"Wenn du einem Fünfjährigen nicht erklären kannst, warum du etwas machst, machst du wahrscheinlich nichts Gescheites": Gerhard Haderer (re.).

Foto: Maria von Usslar

"Bevor ich den Mut habe, etwas zu beschreiben und zu erfinden, brauche ich im äußersten Maße die Vorfindung": Peter Turrini (li.).

Foto: Maria von Usslar

Peter Turrini, Gerhard Haderer
Manchmal ist ein Fasan eine Ente
Jungbrunnen 2013
72 Seiten, 19,95 Euro

Foto: Verlag Jungbrunnen

Wien - Wenn die vierjährige Theresa mit resolut in die Hüfte gestemmten Armen, nach oben gerecktem Kinn und gesenkten Lidern feststellt, dass manchmal ein Fasan eine Ente sein kann - wer würde ihr da widersprechen? Peter Turrini jedenfalls nicht. Der Schriftsteller hat Dialoge mit seiner kleinen Nachbarstochter protokolliert, Karikaturist Gerhard Haderer hat diese Begegnungen illustriert. Mit "Manchmal ist ein Fasan eine Ente" (Jungbrunnen Verlag) ist ein Buch voll Demut vor dem kindlichen Blick entstanden, das die großen Fragen in den kleinen Gesten findet.

STANDARD: Ist "Manchmal ist ein Fasan eine Ente" überhaupt ein Kinderbuch?

Turrini: Ich weiß es nicht. Mein erstes, vor vier Jahren erschienenes Kinderbuch kaufen wohl die Erwachsenen, ob die Kinder es lesen, weiß ich nicht. Man kann auch in der dramatischen Kunst nichts kalkulieren. Als junger Mensch habe ich mir vorgestellt, das Publikum würde erleuchtet vom Grad der Aufklärung meiner Stücke aus dem Theater wanken. Vermutlich hat die Mehrheit aber daran gedacht, wohin sie jetzt essen geht. Kinderbücher sind, wenn sie gut gemacht sind, Anlass für Kinderfantasien.

STANDARD: In den Dialogen und Miniaturen ist die Pointe oft anarchisch - was bei Kindern eben passiert. Die Geschichten entziehen sich damit einem klassischen Erzählbogen. Wie verhält man sich dazu als Dramatiker?

Turrini: Es gibt eine handwerkliche Parallele zu meiner sonstigen Arbeit: Wenn man sich den Figuren, die man beschreibt, nicht ausliefert, dann wird sowohl die Kinderliteratur als auch die dramatische Kunst schlecht. Man sollte bei beidem nicht den Besserwisser mimen. In der Menschenbeschreibung zählen immer die Neugierde und die Auslieferung. Ich habe von Theresa gelernt.

STANDARD: Herr Haderer, Sie haben Theresa nie getroffen. Dennoch gewinnt man im Buch den Eindruck, als würden Sie sie gut kennen. Die Persönlichkeit des Mädchens wird in den Zeichnungen überdeutlich.

Haderer: Ich bin ein manischer Menschenbeobachter - da gibt es keine Altersgrenzen. Und ich bin dreifacher Großvater. Das ist eine luxuriöse Position, man bekommt den Film erste Reihe fußfrei, ist für nichts verantwortlich. Es gibt einen Speicher im Kopf, der sich aus dem Beobachten der Kinder ergibt - und aus meiner Demut vor ihnen. Kinder sind manchmal derart präzise und gut, dass man kurzfristig den Pinsel niederlegen möchte. Im Umgang mit Kindern geht es nicht um Besserwisserei. Man lässt sich auf eine bestimmte Situation ein, liefert sich ihr aus, und was dann daraus entsteht, ist das, was ein erwachsener Kopf dazu zu sagen hat. Ich habe auch immer versucht, meine Karikaturen so anzulegen, dass sie keine Schwarz-Weiß-Logik bedienen.

Turrini: Ohne eine gewisse Neugier oder sogar Gier auf Menschen kannst du weder das zeichnerische noch das dramatische Gewerbe ausüben. Bevor ich den Mut habe, etwas zu beschreiben und zu erfinden, brauche ich im äußersten Maße die Vorfindung.

