Stefan Plöchinger, Chefredakteur von Sueddeutsche.de.

Foto: süddeutsche zeitung

"Dieses Projekt hat noch einmal klarer gemacht, worauf wir Journalisten uns fokussieren sollten. Nämlich auf die großen Fragen, die die Leute wirklich interessieren": Experiment "Die Recherche" auf Sueddeutsche.de.

Foto: Screenshot, sueddeutsche.de

"'Die Begleiter' als schönes Paket neuer Erzählformen könnte schon eher in einen Exklusiv-Bereich, weil bei dieser Präsentationsart die Leser vielleicht auf den ersten Blick verstehen, warum sie dafür zahlen sollten": Plöchinger über das Projekt von Volontären der "Süddeutschen Zeitung".

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"Jedes Haus will Paid Content versuchen, lieber früher als später", sagt Stefan Plöchinger, Chef von Süddeutsche.de, im derStandard.at-Interview. Das Wort Paywall mag er nicht, er will lieber eine "Kasse für guten Journalismus" statt einer Mauer hinstellen. Mit Paid Content würde auch das alte Argument verschwinden, dass Online Inhalte verschenke. "Spätestens dann müssen sich wirklich alle mit der digitalen Welt versöhnen", so Plöchinger.

Plöchinger über Zusammenlegung von Print- und Onlineredaktionen: "Für mich ist es nicht das Ziel, dass alle alles können und alles machen". Der "Journalismus der eierlegenden Wollmilchsäue" habe noch selten funktioniert. Es werde immer Profis für jeden Bereich geben müssen.

derStandard.at: Autorin Silke Burmester kritisierte zuletzt auf Spiegel Online, dass sie sich von Zeitungen allein gelassen fühlt. Sie würden es nicht schaffen, sie zu überraschen. Wann sind Sie zuletzt von einer Zeitung so richtig überrascht worden?

Plöchinger: Mich überraschen nicht alle Zeitungen, aber die guten Schreiber einiger Zeitungen immer wieder. Nicht zwingend mit exklusiven Nachrichten, aber mit Gedanken, die  ich so noch nie gehört habe.

derStandard.at: Welche Geschichte hat sie in den letzten Tagen oder Wochen so richtig überrascht?

Plöchinger: Der Artikel über Folter und Entführungen durch Beduinen in Ägypten im SZ-Magazin. Das hat mein Bild vom Sinai verändert und in mir viel ausgelöst. Das war originell im besten Sinn.

derStandard.at: Im Juni hat Süddeutsche.de mit "Die Recherche" ein Experiment gestartet, User schlagen Themen vor und liefern Input für die Redaktion. Uns hat überrascht, dass die Leser das Thema Steuergerechtigkeit gewählt haben. Derzeit wird über den Bereich Bildung recherchiert. Wie wird das Experiment angenommen, wie viele User machen mit?

Plöchinger: Zwischen 5.000 und 10.000 beteiligen sich aktiv an diesem Experiment. Spannend ist, dass wohl niemand darauf wetten würde, dass sich Internetuser für Steuern als drängendstes Thema interessieren.

Dieses Projekt hat noch klarer gemacht, worauf wir Journalisten uns fokussieren sollten: auf große Fragen, die die Leute wirklich interessieren. Und nicht darauf, was wir Journalisten nach unseren oft zynischen Journalistenregeln und reinen Klickstatistiken als Interesse vermuten. Wir haben da viel gelernt. Wir sind es ja nicht gewohnt, Leser zu fragen, was sie interessiert, und wenn man es dann mal tut, lernt man zum Beispiel: Sie wissen manchmal besser wie wir selbst, was interessante Teile eines Themas sein könnten.

derStandard.at: Projekte wie "Die Recherche“ kosten Geld. Sie haben sich mit "Handelsblatt", "Die  Zeit“ und "Frankfurter Allgemeine Zeitung" zur Quality Alliance  zusammengeschlossen. Auch um gemeinsam über Paid Content nachzudenken?

Plöchinger: In der Allianz geht es in erster Linie um unsere gemeinsame Anzeigenvermarktung. Gemeinsam höhere Preise verlangen zu können, ist wichtig, weil wir alle keine Ramschanzeigen auf unseren Seiten wollen.

Daneben redet jedes Haus natürlich intern darüber, wie Paid Content klappen kann, aber eine gemeinsame Paid-Content-Offensive? Da wird sich kein Haus ans andere binden, schon weil die Sache komplex ist und technisch überall unterschiedlich funktioniert. Dazu kommt: Jeder Titel ist anders. Jedes Haus muss darum eigene Lösungen finden. Aber klar, jedes Haus will Paid Content versuchen, lieber früher als später.

derStandard.at: Auch wenn Sie nicht über Zeitrahmen sprechen wollen: Wann startet Süddeutsche.de mit Paid Content?

