Wolfie Christl von Data Dealer

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Das Konzept klingt verführerisch: Lass ein Projekt deines Unternehmens nicht von einer Bank vorfinanzieren, sondern von den künftigen Kunden. Die Konjunktur von Crowdfunding, dem Sammeln von Geld in einer Community, die sich für eine Projektidee begeistert, zehrt von der Nähe im globalen Dorf. Im Web rücken auch Produzenten und Konsumenten zusammen, um effizienterweise etwas zu schaffen, was tatsächlich gewollt wird. Ob man es tatsächlich braucht, ist, wie bisher, eine andere Frage.

Babylöffel, Garagenband, Film

Von Funktionsunterwäsche bis zu Babylöffeln, von ein paar Stunden Studiozeit für eine Garagenband bis zu drei Millionen Dollar für den neuen Film von Scrubs-Serienstar Zach Braff, der mit keinem etablierten Studio zusammenarbeiten wollte. Gerade bei Musik-, Film- und Computerspielproduktionen ist die Finanzierungsform gang und gäbe: Punkqueen Amanda Palmer wollte 100.000 Dollar und bekam 1,2 Millionen für ein Album. Regisseur Spike Lee (1,25 Millionen) warf man kürzlich vor, zu reich zu sein, um auf Kosten der Fans zu produzieren. Und Videospieleproduzent Chris Roberts sammelte zwei Millionen Dollar, um das Genre der Weltraumsimulationen neu zu beleben.

Crowdfunding-Plattformen, die sich nach Projekten, Zielgruppen oder Örtlichkeit diversifizieren, sprießen aus dem digitalen Boden. Nicht für alle ist es sinnvoll, die bekannteste Plattform Kickstarter zu wählen. Für die E-Paper-Armbanduhr Pebble, die mit iPhones und Android-Handys interagiert, war es sinnvoll: Das Unternehmen wollte 100.000 Dollar, es bekam über 10,2 Millionen - das erfolgreichste Kickstarter-Projekt bisher. Kampagnen sind bei Kickstarter allerdings nur aus den USA, Großbritannien und Kanada möglich. Und die Projekte müssen das erfüllen, was Kickstarter für ein "kreatives Projekt" hält. Die Finanzierung sozialer Anliegen ist damit etwa ausgeschlossen.

"Data Dealer"

Einer, der trotzdem Kickstarter gewählt und den Umweg über die USA genommen hat, ist Wolfie Christl. Er will mit seinem Wiener Entwicklungsteam und mithilfe von 50.000 Dollar Kickstarter-Geld das Online-Spiel "Data Dealer" von einer "rudimentären Demo zu einer Multiplayerversion" machen, erklärt er. "Data Dealer" beschäftigt sich auf satirische Weise mit den Themen Überwachung und Datenschutz und handelt von datenhungrigen Firmen wie "Tracebook" oder "Smoogle". Ziel des Spiels ist, möglichst viele Daten - "legal, illegal, scheißegal" - zu sammeln, um sie an Versicherungen oder Personalabteilungen zu verscherbeln. "Aktuelle Ereignisse wie der Prism-Skandal oder eine Änderung der Facebook Privacy Policy integrieren wir in das Spiel", sagt Christl. "Unser Ziel ist es, einen Spiegel der öffentlichen Debatte zu bieten."

"Data Dealer" ist eines von bisher sehr wenigen Projekten aus Österreich, das erfolgreich eine Kickstarter-Kampagne absolvierte. Ein Filmprojekt der Wiener Künstlergruppe Monochrom schaffte 2012 ebenfalls die 50.000 Dollar. Für Kickstarter und gegen Plattformen wie das österreichische respekt.net oder das deutsche startnext.de haben sich Christl und Co entschieden, weil sie "in internationale Gewässer vordringen" und sich nicht auf eine deutschsprachige Unterstützercommunity beschränken wollten. Außerdem ist für Christl Kickstarter "sehr wohl auch ein PR-Tool", um die Bekanntheit bei potenziellen Spielern, Medien und Investoren zu erhöhen. Die bei den Projektvorgaben weniger restriktive US-Plattform indiegogo.com ist dagegen im deutschsprachigen Raum noch weniger bekannt.

Um genug Unterstützer zu finden, muss die Idee aber zuerst einmal unter die Leute gebracht werden. Seit das Team 2011 nebenbei an "Data Dealer" zu arbeiten begann, erste Förderungen wie von Wiens Departure einheimste und 2013 letztendlich auch einen Preis beim New Yorker "Games for Change"-Award gewann, berichteten von der FAZ bis zur Zeit, von der New York Times bis zur Washington Post und zig weitere internationale Medien über das nicht gewinnorientierte Onlinespiel. Neben Aufmerksamkeit in den großen Medien zu erhaschen, sei es unabdingbar, im Web selbst, in Blogs und auf Twitter, eine Informationslawine auszulösen, sagt Christl. Nach einem Beitrag im US-Techblog Mashable tauchte "Data Dealer" innerhalb von vier Stunden in 1000 Tweets auf. Diese Resonanz sei nicht nur auf das aktuelle Thema Datenschutz zurückzuführen, so Christl. "Es ist vor allem harte Arbeit."

Social-Media-Lawine gehört dazu

Ein "24-Stunden-Job" sei auch die Betreuung der Kickstarter-Kampagne selbst gewesen. Neben der Medienarbeit mussten die für die Schwarmfinanzierung notwendigen Social-Media-Kanäle bedient werden, man musste mit den "backers", also jenen, die sich mit einer Spende beteiligten, kommunizieren, auf Feedback eingehen und die Kampagnenseite mit Updates versehen. Es gab dabei viel zu lernen, wie man es von Anfang an richtig hätte machen können, resümiert Christl. Das Präsentationsvideo sei etwa viel zu lang. Und die Reward-Struktur sollte gut geplant sein, weil bestehende Belohnungen später nicht mehr verändert werden können.

Das Spiel ist insofern ein unübliches Kickstarter-Projekt, weil es ohnehin kostenlos spielbar sein wird und man es nicht als "Reward" anbieten konnte - ein Problem, das es mit Witz zu umschiffen galt. Als kleine Spendenbelohnungen dienen etwa T-Shirts, ein "whistle blower DataWhistler" oder der "LowTecDataEraser[TM] 2.0", ein Kühlschrankmagnet.

Insgesamt haben sich für "Data Dealer" in 27 Tagen 754 "backer" gefunden, ein Betrag von 50.362 Dollar kam zusammen. Etwa die Hälfte der Spenden kommt aus dem deutschsprachigen Raum. Damit gehört das Spiel zu jenen 44 Prozent der Kickstarter-Projekte, die ihr Ziel erreichen. Und kommt man auch auf die Idee, selbst einzuzahlen - was ja eigentlich nicht erlaubt ist? Christl: "Wenn es sich zum Schluss um ein paar Hundert Dollar nicht ausgegangen wäre, hätten wir vielleicht einen Weg gefunden." (Alois Pumhösel, INNO, DER STANDARD, 21.8.2013)