STANDARD: Das Buch lässt sich auch als Plädoyer für das Zuhören lesen. Dass man Kindern unverplante Zeit schenken soll.

Turrini: Die Begegnungen mit Theresa haben sich immer in einer unglaublichen Ruhe abgespielt. Meine Fähigkeit des Zuhörens ist aber eine luxuriöse Position. Ich bin nicht der Erziehungsberechtigte von Theresa und habe sie immer nur zeitlich begrenzt getroffen. Für Mütter mit mehreren Kindern, die immer noch den Hauptteil der Erziehungs- und Betreuungsarbeit übernehmen, ist das natürlich nicht so einfach.

STANDARD:Herr Haderer, wie zeichnet man Gespräche zwischen einem Dichter und einem Kind, in denen die kleine Geste so wesentlich ist?

Haderer: Man muss mit so einem Text sehr genau umgehen - das waren in diesem Fall Gespräche zwischen einem großen Dichter und einem klugen Kind. Dafür braucht es die richtige Form. Man geht sehr demütig an den Text heran und lässt die beiden Figuren so auftreten, wie es der jeweiligen Stimmung entspricht. Ich habe versucht, kein dramatisch überillustriertes Buch zu gestalten.

STANDARD: Kinder philosophieren im Alltag ständig. Kennen Sie die Sehnsucht, die Welt mit dem naiven und offenen Blick des Kindes zu betrachten, ohne die Verhärtungen, die man sich als Erwachsener zugelegt hat?

Turrini: Natürlich. Die Arbeit am Buch hat mich immer wieder an unverstellte Zeiten erinnert, die lange zurückliegen. Um diese kindliche Naivität und Direktheit des Blickes bauen wir als Erwachsene große Berge der Vorsicht, der Anständigkeit, des Wohlverhaltens und der Anpassung. Das geschieht durch schulische Bildung, durch den Beruf, durch die Einübung von Sozialverhalten.

Haderer: Vor den Zeichnungen eines Fünfjährigen, die er mit Überzeugung gemacht hat, muss jeder Maler kapitulieren. Ich bin Vater von vier mittlerweile erwachsenen Kindern. Wir haben immer versucht, die Kinder ernst zu nehmen und ihnen zuzuhören - auch wenn die Geschichten absurd waren. Das Springen über Grenzen, die Fantasie, die spontanen Wendungen in den Gedanken sind eine Bereicherung. Ich habe die philosophische Kraft von Kindern mit 30 Jahren sehr direkt gespürt. Damals habe ich für die Werbung Plakate gezeichnet. Meine Kinder haben gesagt: Das ist alles schön, was du da machst - aber warum machst du es? Das hat mich dazu gebracht, meinen Job zu wechseln. Wenn du einem Fünfjährigen nicht erklären kannst, warum du etwas machst, machst du wahrscheinlich nichts Gescheites.

STANDARD: Es gibt die These von der Verrohung der Kinder - dass sie immer aggressiver werden und sich gegenseitig mobben. Was denken Sie darüber?

Turrini: Ich bin in den 50er-Jahren auf dem Land aufgewachsen - da ging es brutal zu. Wir haben versucht, einen Frosch mit dem Strohhalm aufzublasen. Allerdings hat auf uns als Jugendliche noch eine Welt gewartet, die Geste der Verweigerung war selbstverständlich, weil man immer einen Job gefunden hat. Meine Tochter ist 28. Und ich sehe, wie ihre Generation kämpft, um in eine Welt zu kommen, die sich ihr als verschlossen präsentiert. Dass die Ich-AGs zunehmen und die Solidarität sinkt, kann man den jungen Menschen nicht anlasten. Wenn sich die ökonomischen Bedingungen brutalisieren, wirkt sich das natürlich auf das Sozialverhalten von Menschen aus.

Haderer: Ich besetze den Begriff des Gehorsams negativ. Brave, angepasste Kinder stacheln mich an. Das wäre die Forderung ans Schulsystem: Dass man die braven und angepassten Kinder nicht positiv besetzt, sondern als das ansieht, was sie sind: auf dem besten Weg, neurotische Erwachsene zu werden. (Lisa Mayr, DER STANDARD, 29.8.2013)