Bild nicht mehr verfügbar.

Die Kluft zwischen besser Gestellten und sozial Schwachen vergrößert sich - das zeigt auch die unterschiedlich hohe Lebenserwartung.

Foto: apa/dpa/Boris Roessler

Alpbach - Der britische Experte Sir Michael Marmot, Leiter des Instituts für Gleichberechtigung im Gesundheitswesen in London, rief in seiner Rede im Rahmen der Alpbacher Gesundheitsgespräche zum Abbau der sozialen Benachteiligungen weltweit auf. - Denn diese sei nach Meinung des Wissenschaftlers der wesentlichste Faktor für Ungleichheit in Sachen Gesundheit.

"Wir haben einen Bericht für das Europa-Büro der WHO gemacht und festgestellt, dass eine Frau in Simbabwe eine durchschnittliche Lebenserwartung von 42 Jahren hat, eine Japanerin hingegen eine von 86 Jahren. Das ist ein Unterschied von 44 Jahren. Wir sind der Meinung, dass man diesen Unterschied binnen einer Generation wegbringen sollte. Mit hundert Milliarden US-Dollar, könnten wir beispielsweise die Lebenssituation in den Slums verbessern, wo rund eine Milliarde Menschen weltweit leben. Aber wir haben elf Billionen US-Dollar ausgegeben, um die Banken zu retten. Dabei könnten wir mit einem Bruchteil davon alle Menschen der Welt mit sauberem Wasser versorgen", so Marmot in seinem Vortrag mit dem Titel "Faire Gesellschaft, gesundes Leben".

Gesundheit vom sozialen Status abhängig

Der britische Epidemiologe gibt zu bedenken, dass "wir die Mittel und das Wissen haben". In Frage stellt er allerdings, ob "wir auch den Willen dazu haben".

Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen ganz klar, dass Gesundheit vom sozialen Status abhängig sei. Marmot führte dazu an, dass die Todesraten und die Anteile von in gesundheitlicher Beeinträchtigung gelebten Lebensjahren zwischen Ländern wie Spanien oder Schweden und beispielsweise Ungarn um das Fünffache auseinanderklaffen. Es käme zwar zu Verbesserungen, doch "die von Beginn an besser Gestellten haben einen größeren Zuwachs an Lebenserwartung im Allgemeinen und gesunder Lebenserwartung im Speziellen, so dass sich die Differenz zu den sozial schwächsten Milieus vergrößert."

Soziale Gerechtigkeit als oberstes Ziel

Diese Beobachtung ziehe sich - so Marmot - durch alle Gesellschaftsschichten: "Die reichsten Menschen leben am längsten und sind am gesündesten." Demnach leben die Wohlhabensten im Durchschnitt zwölf Jahre in einem Status der Invalidität, die Ärmsten hingegen 20 Jahre, betont der Epidemiologe. In Zeiten der Finanzkrise werde die Situation nur noch verschärft: "In manchen osteuropäischen Staaten gibt man pro Kopf 37 Dollar (28 Euro; Anm.) für soziale Hilfe aus. Dort stieg mit drei Prozent mehr Beschäftigungslosigkeit die Suizidrate um rund drei Prozent. In den westeuropäischen Staaten gibt man 150 Dollar (112 Euro; Anm.) pro Kopf für Sozialhilfe aus. Dort erhöhte sich die Suizidrate pro drei Prozent mehr Arbeitslosen um weniger als ein Prozent."

Marmot zufolge seien ohne eine faire Gesellschaft Gesundheit und auch Wohlstand eines Landes nicht zu gewährleisten. Es gehe darum, das soziale Auseinanderfallen der Gesellschaft möglichst zu verhindern und ihre allfälligen Konsequenzen durch Empowerment und Unterstützungsmaßnahmen zu mildern: "Wir brauchen eine Welt, in der soziale Gerechtigkeit ernst genommen wird", so der Experte abschließend.  (APA/red, derStandard.at, 16.8.2013)