Mit diesem Bild suchte das Innenministerium von Bosnien und Herzegowina nach Naser Kelmendi.

Foto: FBiH Ministry of Interior

Nun ist Denis Stojnić nicht unbedingt jemand, der vor anderen Angst haben muss. Der Ringkämpfer hat ziemlich dicke Oberarme und weiß, wie man Gegner zum Schwitzen bringt. Als ihn allerdings Naser Kelmendi und seine Söhne Elvis und Liridon im Jahr 2005 mit dem Auto verfolgten, zwei Leute ausstiegen und zu schießen begannen, bekam sogar Herr Stojnić Angst. Stojnić zog später seine Aussage gegen die Familie zurück. Die Kelmendis galten auf dem Balkan jahrelang als unantastbar.

Umso größer war die Sensation, als Naser Kelmendi am 5. Mai dieses Jahres im Kosovo verhaftet wurde. Der Druck - vor allem der Amerikaner - war zu groß geworden. US-Präsident Barack Obama hatte am 1. Juni 2012 gegen Kelmendi Sanktionen verhängt, indem er in auf die Liste des sogenannten Kingpin Act setzte und einen entsprechenden Brief an den US-Kongress richtete. Neben Kelmendi wurde damals der Afghane Sayed Wazir Shah und der Mexikaner José Antonio Soto Gastélum von Obama genannt. Der Kingpin Act blockiert jegliches Vermögen und Anteile an Vermögen, die bedeutsamen ausländischen Drogenhändlern gehören oder von ihnen kontrolliert werden und die unter die US-Rechtssprechung fallen. Kelmendi wurde auch aufgrund von Erkenntnissen der CIA in die exklusive Verbrecherkartei aufgenommen.

Dass sich die EU-Justiz jetzt um Kelmendi annimmt, hat durchaus Sinn. Denn Kelmendi ist eine transnationale Figur, er machte auf dem gesamten Balkan Geschäfte. Allerdings konnte oder wollte man ihm nirgendwo das Handwerk legen. Seiner Organisation, der die drei Söhne angehören, werden Mord, Mordversuch, Körperverletzung und illegaler Waffenbesitz vorgeworfen. Die bosnischen Sicherheitsbehörden beschrieben Kelmendi 2008 als den Kopf einer der am besten organisierten kriminellen Gruppen in der Region, als mutmaßlichen Drogen- und Zigarettenschmuggler, Menschenhändler und Geldwäscher. Kelmendi habe ein "kriminelles Imperium" geschaffen: Der Drogenhandel umfasse Lateinamerika, die Türkei, Serbien, Kroatien und andere europäische Länder. Er soll Heroin, Kokain und Essigsäureanhydrid, das man für die Herstellung von Heroin braucht, über den Balkan nach Mittel- und Westeuropa transportiert haben.

"Ich habe nie in meinem Leben etwas mit Drogen zu tun gehabt", behauptete Kelmendi noch vor zwei Jahren in einem TV-Interview. Der gedrungene Mann wirkte damals nicht wie jemand, der fürchtete, gefasst zu werden. Er präsentierte sich als Macho und sprach über "seine Schwächen": Autos und Frauen. "Ich liebe Autos, Luxusautos. Um ehrlich zu sein, daneben liebe ich Frauen", sagte er. Zu Kelmendis Fuhrpark gehört etwa ein Hummer, den man in Albanien zuweilen bei Neureichen zu sehen bekommt. Er besitzt auch einen BMW SUV und einen Audi8. Kelmendi lässt ohnehin kein Klischee eines Mafioso aus: Einer der wichtigsten Vertrauten ist sein Trauzeuge Muhammed Gashi.

Laut Informationen der bosnischen Sicherheitsagentur SIPA soll er in den 1980ern mit dem Schmuggel von Textilien und Gold begonnen haben, dann kamen Benzin, Tabak und Drogen dazu. Während des Kosovo-Kriegs soll Kelmendi auch Waffen geschmuggelt haben. Die Söhne eiferten dem Papa nach. Liridon wurde wegen Amtsmissbrauchs und illegalem Waffenbesitz verurteilt. Elvis muss nach einem Urteil der EU-Rechtsstaatsmission Eulex im Kosovo vom Mai diesen Jahres wegen Mordversuchs für vier Jahre hinter Gitter. 2009 wurde er bereits in Sarajevo wegen gewalttätigen Benehmens zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Naser Kelmendis Halbbruder, Bećir Kelmendi wurde wegen illegalen Waffenbesitzes verurteilt.

Das besondere an Naser Kelmendi ist, dass sein Fall nun im Kosovo untersucht wird und zwar von der Eulex. Es geht allerdings um Verbrechen, die ihm in Bosnien-Herzegowina zu Last gelegt werden. Der Hintergrund: Kelmendi kann nicht nach Sarajevo ausgeliefert werden, weil die politischen Vertreter der bosnischen Serben bisher verhindert haben, dass Bosnien-Herzegowina den Kosovo als unabhängigen Staat anerkennt.

