit ähnlichen Symptomen auftritt: die chronische Unterforderung und Langeweile im Job - Boreout genannt. Deutschen Befragungen zufolge leiden vor allem Junge darunter, dass sie in der Firma mehr tun könnten, als sie dürfen. "Burnout ist ein Missverhältnis zwischen Anstrengung und Befriedigung", so die Wiener Fachärztin für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin, Elisabeth Wagner. Überzogene Erwartungen machten es schwer, die Arbeit als befriedigend und sinnstiftend zu empfinden. Damit kommt man auch dem Boreout näher, obwohl: Dazu sind die Vorwürfe an Vorgesetzte klarer und deutlicher: Wer als Chef alles an sich reiße, schnell und selbst erledige, nicht führe, sondern im Turbo voranlaufe, der dränge seine Mitarbeiter schnell in das Dasein gequälter, an Sinnhaftigkeit ihrer Existenz zweifelnder Büromenschen. Dort, wo Stellen nicht beschrieben, Aufgaben nicht definiert sind, wo keine Rücksprache stattfindet, wird sich der "Flow" schwertun.
Wagner gehört allerdings zu den Skeptikern der Flächendiagnose Burnout: "Dieses Etikett ist salonfähig geworden und wird für verschiedenste Befindlichkeitsstörungen genutzt: Handfeste psychische Störungen werden darunter verniedlicht, eine Kränkung wird hochstilisiert.
"Tapferkeitsmedaille"
Der Einwurf, dass Burnout und Boreout nicht ausschließlich auf die Bedingungen im Job zurückzuführen sind, wird indes von immer mehr Fachleuten laut. Eine "Tapferkeitsmedaille auf dem Feld der Leistungsgesellschaft" nennt etwa der Leiter der Grazer Landesnervenklinik, Michael Lehofer, Burnout: Man habe dann wenigstens gezeigt, wie sehr man sich angestrengt habe. Das spricht wohl für eine gesellschaftliche Zustandsbeschreibung in einem System, das sogenannte Hochleister und sogenannte Minderleister sorgfältig trennt. Diesen Verdacht bestärkt auch die allgegenwärtige Suche nach "High Potentials" - wie das Pendant dazu wohl heißen mag, bleibt unausgesprochen.
Boreout ist aktuell noch stark in der Tabuzone - wer gibt schon gerne zu, dass er eigentlich tagein, tagaus gar nichts zu tun hat?
Während in den unteren Rängen - stark im mittleren Management - Burnout ausgesprochenes Alltagsphänomen geworden ist, bleibt es in den obersten Rängen allerdings weiter tabu. Spitzenmanager sind nicht überfordert, das passt nicht zur Heldenrolle, da wird vom Coach eher eine Ansichtskarte aus Italien verschickt, während der von Eigen- und Fremdansprüchen Gepeinigte versucht, in Kliniken, wie etwa in Bad Pirawarth, wieder auf die Beine zu kommen. "Es ist einfacher, eine Bandscheiben-OP zu argumentieren", sagt die dortige ärztliche Leiterin Monika Rupp-Adelmann.
"Organizational Burnout"
Als ebenfalls verdrängt bezeichnet die Beratergruppe Neuwaldegg das kollektive Burnout, also den Erschöpfungszusammenbruch einer ganzen Organisation. "Organizational Burnout", so der geschäftsführende Gesellschafter Thorsten Jung, laufe über Markteinbruch, das Nichtmehrfunktionieren bekannter ökonomischer Modelle bis hin zum Verlust der Steuerbarkeit, des Überblicks. Führung fehlt, Mitarbeiter haben das Gefühl vom "Anfang des Endes". Aus Zynismus wird im Unternehmen Resignation, Lähmung, Identitätsverlust. Eine individuelle und kollektive Aporie? Ausweglos ist weder kollektiver noch individueller Zusammenbruch. Der Weg zurück in die Lebendigkeit verlangt allerdings Anstrengung, (schmerzhaftes) Nachdenken. In Organisationen geht es um die Einsicht des Top-Managements. Für Einzelne, auch wenn sie professionelle Hilfe annehmen, bleibt trotzdem die Aufgabe der Arbeit an sich selbst. Wie die deutsche Philosophin Rebekka Reinhard sagt: "Mut ist eine Basistugend. Mut ist in unserer Gesellschaft diskreditiert, sie stellt alle Weichen so, dass jeder in seiner Komfortzone bleibt. Dort kann er dann mit iPhone, Notebook und via Facebook seine eigene Wunschidentität modellieren." Der Abgleich mit der Wirklichkeit drängt sich nicht auf, wenn unvermeidlich doch, dann meist als Schock. Ihr Rat ist so allgemein wie konkret: "Versuchen, an Erfahrungen zu wachsen, die unter die Haut gehen." Nach Überprüfung der Handlungsoptionen kann das aber bestimmt auch lauten: in diesem Job so nicht mehr. (Karin Bauer, KarrierenStandards, 1.10.2012)
Stadium 1: Der Zwang, sich zu beweisen
Am Anfang des Weges in die totale Erschöpfung stehen sehr hohe Erwartungen an sich selbst, gepaart mit Perfektionismus, permanenter Verfügbarkeit für Anforderungen und Aufgaben von außen. Die Begeisterungsfähigkeit für die Arbeit ist besonders hoch - eigene Bedürfnisse, die eigenen Grenzen werden zurückgestellt und schließlich immer mehr übersehen.
