Ein sinnliches Tête-à-tête mit Stein, Bach, Wald und Wiese.

Foto: Andrea Maria Dusl

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Georges Desrues

Pro: Die Natur ist anders
Von Birgit Baumann

Ein märchenhafter Waldweg, nebenan plätschert der Bach. Und dann kommt dir auch schon - nein, nicht Rotkäppchen, aber doch - ein anderer Wanderer entgegen. Klar, man könnte jetzt einfach weitergehen und nichts sagen. Man grüßt ja auch keine Fremden mitten auf der Kärntner Straße.

Die Natur aber ist anders, erst recht wenn man in höher gelegene Regionen kommt. Sie folgt eigenen Gesetzen, und diese besagen: Lass dein Handy zurück, denk nicht an die letzte Quartalsbilanz, konzentriere dich auf das Wesentliche.

Wer wandert, der geht nicht nur vorwärts, sondern gleichzeitig zurück - in eine Welt, die keinen Flachbildschirm, keinen Cola-Automaten und keine Rolltreppe kennt. Es ist ein Ausflug ins gute alte Gestern, wo man nicht gestresst aneinander vorbeihetzt, sondern den Mitmenschen wahrnimmt.

Ein kurzes "Grüß Gott", ein kleines Lächeln unter Gleichgesinnten gehört einfach dazu. Und wenn es zu viel wird, weil alle fünf Minuten jemand kommt, dann bist du sowieso auf dem falschen Wanderweg. 

Kontra: Der Fluch der Etikette
Von Günther Brandstetter

Der Berg ruft und lockt mit seinem Gipfel die Städter in die stille Höh. Nichts wie rauf, entlang verwunschener Pfade durch dichte Wälder und saftige Blumenwiesen. Hier ist der Mensch allein mit der Natur. Hier kriegt die stressgeplagte Seele ihre wohlverdiente Ruh.

Doch halt: "Alles Lug und Trug!", ist man gewillt zurückzurufen. Für ein sinnliches Tête-à-tête mit Stein, Bach, Wald und Wiese bleibt keine Zeit, fordert doch die Etikette des Geistes Kraft.

Er ist bereits zu sehen, der andre Wandersmann. Und siehe da, ein weiterer folgt ihm hinterdrein. Schnell sind die Floskeln bei der Hand - das Angebot an Freundlichkeit sehr breit, fürwahr: Ein erdiges "Berg heil", ein geistreich gehauchtes "Gott zum Gruß" oder ein salopp gesprochenes "Griaß eich" stehen zum Abschuss bereit. Vielleicht lässt auch ein breites "Servaaaas" das Herz des anderen erfreuen? Ach nein, ein niederschwelliges "Hallo" tut's auch. Doch wer grüßt zuerst? Erst Mann, dann Frau und Jung vor Alt? Mein Gott, ist wandern anstrengend. (Rondo, DER STANDARD, 30.8.2013)