Charles Dutoit: "Eigentlich müssen die meisten Musiker emotional motiviert werden."

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Wien - Seinen 70. Geburtstag anno 2006 würdigten deutschsprachige Zeitungen mit Einspaltern: Als den "höchstrangigen Reise-Missionar für französische Musik" bezeichnete die Welt Charles Dutoit und bemerkte eine "ästhetische Unnahbarkeit" in seinen Interpretationen. Als "Global Player" beschrieb die Neue Zürcher Zeitung den im westschweizerischen Lausanne geborenen Musiker, der in Bern seine erste Chefdirigentenposition innehatte, und charakterisierte den Exmann von Pianistin Martha Argerich wie folgt: "Etwas Lässiges geht von ihm aus."

Die FAZ nannte den Mann, der im Lauf seiner Karriere über 150 verschiedene Klangkörper in aller Welt dirigiert haben soll, einen "Orchesterbaumeister" - eine Berufsbezeichnung, die Dutoit vor allem in Bezug auf sein Wirken als künstlerischer Leiter des Orchestre Symphonique de Montréal (1977-2002) verdient; er machte es zu einem der führenden Orchester. Aktuell ist der 76-Jährige Chefdirigent des Londoner Royal Philharmonic Orchestra. Letzten Sonntag gastierte es in Grafenegg.

Dutoit schaut dort diesen Samstag abermals vorbei, und zwar mit dem NHK Symphony Orchestra aus Tokio. Kanada, USA, Fernost und Europa, sieht sich "Global Player" Dutoit als Weltbürger, nach dem halben Jahrhundert seiner Karriere? "Ja", antwortet er schlicht.

Haben die Orchester auf verschiedenen Kontinenten unterschiedliche Charakteristika? "Früher hatten sie tatsächlich sehr unterschiedliche Qualitäten und Eigenschaften", sagt Dutoit. "Mit der Globalisierung sind die Unterschiede weniger geworden. Mit einigen Orchestern, etwa dem Philadelphia Orchestra, verbindet man aber immer noch einen ganz eigenen Klang."

Muss man als Dirigent auf den Musizierstil eines Orchesters eingehen, oder darf man bei der Umsetzung eigener künstlerischer Vorstellungen keine Kompromisse machen? "Ich glaube, dass ein Dirigent einen enormen Einfluss auf den Klang eines Orchesters hat", so Dutoit. Sogar als Gastdirigent könne man da viel bewirken.

Die Japaner sind bekannt für ihre Zurückhaltung. Muss man japanische Musiker besonders motivieren, sich emotional zu öffnen? "Eigentlich müssen die meisten Musiker emotional motiviert werden. Aber die Japaner kennen das klassische Repertoire und musizieren seit fast 100 Jahren mit den größten Dirigenten und Solisten der Welt."

Grafenegg sei eine wundervolle Sache: "Ich war hier schon mehrmals, und ich liebe diesen Ort. Ich bewundere das, was mein Freund Rudolf Buchbinder hier auf die Beine gestellt hat. Es ist toll, hier mit ihm zu musizieren, genauso wie mit Vadim Repin, ein wundervoller Geiger und ein Freund."

In Grafenegg spielt man neben Lalos Symphonie espagnole mit Vadim Repin Hector Berlioz' Symphonie fantastique. Im Anschluss wird Dutoit in Salzburg mit dem NHK Symphony Orchestra und Anna Prohaska ein Auftragswerk der Festspiele uraufführen: Toshio Hosokamas Klage für Sopran und Orchester auf Texten von Georg Trakl.

Dutoit darf auf ein langes Berufsleben zurückblicken. Ist es eine besondere Gnade seines Berufs, mit zunehmendem Alter und Erfahrung gefragter zu werden? "Ich mag die Idee der Pensionierung nicht so besonders, und ich bin froh, einen Beruf auszuüben, wo es das nicht gibt", stellt Dutoit fest. "Es ist mein Bestreben, immer aktiv und wach zu bleiben, ständig auf der Suche nach neuen Dingen und Abenteuern zu sein." (Stefan Ender, DER STANDARD, 24./25.8.2013)