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Der NSU-Bericht wird an Bundestagspräsident Norbert Lammert (Zweiter von links) übergeben.

Foto: EPA/Jensen

Berlin/München/Ankara - Der NSU-Untersuchungsausschuss des deutschen Bundestags hat sich fraktionsübergreifend auf Konsequenzen aus den Ermittlungspannen bei der Neonazi-Mordserie verständigt. Er übt in seinem Abschlussbericht scharfe Kritik an den Behörden. Der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) sprach von einem systemischen Versagen der Behörden. Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu lobte am Donnerstag das deutsche Vorgehen bei der Aufarbeitung der Verbrechen.

47 Empfehlungen aus dem mehr als tausend Seiten starken Untersuchungsbericht sollen dazu beitragen, ähnlich schwere Behördenfehler künftig zu vermeiden. Der Bericht wurde am Donnerstag Bundestagspräsident Norbert Lammert übergeben. Am 2. September befasst sich das Parlament in einer Sondersitzung damit.

Das Dokument enhält scharfe Kritik an den Ermittlern. So ist dort etwa zu lesen: "Deutlich geworden sind ... schwere behördliche Versäumnisse und Fehler sowie Organisationsmängel bis hin zum Organisationsversagen bei Behörden von Bund und Ländern vor allem bei Informationsaustausch, Analysefähigkeit, Mitarbeiterauswahl und Prioritätensetzung."

Opferangehörige verhört

Dass die Ermittler lange davon ausgingen, dass es sich bei der Mordserie um organisierte Kriminalität handelte, und sie deshalb Telefone und Autos der Opfer überwachten sowie die teilweise minderjährigen Angehörigen kurz nach den Taten verhörten, ohne diesen die Beiziehung einer Vertrasuensperson zu ermöglichen, wird verurteilt. Der Ausschuß äußert den Wunsch, dass in Zukunft in solchen Fällen mögliche rassistische Motive berücksichtigt werden.

"Historisch beispielloses Versagen"

Im Deutschlandradio Kultur sagte der Ausschussvorsitzender Edathy, es müsse nun nach Wegen gesucht werden, damit sich "ein solches massives, historisch beispielloses Behördenversagen" nicht wiederholen könne. Die zahlreichen Ermittlungspannen seien ein "historisch beispielloses Desaster" gewesen, so Edathy bei der Vorstellung des Abschlussberichts in Berlin. "Die Gefährlichkeit militanter Neonazis darf nie wieder unterschätzt werden", sagte Edathy. Zuweilen sei diese Gefahr bagatellisiert worden.

Im ZDF-"Morgenmagazin" forderte Edathy mehr Polizeibeamte mit ausländischen Wurzeln. Nötig sei zudem mehr Sorgfalt bei Aus- und Weiterbildung auch mit Blick auf eine interkulturelle Gesellschaft. Deutlich geworden seien schwere Versäumnisse und Fehler der Behörden sowie Organisationsmängel bis hin zum Organisationsversagen bei Behörden von Bund und Ländern. Die deutsche Polizeigewerkschaft hingegen hatte schon bisher die Hauptverantwortung an der Politik festmacht.

Kritik auch an Politikern

Die Rolle der jeweils zuständigen Innenminister in Bund und Ländern bewertet der Ausschuss kritisch. Vom einstigen deutschen Innenminister Otto Schily (SPD), der nach dem Kölner Nagelbombenschlag schnell von einem Hintergrund aus der organisierten Kriminalität gesprochen hatte, sei nicht dokumentiert, dass er sich für die Hintergründe der bundesweiten Mordserie mit allein sieben Opfern während seiner Amtszeit interessiert hätte. Schilys Nachfolger Wolfgang Schäuble (CDU) habe ebenfalls kein Interesse an den Ermittlungen in der Mordserie gezeigt.

Lob von der Türkei

Der türkische Außenminister Davutoglu dankte der deutschen Regierung nach einem Treffen mit seinem Amtskollegen Guido Westerwelle (FDP) am Donnerstag in Berlin für die "sehr entschlossene und entschiedene Haltung" Deutschlands. "Wir schätzen das sehr", so Davutoglu.

Westerwelle sagte zur Aufarbeitung der Mordserie, diese sei "nicht nur eine wichtige Maßnahme zur Aufklärung nach innen hier in Deutschland, es ist auch ein wichtiges Signal der Vertrauensbildung in die Welt". Terrorismus und Extremismus hätten keinen Platz in Deutschland und würden konsequent verfolgt.

Dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) werden zehn Morde in den Jahren 2000 bis 2007 zur Last gelegt, neun davon an türkisch- und griechischstämmigen Migranten. Polizei und Nachrichtendienste waren der Bande über Jahre nicht auf die Spur gekommen, die Neonazis flogen erst Ende 2011 auf. Zwei der mutmaßlichen Täter haben sich selbst getötet. Weiteren Verdächtigen, darunter Beate Zschäpe, wird derzeit in München der Prozess gemacht. (APA/red, derStandard.at, 22.8.2013)