27 Kilometer sind kein Lercherlschas. Und am Sonntag um halb acht loslaufen auch nicht. Aber: Dass das Wetter so rasch von Hochsommer auf angenehmen Lauf-Herbst umschalten würde, war nicht wirklich vorherzusehen gewesen - und wenn wir später losgerannt wären, hätten wir die Regenjacken vermutlich nicht bloß spazieren getragen, sondern doch noch gebraucht.

Laufen ist wie das wirkliche Leben: Männer führen die große Klappe. Sie wissen alles - und das sogar aus der Couchperspektive. Sie lästern über Tempo, referieren über Distanzen und schwadronieren über das, worauf es angeblich ankommt - und haben den totalen Durch- und Überblick. Aber wenn es heißt, aus dem Posterschatten in die Wirklichkeit zu treten - dann kneifen sie doch: Drei Herren hatten "aber so was von sicher" zugesagt. Zwei andere prinzipielles Interesse bekundet, aber von vornherein bedauert, dass die Einladung zu kurzfristig und/oder die Strecke zu lang sei. Außerdem sprächen Zeit und Wettervorhersage dagegen.

Foto: Thomas Rottenberg

Die Damen dagegen waren, ohne viele oder große Worte zu machen, zur kühnen und kühlen Tat geschritten: Um 7.30 Uhr Start in der Mitte der Mariahilfer Straße? Check. Und zwar ganz pragmatisch: "Ich weiß nicht, wie weit ich es schaffe - aber wenn du mir sagst, wo ich umdrehen oder abbiegen muss, um höchstens 18 Kilometer zu haben, bin ich dabei", hatte Kathrin gemeint. Und Sandra hielt sich ebenfalls alles offen: "Solange es Spaß macht halt."

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Andere gehen es noch gemütlicher, aber auch viel früher an. Und was der Reiz ihres Tuns ist, verschließt sich mir ebenso, wie vielen anderen unsere Freude am stupide-eintönigen Dahintraben. So what? Abgesehen davon habe ich durch das Herumlaufen gelernt, dass Wien eine Fischereistadt ist. Wo überall gefischt wird, ist für Nichtfischer schwer nachzuvollziehen. Aber da es den wenigsten nur darum geht, ein Staberl übers Wasser zu halten, wird wohl auch hier, am Donaukanal, irgendwas am Haken hängen bleiben.

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Neben den Stadtanglern verdient auch die Sache mit dem Schlafen im öffentlichen Raum eine eingehendere Betrachtung. Irgendwann. Ich selbst stumpfe da ja mittlerweile ab - umso glücklicher bin ich über Begleiterinnen und Begleiter. Die sind immer wieder fasziniert und schockiert, wenn sie sehen, an wie vielen Orten im öffentlichen Raum Menschen übernachten. Müssen. "Die machen das ja wohl nicht aus Spaß und Freude nur im Sommer", sagt Sandra.

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Im Augarten findet heute der Augartenlauf statt. Zwischen 1,5 und 10 Kilometer kann man da in ein paar Stunden laufen. Wir haben jetzt schon sieben in den Beinen - und testen die Strecke, lange bevor die ersten Starter anrücken. Dass Wahlkampf ist, merkt man auch: Auf der Augartenlauf-Homepage wird ausdrücklich auf die SPÖ-Unterstützung hingewiesen. Aber die Genossen laufen derzeit auch. Treppauf, treppab: "Bei mir haben sie gestern an der Tür geklingelt. Ich dachte zuerst, das sind Zeugen Jehovas", sagt Helena. Ich erzähle von der Idee, mit Politikern Wahl-Läufe zu dokumentieren. Die Damen machen "Wäääää!": Wahlwerbehülsenemission wird also wirklich nur noch als Belästigung und Beleidigung des eigenen Intellektes empfunden. Die Idee ist hiermit gestorben.

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"Bist du sicher, dass wir hier herwollen?" Gender & Gegend: Ich wäre mein ganzes Leben nie auf die Idee gekommen, nicht auf Gstätten wie den Wienerberggründen, in den Erdberger Mais oder wie hier auf dem Nordbahnhofgelände herumzut(r)ollen. Und zwar lange bevor diese Regionen der Stadtplanung und Stadtgestaltung anvertraut wurden. Frauen sehen das wohl ein bisschen anders. Aber in der Gruppe geht es. Und lange kann man das Nordbahnhofgelände eh nimmer "erobern".

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Noch so ein Gender- oder eher ein Kinderding? Wenn kein Auto kommt, ist eine rote Fußgängerampel für mich eine recht unverbindliche Empfehlung. Sandra bleibt aber stehen. Immer. Ein Automatismus: "Ich hab' ein Kind. Da gewöhnst du dir das sehr rasch ab." Ja, eh, sobald Kinder in der Nähe sind, stehe ich natürlich auch. "Du weißt, dass wir es nicht eilig haben. Und kurz durchatmen schadet nicht", sagt Helena. Sie sieht Sandra heute zum ersten Mal. Ich war noch nie ein Freund des Begriffs "Frauensolidarität".