Plöchinger: Wenn wir fertig sind.

derStandard.at: Wann sind Sie fertig?

Plöchinger: So schnell wie möglich. Aber das wird noch dauern. Wir wollen die Leser nicht mit etwas Halbgarem überraschen, denn man hat bei dieser Sache nur einen Schuss. Wir wollen etwas schaffen, das Leser überzeugt und ihnen klarmacht, dass das ihr Geld wert ist. Da nehmen wir uns lieber ein paar Monate mehr Zeit.

derStandard.at: Das klingt nach Start im Frühjahr 2014.

Plöchinger: Der "Spiegel" behauptete neulich: bis Jahresende 2013. Aber dieses Datum-Ratespiel ist Unsinn. Sie werden von mir keine Zahl hören. Wir beeilen uns, aber hier gibt man sich lieber Zeit - wenn es dafür ein richtig überzeugendes Produkt wird.

derStandard.at: Welche Inhalte kommen hinter die Paywall? Welches Modell ist geplant?

Plöchinger: Ich glaube nicht, dass man die bestehenden Modelle so einfach auf den deutschen Markt oder uns übertragen kann. Wir schauen uns deshalb die Elemente aller Modelle an und kombinieren sie für uns, aber wir wollen uns vor allem viel Freiraum zum Experimentieren lassen. Weil wir alle noch nicht wissen, wie ein eher hochpreisiges Paid-Content-Modell in Deutschland für eine Seite wie unsere funktionieren kann.

derStandard.at: Wären Projekte wie "Die Recherche" oder "Die Begleiter" hinter der Paywall?

Plöchinger: "Die Recherche" soll schon vom Konzept her möglichst viele Menschen ansprechen und einbinden, sie für uns einnehmen und ihnen auch klarmachen, wofür wir journalistisch stehen. Da wäre eine Bezahlpflicht für eine Mitmach-Aktion eher unklug.

"Die Begleiter" als schönes Paket neuer Erzählformen könnte schon eher in einen Exklusiv-Bereich, weil bei dieser Präsentationsart die Leser vielleicht auf den ersten Blick verstehen, warum sie dafür zahlen sollten. Aber das muss man ausprobieren.

Ich mag auch das Wort Paywall nicht. Ich sage lieber Leserclub dazu, weil wir keine Mauer hinstellen sollten, sondern eben eine Kasse für guten Journalismus. Paid Content muss sich um Texte drehen, bei denen Lesern völlig klar ist, dass sie das Geld wert sind.

derStandard.at: Sie wollen aus Lesern also Fans machen?

Plöchinger: Ja, und wir  wollen aus sporadischen Lesern regelmäßige Leser machen. Das geht wiederum nur, wenn wir einen sehr guten Job machen. Deshalb ist Qualität im Onlinejournalismus so wichtig. Das ist in der Reichweiteneuphorie der frühen Jahre oft vernachlässigt worden: Wir müssen sehr guten Journalismus bieten, der Leute überzeugt, und nicht Schnellschnellboulevard. Und da wird die Paid-Content-Debatte  für uns Onlinejournalisten zur Verbündeten, weil sie uns aus dem ewigen Narrativ, wir würden nur Zweite-Klasse-Journalismus betreiben, befreien hilft und uns ernsthaft zwingt, sehr guten digitalen Journalismus zu entwickeln.  

derStandard.at: Redakteure tun sich oft schwer mit dem Medienwandel und wollen den Status Quo aufrechterhalten. Wie gehen Sie damit um?

Plöchinger: Wir haben im Haus sicher Kollegen, die nicht genau wissen, wie Online als Medium genau funktioniert. Aber wir haben niemanden, der sagt, Online sei unwichtig. Alle wissen, dass die digitalen Medien wichtiger werden; dass zum Beispiel in der S-Bahn immer mehr Leute auf Smartphones oder Tablets lesen und immer weniger gedruckt. Jeder Redakteur bei uns schreibt zum Beispiel Teaser für die digitale Produktion seiner Geschichte. Das ist natürlich nur eine Kleinigkeit – aber schon dadurch arbeitet wirklich jeder "SZ“-Printkollege auch digital.

Wenn wir nun einen Leserclub einführen, dann arbeiten künftig auch noch alle innerhalb eines Geschäftsmodells, Printler und Onliner. Dann gibt es keine Unterschiede mehr darin, wie wir Geld verdienen. Das alte Argument verschwindet, dass Online Inhalte verschenkt. Spätestens dann müssen sich wirklich alle mit der digitalen Welt versöhnen.

derStandard.at: Wie schätzen Sie das Bezahlmodell der "Bild" ein?

