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Wenn ein Problem ihm schlaflose Nächte bereitet, ist Johann Wassermann ganz in seinem Element. Wassermann ist Professor am Institut für Mechanik und Mechatronik an der Wiener Technischen Universität - und so etwas wie das Paradebeispiel eines Erfinders. Der 59-Jährige hat schon einige Patente in verschiedensten Bereichen angemeldet. "Für Außenstehende mag das befremdlich wirken", sagt er. Doch für ihn ist es etwas Schönes, eine Problemstellung zu erkennen, die ihn so fesselt, dass er Tag und Nacht an nichts anderes denken kann. Die zündende Idee zur Lösung des Problems kommt meistens "ganz plötzlich" und selten am Schreibtisch, sondern eher beim Spazierengehen, Tennisspielen - oder beim Zugfahren.

In der Schnellbahn, auf dem Weg in die Arbeit, hatte Wassermann etwa den entscheidenden Einfall für einen sicheren Transport des Penacho vom Wiener Museum für Völkerkunde nach Mexiko. Der 600 Jahre alte mexikanische Federschmuck, auch bekannt als "Federkrone des Montezuma", ist Gegenstand einer jahrelangen Kontroverse zwischen Mexiko und Österreich, zuletzt wurde eine Leihgabe an Mexiko angedacht. Fraglich war, ob die Vibrationen während des Transports das fragile Federstück beschädigen würden. Aber wie ließ sich herausfinden, welche Vibrationen der Penacho unbeschadet überstehen konnte, ohne ihn Experimenten auszusetzen, die ihn gefährden?

"Eine Idee ist noch lange keine Erfindung"

Wassermann hatte die Idee, die Vibrationen zu messen, denen der Penacho durch die Besucher im Museum für Völkerkunde ausgesetzt war - denn diese hatte er bislang unbeschadet überstanden. Wenn gewährleistet werden kann, dass bei dem Transport keine größeren Vibrationen auftreten, könnte er guten Gewissens transportiert werden. Dies konnte bisher noch nicht gewährleistet werden - denn "dieses Transportmittel wurde bisher noch nicht gefunden", sagt Wassermann.

Je nach Erfindung dauert es unterschiedlich lange bis zum entscheidenden Einfall. Einfache Problemstellungen löst Wassermann in ein paar Stunden, komplexere, mehrteilige Probleme, können ihn mitunter auch jahrelang beschäftigen. Dabei gilt: "Eine Idee allein ist noch lange keine Erfindung", sagt Wassermann. Bevor sie experimentell getestet wird, geht es an die Literaturrecherche - und dann zur Patenteinreichung. Hier widerspricht Wassermann dem Erfinderklischee gemäß Walt Disneys Daniel Düsentrieb. Dieser erfindet um des Erfindens willen, ohne finanzielles Interesse und würde sich nicht um Patentierungen oder Lizenzierungen kümmern. Doch ohne Patent will Wassermann nicht von einer "Erfindung" sprechen - "wenn es das Rad schon gibt, kann es nicht ein zweites Mal erfunden werden", meint er. Um sicherzugehen, dass die Idee weltweit einzigartig ist, schlägt er sich daher gerne auch mit ein wenig "Patentdeutsch" herum.

Neben dem ökonomischen Desinteresse fallen Wassermann noch ein paar andere Erfinderklischees ein, etwa dass die Erfindungen "zwar gut gemeint sind, aber als Ergebnis nur negative Auswirkungen haben", oder dass Erfinder und Erfinderinnen zwar "grundsätzlich genial, aber etwas schusselig sind" - für manche seiner Kollegen würde das teilweise "oder bei manchen sogar im vollen Umfang zutreffen", laut Rückmeldung seiner Kollegen aber kaum für ihn selbst. "Ich versuche ganz bewusst, den Studierenden das Anstreben einer unabdingbaren Kombination aus Freude an der Arbeit und finanziellem Erfolg für das künftige Berufsleben zu vermitteln", sagt Wassermann.

Besonders freut ihn, dass mittlerweile auch sein Sohn "den Reiz an der erfinderischen Tätigkeit entdeckt hat". Er hat kürzlich im Rahmen seiner Dissertation bereits die zweite Patentanmeldung eingeleitet. Auch Wassermanns Tochter hat ihren Weg in die Wissenschaft gefunden: Sie ist Medizinerin.