Foto: Thomas Rottenberg

Am oberen Ende des Hinteren Heustadlwassers gibt es Straßen und Wege, die es gar nicht gibt. Oder so ähnlich. Den offiziellen Onlinestadtplan der Stadt überfordert die Suche nach Entenweg und Schwanpromenade jedenfalls restlos. "Für mich war es das dann", sagt Kathrin, "ich laufe noch die Runde ums Wasser fertig und dann auf der Hauptallee zum Stadion: Familienbesuch dräut." 18 Kilometer am Sonntagmorgen - eine mehr als respektable Leistung.

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"Dürfen wir hier überhaupt sein", fragen Sandra und Cornelia. So klar ist das nicht: Der Waldweg führte jedenfalls schnurstracks, und ohne über einen Zaun zu leiten oder an einem Verbotsschild vorbeizukommen, auf den Gespann-Übungsplatz. Dass am anderen Ende, wo Reiter und Kutschen von der Lusthaus-Seite hierherkommen, ein recht großes Verbotsschild steht, sieht man ja erst, wenn man wieder hinausläuft. Und: Im Grunde steht auf dem Schild nur, dass das Benutzen der Pferde-Trainingsanlage gebührenpflichtig ist. Für Reiter samt Huftier.

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Weiter ans Ende der Stadt kommen wir - heute - nicht: Rechts von uns liegt der hinterste Zipfel der Galopprennbahn. Links beginnt der Hafen. Und schräg vor uns (knapp nicht im Bild) wird mit Pfeil und Bogen geschossen.

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Über den Donaukanaldamm geht es dann zurück in Richtung Stadt. Der Turm am Horizont markiert die U3-Station Erdberg. "Bis dahin komme ich noch mit", kündigt Sandra an. "Na ja, vorher könntest du eh nicht aussteigen", schmunzelt Cornelia - und lacht dann wegen etwas ganz anderem: Sobald laufende Männergruppen laufender Frauengrüppchen ansichtig werden, kann man zusehen, wie sich bei den Buben Körperspannung und Tempo verändern. Bei mir nicht, betone ich. Helena grinst: "Träum weiter. Ihr habt echt keine Ahnung, wie schlicht ihr oft reagiert und funktioniert."

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Die Stallungen hinter der Freudenau. Bis hierher sind es etwas mehr als 20 Kilometer gewesen. Eine der Damen äußert einen Wunsch: "Kann bitte irgendwer eine Kutsche für uns anspannen? Wir sind nämlich auch Prinzessinnen!"

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Zur Strafe für den Wunsch nach einem rosa Vierspänner mit Glitzer und Blingbling geht es in den Wald. Blair Witch Running. Enge Kurven und Rhythmuswechsel. Normalerweise würde keiner von uns den Unterschied merken - aber mittlerweile sind wir alle etwas ausgelaugt: Am Tag davor haben Cornelia und Helena jeweils rund zehn Kilometer abgespult. Tempointervalle. Bei mir waren es 14. Sandra wird dafür plötzlich schneller: Ihre U-Bahn-Station ist fast schon in Sichtweite.

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Hauptallee. Die letzten drei Kilometer. "Wooohoo! Ihr seid echt gut! Respekt!" Lob kann man immer brauchen. Wenn es noch dazu von Leuten kommt, die wissen, wovon sie reden, tut es doppelt so gut: Den schwarzen Personal-Trainer, der hier regelmäßig wirklich gute Läufer coacht, haben wir heute schon einmal getroffen. Vor gefühlten 500.000 Schritten: Der Mann weiß, was 27 Kilometer für Leute wie uns bedeuten.

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"Schleichts eich!" - "Entschuldigung, wie meinen Sie das?" - "Ihr sollts eich schleichen! Scheiss Reiter!" - "Äh, Sie wissen aber schon, dass das ein Reitweg ist?" - "Ihr seid's doch eh nur Tierquäler!" Die beiden Reiter sind ein bisserl fassungslos: Der Läufer hat sie knapp überholt und tatsächlich dem vorderen Pferd an der vorderen Schulter einen Schubser gegeben. "Was Sie da tun, ist gefährlich!" - "Weichts hoid aus, es Wappla!" Schön zu sehen, dass Vollpfosten immer Vollpfosten sind. Egal ob sie Rad oder Auto fahren - oder zu Fuß unterwegs sind.

Foto: Thomas Rottenberg

27 Kilometer. Das Wetter hat gehalten. Und auch wenn ich mir anfangs blöd vorkam, als ich den Rucksack umschnallte, war das im Nachhinein keine ganz doofe Idee: Die paar Riegel kamen gut an. Und Regenjacken am Buckel fühlen sich besser an als Regenjacken um die Hüfte. Und tragen da auch weniger auf, sagten die Damen. Das "Vor allem, wenn sie wer anderer trägt", verkniff ich mir aber.

Kommenden Sonntag sind 20 Kilometer dran. Ein Kindergeburtstag - aber mit Tempovorgaben.
Übernächsten Sonntag laufen wir aber dann wieder gemeinsam. 30 Kilometer. Die Einladung steht. Treffpunkt ist wieder die Ecke Mahü-Neubaugasse. Ausstiegsoptionen gibt es auch wieder zuhauf. Und da der Sommer vorbei ist, starten wir ein bisserl später. 8.30 Uhr.

Vielleicht trauen sich diesmal ja auch ein paar Männer.

Die Einladung steht:

rotterennt@derStandard.at

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Foto: Thomas Rottenberg