Plöchinger: Die "Bild-Zeitung“ ist so anders als die  "Süddeutsche“. Ich glaube nicht, dass wir davon sehr viel lernen können. Außer vielleicht eine Preisbereitschaft für Infotainment abzulesen – in einer komplett anderen, weniger spitzen Leserschaft als unserer eigenen.

derStandard.at: Den STANDARD beschäftigt derzeit die Zusammenlegung von Print- und Onlineredaktion. Wie sieht die Zusammenarbeit hier bei der "Süddeutschen Zeitung“ aus?

Plöchinger: Bei uns sitzen die großen Ressorts - Politik, Wirtschaft, Sport und die Region München/Bayern - seit langem zusammen. Wir haben einen gemeinsamen Newsroom und die Zusammenarbeit für jedes Ressort einzeln weiterentwickelt, denn jedes funktioniert thematisch anders. Man muss für den Sport andere Lösungen finden als zum Beispiel für München/Bayern.

Deshalb werden wir nicht alles über einen Kamm scheren und uns immer klar machen, dass wir weiterhin zwei unterschiedliche Produkte beliefern. Erstens die Website als  Livemedium, das den Leuten anbietet, sich über alles zu informieren, was jetzt gerade passiert. Und zweitens ein Tagesmedium, das die Menschen eher Lean Back benutzen, um zu erfahren, was heute wirklich wichtig war.

Das sind zwei unterschiedliche, aber sehr häufige Nutzungsmodi: Was jetzt passiert - was wirklich wichtig war. Beide müssen wir exzellent bedienen, gerade wenn man irgendwann dafür Geld verlangen will. Vertieft man die Zusammenarbeit in einem Ressort, darf man keinen der beiden Nutzungsmodi vernachlässigen.

derStandard.at: Die Gefahr bei Zusammenlegungen sehen Sie also darin, dass ein Medium vernachlässigt und mehr Augenmerk auf das andere gelegt wird.

Plöchinger: Das ist eine Gefahr, erzählen zum Beispiel Kollegen großer Medienhäuser, die zu früh zu viel integrieren wollten. Entweder komme Print zu kurz oder Online. Wir verstehen die Sache deshalb als Veränderungsprozess – in dem man versuchen sollte, diese Risiken zu minimieren.

derStandard.at: Schreiben Printjournalisten für Online und umgekehrt?

Plöchinger: Das passiert ständig, und natürlich können wir da noch besser werden. Aber für mich ist es nicht das Ziel, dass alle alles können und alles machen. Wir brauchen sowohl Redakteure, die eine sehr gute Seite Drei schreiben, als auch Leute, die sehr gute Live-Blogs machen. Wenn alle alles machen, haben wir irgendwann für beides nicht mehr genug Expertise. Spezialisierung wird in der Print-Online-Integrationsdebatte gern unterschätzt. Dabei verlangt man ja auch nicht vom Sportredakteur, gute innenpolitische Texte zu schreiben.

Der Journalismus der eierlegenden Wollmilchsäue hat noch selten funktioniert. Es wird immer Profis für jeden Bereich geben müssen. Wichtig ist, dass das Haus in seiner Gesamtheit alle Formen und alle Medien versteht. Planen aber muss ich differenziert, produzieren muss ich für jedes Medium separat, höchstens schreiben kann ich medienübergreifend.

derStandard.at: Inwieweit spielt die unterschiedliche Bezahlung von Print- und Onlinejournalisten bei der Zusammenarbeit eine Rolle?

Plöchinger: Das Thema Bezahlung spielt in unserer Integrationsdebatte keine Rolle. Wir bezahlen Online auf Tarifniveau und in guten Geschäftsjahren wegen unseres Tantiemensystems auch mal etwas mehr. Es gibt  Zielvereinbarungen mit den Mitarbeitern, und die Höhe der Jahresausschüttung hängt von der Zielerfüllung ab.

derStandard.at: Wie muss ich mir Zielerfüllung bei Journalisten vorstellen?

Plöchinger: Zum deutlich kleineren Teil geht es um Wirtschaftskennzahlen, zum deutlich größeren um persönliche Ziele. Wir sprechen darüber, was jeder Mitarbeiter das Jahr über machen und wie er sich weiterentwickeln soll. Jedes Quartal wird darüber beredet. Das fordert uns Chefs fast noch mehr als die Mitarbeiter, weil wir den Kollegen ja helfen müssen, ihre Ziele zu erreichen.

Das ist leider eine Rarität im Journalismus: dass regelmäßig Gespräche mit jeder Mitarbeiterin, mit jedem Mitarbeiter geführt werden, wie sie oder er inhaltlich in seinem Job weiterkommt. An Ende führt das aber zu einer besseren Veränderungskultur in den Redaktionen. (Astrid Ebenführer, derStandard.at. 19.8.2013)