Tatsache ist aber auch, dass Naser Kelmendi in Bosnien-Herzegowina niemals ein Prozess gemacht wurde. Allein im Kanton Sarajevo gab es zwischen 2005 und 2009 zwölf Strafanzeigen gegen Kelmendi und seine Söhne. Doch Kelmendi lief weiterhin frei herum.

Die EU-Staatsanwälte im Kosovo haben nun kurzerhand einen Haftbefehl erlassen, der "auf denselben Vorwürfen beruht, für die er in Bosnien-Herzegowina angeklagt ist". Die Untersuchungshaft wurde vorerst bis 7. September ausgedehnt. "Eulex geht nach kosovarischem Recht vor und hat kein Mandat irgendeinen kosovarischen Staatsbürger auszuliefern", so Eulex-Sprecher Blerim Krasniqi zum STANDARD. "Die Mission kann nur den Kontakt zwischen den relevanten Akteuren unterstützen."

Kelmendi sitzt nun ironischerweise in seiner Heimat im Gefängnis, dort wo seine kriminelle "Karriere"im zarten Alter von 19 Jahren begann. 1976 wurde er in seiner Heimatstadt Peć, albanisch Peja, im Kosovo, der damals zu Jugoslawien gehörte, zu 18 Monaten wegen Mordversuchs verurteilt.

In Bosnien-Herzegowina sorgten Medienberichte über die Verbindungen zwischen Kelmendi und dem berüchtigten ehemaligen Kommandanten von Srebrenica, Naser Orić für Aufsehen. Orić, der bei manchen Bosniaken als "Kriegsheld" gilt, war zwar vom Haager Kriegsverbrechertribunal, wo er wegen Verbrechen gegen serbische Zivilisten angeklagt war, mangels an Beweisen freigesprochen worden, wurde aber 2009 wegen Waffen- und Sprengstoffbesitz verurteilt. Es gibt den Verdacht, wonach Orić durch Schmiergeldzahlungen frühzeitig freigekommen ist.

Doch auch angebliche Verbindungen Kelmendis zu Geschäften des Sicherheitsministers von Bosnien-Herzegowina, Fahrudin Radončić, waren Anlass für zahlreiche Spekulationen. Radončić war Sprecher der bosnischen Armee im Krieg, heute dirigiert er die auflagenstärkste Zeitung des Landes, Dnevni Avaz, durch deren Hilfe seine Partei bei den letzten Wahlen Zugewinne verzeichnen konnte. Der "Donald Trump von Bosnien", wie er genannt wird, betont, dass er niemals etwas mit Kelmendi zu tun gehabt habe.

Das Zentrum für Investigative Berichterstattung (CIN) in Sarajevo berichtete, dass seine Zeitung Dnevni Avaz mit Kelmendi einen Grundstücksdeal in der Nähe von Sarajevo durchgezogen habe und dass Dnevni Avaz ein gepanzertes Auto von Kelmendi gekauft haben soll. CIN ging außerdem der Frage nach, wie es möglich gewesen sein konnte, dass Kelmendi von der Polizei in Sarajevo die Erlaubnis erhielt, Waffen zu besitzen, ebenso seine Söhne. "Die Kelmendis haben das Polizeisystem in Bosnien-Herzegowina genutzt, um das Gesetz zu umgehen und im Wesentlichen, um sich selbst zu bewaffnen", analysierte CIN.

CIN deckte auch auf, dass die Kelmendis gepanzerte Wagen aus den USA importieren ließen, die von der Steuerbehörde in Bosnien-Herzegowina nicht angemessen verzollt wurden. Die bosnische Polizei räumte mittlerweile ein, Fehler gemacht zu haben. "Kelmendi war institutionell geschützt von den Strukturen der Polizei, der Justiz und des Sicherheitsapparates", sagte auch der ehemalige bosnische Sicherheitsminister Sadik Ahmetović, der im Vorjahr seinen Sessel für Radončić räumen musste.

Aber auch in Montenegro hatte sich Kelmendi offenbar gut etabliert. Für sein illegal erbautes Hotel Casa Grande in Ulcinj, bezahlte er 10.000 Euro Strafe, 5.000 Euro spendete er dem Kindergarten "Solidarität" und 5.000 Euro der Volksschule "Marschall Tito". Und gut war es. Eigentlich hätte die Stadtverwaltung das Hotel abreißen müssen, weil keine Genehmigung vorlag. Auch in diesem Fall werden Schmiergelder vermutet.

Kelmendi hatte sich in Montenegro allerdings schon zuvor "verdient" gemacht. Er habe "mit Vergnügen" zur Unabhängigkeit Montenegros, die durch ein Referendum im Jahr 2006 beschlossen wurde, beigetragen, sagte er öffentlich. So habe er etwa "Lobbys und Transporte" organisiert. Finanziell habe er mit "einem normalen Betrag" Hilfe geleistet, räumte er ein. "Es war nichts Besonderes." Was normal für Kelmendi bedeuten könnte, kann man vielleicht erahnen, wenn man bedenkt, dass er laut der SIPA in den Jahren 2005 und 2006 20 Millionen bosnische Mark (also zehn Millionen Euro) an andere verliehen hatte. Die Zinsen lagen bei zehn Prozent. (Adelheid Wölfl, DER STANDARD, 27.8.2013)