Gerade Zeiten großer Umbrüche schreien nach "proaktiven" Personalentscheidungen, sagt Executive Searcher Günther Tengel. Und er bedauert den Überhang an "reaktiven". Was ihn besorgt? Zerstrittene Führungsteams mit Agenden von Einzelpersonen.

Foto: Amrop Jenewein

STANDARD: Headhunting ist ein in viele Richtungen mystifiziertes Geschäft mit großer Machtzuschreibung und immer wieder mit Verdacht nach Mitspielen im elitären Karussell. Wie transparent und professionell laufen Besetzungen in den obersten Ebenen?

Tengel: Wichtige Personalentscheidungen werden heute deutlich professioneller und damit transparenter begleitet als früher. Aber sie werden nicht selten nach denselben Gesichtspunkten wie vor zehn Jahren getroffen. Nach dem Motto: Cui bono - wem nützt es. Nicht immer dem Unternehmen selbst, sondern einzelnen Entscheidungsträgern. Viel zu oft wird in schnelle, auf der Hand liegende und damit scheinbar sichere Lösungen gegangen. So erklären sich auch manche ewig kreisenden Spitzenmanager in der gleichen Branche. Personalberater scheinen da oft nur zwischengeschaltet zu sein.

STANDARD: Der Vorwurf nach Perpetuierung des Immergleichen, nach Klonen des Systems, trifft also die Personalberater nur teilweise?

Tengel: Entscheidungen werden immer noch von den Eigentümern getroffen. Oftmals werden von Beratern zu wenig intensiv wirkliche Alternativen angeboten. Und die Richtung der Suche stark zu verändern wird oft als zu viel Risiko empfunden - damit wird man leicht Teil des Systems.

STANDARD: Insgesamt sollte es in Zeiten von recht umfassend verfügbaren Daten über mögliche Kandidaten ja gar nicht allzu schwer sein ...

Tengel: Das ist der größte Trugschluss! Es geht nicht primär um Daten, sondern um die Interpretation und Aufbereitung dieser - und damit um die Richtung der Suchstrategie. Unterschiedlich denkende Berater generieren unterschiedliche Shortlists.

STANDARD: Also liegt der Ball vielmehr bei den Auftraggebern?

Tengel: Ja! Nicht immer sind die Besten oder Passendsten jene, die beim direkten Mitbewerb Ähnliches gemacht haben. Damit wird oft nur Bestehendes weitergeschrieben. Aber Quereinsteiger sind auch nicht immer erfolgreich. Stichwort Löscher/Siemens. Wenn die Zeiten unsicherer werden, sollte nicht in Funktion, sondern viel mehr in Herausforderungen und Themen, die anstehen, gedacht werden.

STANDARD: Folgt man dem einstigen Personalvorstand der Deutschen Telekom Thomas Sattelberger, dann versuchen allzu viele Berater, ihren Auftraggebern zu gefallen und Mandate einfach abzuwickeln, statt neue Ideen und Köpfe ins Spiel zu bringen. Entschieden werde dann auf Basis von Chemie und Habitus. Auf der anderen Seite wollen es sich die Auftraggeber mit den Headhuntern ja auch keinesfalls verscherzen, weil sie ja auch Gesuchte sein wollen. Pauschalunterstellungen einer Kumpanei?

Tengel: Ich habe Sattelbergers Kolumne im Manager Magazin auch gelesen. Er greift da natürlich tief in die Kiste der Reizworte. Es wäre schlimm, wenn das pauschal stimmen würde. Tut es nicht. Aber ja, die Systematik wird es hie und da geben. Aber immer weniger. Vor allem, wenn sich Entscheidungsträger von Beratern challengen lassen und von deren Kenntnissen unterschiedlicher Märkte profitieren. Was mir mehr zu denken gibt, sind oftmals zerstrittene Führungscrews, Teams, in denen jeder seine eigene Agenda hat. Das begünstigt natürlich spezielle Allianzen.

STANDARD: Was besorgt Sie noch?

Tengel: Gerade Zeiten großer Umbrüche schreien nach proaktiven Personalentscheidungen. Reaktive sind meist zu wenig. (Karin Bauer, DER STANDARD, 24./25.8.2013)