Fließbandarbeit in der Autoindustrie: Wenn Arbeit anfalle, müsse länger gearbeitet werden, fordert die ÖVP. Kritiker fürchten Schäden für Gesundheit und Familie.

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Wien - Die Österreicher sind fleißig. 41,8 Stunden werken Vollzeitbeschäftigte hierzulande im Schnitt pro Woche - innerhalb der 15 "alten" EU-Staaten hackeln nur die Briten länger. Dennoch passen der ÖVP die Arbeitszeiten nicht: Die Bürger sollten zwar nicht mehr, aber flexibler arbeiten.

Im Visier ist dabei die Höchstarbeitszeit. Diese beträgt derzeit 10 Stunden pro Tag. In Ausnahmefällen dürfen es auch zwölf sein, etwa bei "besonderem Arbeitsbedarf". Dafür ist aber eine extra Betriebsvereinbarung nötig.

Die ÖVP und ihre Einflüsterer aus der Wirtschaft wollen Überschreitungen erleichtern, damit die Arbeit in Betrieben dann erledigt werden könne, wenn sie anfällt - etwa bei Großaufträgen. Die Bediensteten sollen die Zusatzstunden ansparen, um sie später als Freizeit einzulösen, statt bei Auftragsflaute Zeit abzusitzen.

"Das derzeitige Korsett ist zu eng", sagt Rolf Gleißner von der Wirtschaftskammer. Schon wenn ein Arbeitgeber einen Mitarbeiter auf Dienstreise von Wien nach Klagenfurt schickt, stehe er rasch "mit einem Fuß im Kriminal. Die zehn Stunden müssen punktuell überschreitbar sein, ohne dass saftige Strafen drohen." Zuschläge würden dafür ohnehin bezahlt werden, betont Gleißner.

Das Arbeitszeitrecht biete schon jetzt viel Spielraum, hält Josef Wöss von der Arbeiterkammer dagegen. Abgesehen davon, dass Zwölf-Stunden-Tage gesundheitsschädlich seien, mache noch mehr Flexibilität ein Familienleben "unplanbar": Ein Unternehmer solle nicht nach Gutdünken diktieren dürfen, dass an einem Tag zwölf und am nächsten vier Stunden gearbeitet werde.

Einseitigkeit zulasten der Arbeitnehmer sieht Wöss erst recht in Kombination mit einem anderen schwarzen Wunsch: Gelockert werden soll auch der Umgang mit dem Überstunden. Diese fallen an, wenn die je nach Kollektivvertrag variierende Normalarbeitszeit - maximal acht Stunden pro Tag und 40 Stunden pro Woche - überschritten wird. Abgelten muss sie der Arbeitgeber mit Zuschlägen von 50 Prozent oder eineinhalbfachem Zeitausgleich. Damit die Kosten bei Auftragsspitzen nicht ins astronomische schießen, haben die Sozialpartner in vielen Kollektivverträgen Durchrechnungszeiträume vereinbart: Kommt insgesamt keine Überschreitung der Arbeitszeit heraus, fallen keine Zuschläge an, auch wenn an Einzeltagen länger als acht Stunden gehackelt wurde.

Die Durchrechnungszeiträume dauern in manchen Verträgen bis zu einem Jahr, doch der ÖVP reicht das nicht: Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner denkt an zwei Jahre. "Eine Lektion aus der Krise" sei die Ausweitung, erläutert der Wirtschaftskämmerer Gleißner. Dadurch könnten Firmen die Arbeitszeit so verteilen, dass sie lange Wirtschaftsflauten ohne Kündigungswelle durchtauchen können.

Geht es nicht vor allem darum, Zuschläge für Überstunden, die bei langer Durchrechnung vielfach wegfallen würden, zu sparen? "Im Arbeitsrecht gibt es nichts gratis," erwidert Gleißner. In sozialpartnerschaftlicher Praxis werde jedes Zugeständnis abgegolten - etwa durch höhere Löhne. Gerade um diese Einflusschance fürchtet aber der Arbeiterkämmerer Wöss: Schließlich hat ÖVP-Chef Michael Spindelegger gefordert, die Flexibilisierung in Betriebsvereinbarungen fixieren zu lassen - und nicht, wie bisher, durch die Sozialpartner in den Kollektivverträgen. Das mache Arbeitnehmer "erpressbar", warnt Wöss.

Mittlerweile hat Spindelegger wieder abgeschwächt. Die Sache ist auch in der ÖVP, durchaus typisch für ihren Wahlkampf, nicht ausdiskutiert. (Gerald John, DER STANDARD, 21.8.2013)