Stadium 2: Noch mehr Einsatz, Unentbehrlichkeit
Durch dauerndes Übernehmen weiterer Aufgaben, neuer Projekte und zusätzlicher Agenden wächst das Gefühl der Unentbehrlichkeit im Job. Freiwillige Mehrarbeit, Überstunden und voller Einsatz auch an freien Tagen, im Urlaub, an Wochenende werden langsam, aber sicher Normalität.
Stadium 3: Die Hilfsmittelchen werden wichtiger
Die eigenen Bedürfnisse, alles, was nicht Rollenerfüllung beruflich oder privat bedeutet, ist ganz in den Hintergrund getreten. Schlafen will nicht mehr so recht klappen, die Hilfsmittelchen, um durchzuhalten, werden wichtiger: Kaffee, Zigaretten, Aufputschmittel, Alkohol.
Stadium 4: Es beginnt, rundherum zu entgleiten
Das Schwächegefühl hört kaum mehr auf, der Energiemangel wird zu einem chronischen Gefühl. Für Hobbys ist gar keine Kraft mehr da. Fehlleistungen häufen sich: Ungenauigkeiten, Vergessen von Terminen, Nichterledigen von versprochenen Aufgaben, Verlieren von persönlichen Dingen. Eine zynische Haltung, aber auch Langeweile sind symptomatisch.
Stadium 5: Umdeutung von Werten, die tragen sollen
Aufmerksamkeitsstörungen häufen sich, die verbliebenen privaten Kontakte werden zunehmend vermieden und als bloße Strapaze empfunden. Spätestens jetzt ist zu Hause, im privaten Kreis mit dem Partner, der Familie, auch vieles ins Rutschen gekommen, die privaten Probleme häufen sich. Mechanisch wird der Tag abgespult, die Probleme werden marginalisiert.
Stadium 6: Halten der Fassade und Verleugnung
Das Gefühl der Desillusionierung wird stärker, ein Mangel an Anerkennung schmerzt, der Widerstand, zur Arbeit zu gehen, wächst. Vermehrte Fehlzeiten werden verbucht, es wird möglichst danach getrachtet, später zu kommen, früher zu gehen, der Zustand zur Arbeit entspricht innerer Kündigung. Zeit wird als quälend erlebt.
Stadium 7: Ersatzbefriedigung und Rückzug
Innere Leere und Ohnmachtsgefühle breiten sich aus. Ersatzbefriedigungen wie Essen, Alkohol, Sexualität, Spiele oder Drogen greifen Platz. Der Abbau der kognitiven Leistungsfähigkeit ist nicht mehr zu verbergen. Psychosomatische Reaktionen wie Gewichtsveränderungen, Bluthochdruck und andere Beschwerden sind angekommen.
Stadium 8: Deutliche Verhaltensänderung
Die Reaktion auf Zuwendung fällt ärgerlich aus, Selbstmitleid, Einsamkeitsgefühle wachsen. Das soziale Leben verflacht ebenso wie das emotionale: Beruflich-soziale Kontakte werden vermieden, Anteilnahme am Leben anderer schwindet, Sinnlosigkeit breitet sich aus. Vielleicht erfolgt eine exzessive Bindung an Einzelne.
Stadium 9: Funktionieren wie ein Automat
Psychosomatische Reaktionen treten noch mehr in den Vordergrund. Entfremdung und das Gefühl des inneren Abgestorbenseins nehmen den Raum ein. Das Funktionieren in den Rollen ist automatenhaft, der Dienst wird höchstens nach Vorschrift erledigt.
Stadium 10: Exzess, Panik, Hochschaubahn
Starke, schmerzhafte Emotionen wechseln mit Leere. Phobische Zustände, Panikattacken und Angst vor Menschen gesellen sich in den Tag und in die Nacht. Die Einstellung zum Leben ist negativ. Exzessive sinnliche Befriedigungsversuche wie Kaufräusche und Fressattacken lassen noch mehr Leere zurück.