Doch was braucht es überhaupt zum Erfindertum? Technisches Interesse muss da sein, meint Wassermann, aber vor allem "Enthusiasmus fürs Rätseln". Dieser wäre dem Antrieb, ein Kreuzworträtsel oder Sudoku zu lösen nicht unähnlich, "nur ein anderer Schwierigkeitsgrad". Ein Problem "reizt" ihn dann besonders, "wenn bekannt ist, dass bereits mehrere fachkundige Forscher trotz hohen finanziellen Aufwands noch keine Lösung finden konnten". Eine Umgebung, die Erfindungen begünstigt, ist für ihn eine, die zulässt, "sich Problemstellungen selbst zu suchen" - die Uni ist da-her für ihn das ideale Umfeld, erfinderisch tätig zu werden.

Dabei war sein Weg zur Hochschule unkonventionell: Aufgewachsen als Sohn einer Bauernfamilie im Kärntner Lesachtal, war er "schon als kleiner Bub mit technischen Problemstellungen konfrontiert", etwa beim Service der Landmaschinen oder wenn wieder einmal ein Dieselmotor nicht anspringen wollte.

Doch damit wollte sich Wassermann bald nicht mehr begnügen und suchte nach immer größeren Problemstellungen. Er begann eine Lehre als Rundfunk- und Fernsehtechniker und fand auf dem zweiten Bildungsweg seine Fährte zum Elektrotechnik-Studium an der Technischen Universität Wien. Neben den Erfindungen mit seiner Forschergruppe rund um den mechanischen Energiespeicher "Fly-wheel" gilt Wassermanns erfinderischer Stolz vor allem der sogenannten tribologischen Testmaschine "Tribo" - abgeleitet vom altgriechischen Wort "tribein", das "reiben" bedeutet.

Tribo dient dazu, Reibungsverluste und Verschleiß genauer zu untersuchen, als dies bisher möglich war, nämlich berührungslos über Magnetfelder. Reibung und Verschleiß verursachen Verluste im Ausmaß von zwei bis sieben Prozent der Wertschöpfung eines Landes. In Österreich sind das 5,5 bis acht Milliarden Euro pro Jahr, wobei bis zu rund zwei Milliarden Euro "durch zusätzliche Forschung und konsequente industrielle Umsetzung eingespart werden könnten" - und dazu soll diese Erfindung beitragen.

Sicherheitsskischuh und Mundstückdichtung

Ein weiteres Patent von ihm ist der "Sicherheitsskischuh". Durch eine integrierte Elektronik im Skischuh löst sich die Bindung bei bestimmten Stürzen automatisch. Ein Patent, das er dieses Jahr angemeldet hat, ist die "Mundstückdichtung", mit der er einen bisher nicht berücksichtigten Ansatz für die Optimierung des Luftstroms bei Blasinstrumenten umgesetzt hat. In einem ganz anderen Bereich ist die Erfindung "Wackeldackel" angesiedelt, die Schienenbremsen zuverlässiger macht. Je begeisterter er von seinen Erfindungen erzählt, umso öfter schleichen sich Fachbezeichnungen wie Aktor, Einkopplung oder Normalkraft ein - gewiss nicht, um sein Gegenüber damit zu beeindrucken, sondern weil all diese Worte offenbar Teil seiner Alltagssprache sind.

Warum Erfindernaturen für eine Gesellschaft wichtig sind, "kann jeder für sich selbst nachvollziehen", meint Wassermann. "Wenn es die kreativen Köpfe nicht gäbe, würden wir immer noch in der Höhle und da sogar ohne Kochtopf und Speer leben." Alles, was wir als "Lebensstandard" bezeichnen, geht auf erfinderische Ideen zurück, wobei es aber auch "sehr vieles gibt, was am besten nie erfunden worden wäre", sagt Wassermann, "zum Beispiel die Atombombe".

Er will Erfindungen überlegt eingesetzt wissen, und nur dann, "wenn sie die Lebensqualität verbessern". Zwar habe nicht jede Erfindung die "Innovationskraft einer Dampfmaschine", dennoch stellt sich für Wassermann bei vielen seiner Erfindungen immer wieder dieselbe Beobachtung ein: "Warum ist das noch nicht früher erfunden worden?" (Tanja Traxler, DER STANDARD, INNO, 22.8.2013)