Bisher hat das deutsche Personenstandsrecht darauf gepocht, dass jeder Mensch entweder dem weiblichen oder dem männlichen Geschlecht zugeordnet wird. Künftig soll sich das für intersexuelle Menschen ändern.

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Männlich, weiblich – von allem etwas? Eltern, die sich nach der Geburt ihres Babys diese Frage stellen, müssen ihr Kind in der Geburtsurkunde künftig nicht mehr einer der beiden Kategorien "männlich" oder "weiblich" unterwerfen. Möglich macht dies eine Novelle des Personenstandsgesetzes, die mit 1. November in Kraft tritt.

Intersexuell: Eindeutige Zuordnung nicht möglich

Intersexuelle Babys können biologisch nicht eindeutig einem der beiden Geschlechter zugeordnet werden. Sie haben sichtbare, etwa genitale, oder auch unsichtbare, wie hormonelle und/oder chromosomale Merkmale beider Geschlechter. Oftmals werden Babys mit sichtbaren Merkmalen noch im Säuglingsalter einer geschlechtsanpassenden Operation unterzogen, um sie in die zweigeschlechtliche Dualität zu pressen. Gerade diese Zwangsoperationen, die ohne Zustimmung der Betroffenen meist irreversible "Tatsachen" bei den Genitalien schaffen, haben Intersexuellen-Vertreter_innen immer wieder kritisiert.

Novelle eine "rechtliche Revolution"?

Seit dem Wochenende gibt es zur Novelle eine rege mediale Debatte in Deutschland. Heribert Prantl, der mit seinem Artikel in der "Süddeutschen" die Änderung erst ins öffentliche Bewusstsein gebracht hatte, spricht etwa von einer "rechtlichen Revolution", da bisher jeder Mensch, und deshalb auch intersexuelle Babys, entweder dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zugeordnet werden musste. Künftig können Betroffene, falls sie auch im Erwachsenenalter keine Zuordnung wünschen, ihr ganzes Leben ohne rechtlich definiertes Geschlecht leben.

Bis jetzt gilt diese "Revolution", wenn sie denn eine ist, jedoch ausschließlich für Intersexuelle. Transsexuelle Personen, also Menschen mit eindeutigen biologischen Merkmalen aber mit abweichender Geschlechteridentität, werden von diesem Gesetz ebenso wenig erfasst wie Transgender-Personen. Auch BürgerInnen, die sich aus welchen Gründen auch immer, weder als Mann oder Frau deklarieren wollen, haben von dieser Novelle keinen Nutzen.

Verbände: Eltern-Pflicht abzulehnen

Deutsche Intersexuellen-Verbände monieren außerdem, dass es sich bei der Novelle in Wirklichkeit um eine Verordnung für die Eltern handle. Diese hätten nicht die Wahl, auf eine Geschlechtszuweisung zu verzichten, sondern seien dazu verpflichtet, das Kind als intersexuell auszuweisen. Die Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen Deutschland (OII) warnte deshalb bereits im Februar, dass die Regelung einem Zwangsouting für Intersexuelle gleichkomme, dem viele Eltern aufgrund der Stigmatisierung nicht standhalten könnten. "Die neue Vorschrift könnte potentielle Eltern und Ärzt_innen zusätzlich darin bestärken, ein "uneindeutiges" Kind um jeden Preis zu vermeiden - durch Abtreibung, pränatale "Behandlung" oder sogenannte vereindeutigende chirurgische und/oder hormonelle Eingriffe", heißt es in deren Stellungnahme.

Positive Reaktionen in Österreich

In Österreich ist man selbst von einer solchen Minimal-Regelung noch weit entfernt, weshalb Interessensvertretungen den deutschen Schritt auch eindeutig begrüßen. Eva Fels vom Verein TransX findet es gut, dass Eltern "von dem Druck befreit werden, das Kind schon gleich nach der Geburt einordnen zu müssen". Gabriele Rothuber von der HOSI Salzburg gratulierte in einer Aussendung zu "diesem richtungsweisenden Schritt für Europa". Auch Helmut Graupner vom Rechtskomitee LAMBDA bezeichnete die Regelung als "vorbildlich".

TransX: Nur die Spitze des Eisbergs

Bei näherer Betrachtung äußern die ExpertInnen aber auch Bedenken. Für Fels ist die Novelle "nicht mehr als die Spitze des Eisbergs". Sie weist daraufhin, dass nur bei einer Minderheit der Betroffenen Intersexualität bei der Geburt optisch sichtbar sei. "Die meisten Intersexuellen erfahren erst in der Pubertät davon oder noch später, wenn sie sie zum Beispiel Probleme bei der Familiengründung bekommen." Sie kritisiert, dass viele ÄrztInnen Intersexualität nicht erkennen und damit umgehen können.

Fels ist davon überzeugt: "Der Geschlechtszwang in unserer Gesellschaft ist das Problem". In der Beratung hat sie Teenager kennengelernt, die mit intensiven Hormontherapien belastet werden, weil ihre geschlechtliche Entwicklung von der Norm abweicht. Auch Jurist Helmut Graupner will die Diskussion prinzipiell weiterfassen. "Warum brauchen wir überhaupt noch eine rechtliche Festsetzung des Geschlechts von Menschen?" Initiativen wie die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare, die es in vielen europäischen Ländern bereits gäbe, deuten für Graupner darauf hin, dass die rechtlich relevanten Dimensionen von "Mann" und "Frau" im Schwinden sind.

In der "Bild"-Zeitung nützte man die Diskussion über Intersexuelle für die provokante Frage "Schafft Deutschland die Geschlechter ab?" Ganz offensichtlich ist das nicht das Ansinnen der Novelle. Doch wahr ist auch, dass mit der Änderung in Deutschland erstmals die rechtliche Möglichkeit geschaffen wurde, weder als Mann noch als Frau zu leben. "Die Regelung zeigt, dass es möglich ist und das könnte weitere Maßnahmen in Gang setzen", resümiert Graupner. (Ina Freudenschuß, dieStandard.at, 20.8.2013)