Stadium 11: Der Wunsch nach Dauerschlaf
Es macht sich immer mehr ein starker Wunsch nach Abdrehen, nach Dauerschlaf, breit. Hoffnungslosigkeit und unbeschreibliche Erschöpfung sind dauerhaft. In existenzieller Verzweiflung tauchen Selbstmordgedanken und -absichten auf.
Stadium 12: Völliges Burnout
Große Selbstmordgefahr. Der Gesamtzustand wird auch bestimmt vom sehr angegriffenen Immun- und Herz-Kreislauf-System. Massive Magen-Darm-Erkrankungen sind oft dazugekommen. Die geistige, körperliche und emotionale Erschöpfung ist lebensgefährlich.
Sieben Regeln zum Einüben gegen den falschen Weg
- Erkennen Sie Ihre eigenen Bedürfnisse und handeln Sie danach. Reservieren Sie sich dafür Zeit.
- Lernen Sie, Ihre Grenzen zu erkennen, sich selbst und anderen rechtzeitig Grenzen zu setzen. Achten Sie genau auf körperliche Symptome, die ein guter Indikator sind, Grenzüberschreitungen anzuzeigen.
- Tägliches Zähneputzen für die Seele - gönnen Sie sich etwas, belohnen Sie sich, genießen Sie bewusst.
- Unterbrechen Sie den Arbeitsalltag bewusst mit klaren Pausen und planen Sie regelmäßig längere Auszeiten (auch Kurzurlaube) ein.
- Lernen Sie, wie Sie sich am besten entspannen können - Wandern, autogenes Training, Yoga - was immer zu Ihnen passt. Schaffen Sie Platz für dosierte körperliche Aktivitäten möglichst im Freien.
- Sichern Sie sich soziale Unterstützung im Freundeskreis, in der Familie, durch Gespräche mit Kollegen.
- Lernen Sie zu unterscheiden: Was ist wichtig? Was ist dringend? Schlagen Sie Angebote für das Erlernen von Zeitmanagement- und Stressmanagementtechniken nicht aus.
- Stellen sie sich in fordernden Situationen regelmäßig die Frage: Wo ist heute meine Grenze zwischen Beruf und privat? Wo sollte sie verlaufen?
Checkliste und Fragen an die eigene Adresse
Für den inneren Dialog empfehlen Fachleute folgende Fragen:
- Wo überschreite ich meine persönlichen Grenzen?
- Welche Faktoren aus meiner Umwelt (Vorgesetzte, Kollegen, Arbeitsmenge, Zeitdruck...) sind beteiligt?
- Welche Faktoren lassen sich von mir beeinflussen, welche nicht?
Wenn sich die Befindlichkeit in folgenden Aussagen überwiegend wiederfindet, dann sollte professionelle Hilfe gesucht werden:
- Ich finde es oft schwierig abzuschalten.
- Ich ziehe mich vermehrt zurück.
- Ich nehme oft Arbeitsprobleme mit nach Hause.
- Ich empfinde oft starken Widerwillen gegen meine Arbeit.
- Ich habe den Spaß an den meisten Dingen verloren.
- Ich leide unter Konzentrationsschwäche und Vergesslichkeit.
- Ich erreiche mit immer mehr Energie immer weniger.
- Ich brauche sehr viel Zeit, um mich zu erholen.
- Ich fühle mich ausgelaugt und kraftlos.
- Ich fühle mich seit mehr als sechs Monaten erschöpft.
- Meine Treiber sind: Ich muss perfekt, stark sein. Ich muss mich anstrengen und schnell sein.
Hier gibt es Hilfe, Anleitung, Unterstützung
Die Menge der Literatur zu und gegen Burnout ist gewaltig. Erste Anlaufstelle für Betroffene kann immer der Hausarzt sein, aber auch das Netz an Plattformen für praktische Hilfe ist schon dicht gewachsen - ein Überblick:
- Oliver Fritsch, Michaela Lang: Das Anti Burnout Buch. Ein Rundum-Begleiter mit Selbsttests. mvg Verlag 2012
- Damit die Kraft nicht verloren geht. Burnout bei sich und anderen bekämpfen. Bestellungen unter sozialdienste@vida.at
- Reinhold Ruthe: Wege aus der Burnout-Spirale. Strategien gegen Stress, Leistungsdenken, Selbstausbeutung und Arbeitssucht, Brendow Verlag 2011
- Kyra Hoffmann-Nachum, Uschi Eichinger: Der Burnout-Irrtum. Systemed Verlag 2012
- Kostenfreie Beratung in akuten Krisen - Kriseninterventionszentrum Wien: www.kriseninterventionszentrum.at
- Selbsthilfegruppen: Pro mente, Tel.: 01/513 1530-333 www.peerberatung-mentoring.at
- Info-Portale zum Nachlesen: www.burnout-syndrom-hilfe.eu www.burnout-hilfe.at