Foto: Kent Sheely
Foto: Kent Sheely
Foto: Kent Sheely
Foto: Kent Sheely

Heldentaten, verzweifelte Rückzugsgefechte, aussichtslose Himmelfahrtskommandos: Viele Spieler können beeindruckende Geschichten von ihren Erlebnissen in virtuellen Welten berichten. Besonders wenn man als Spieler nicht nur gegen den meist berechenbaren Computer, sondern online gegen menschliche Mitspieler antritt, können Spiele zum Teil atemberaubende Erlebnisse hervorbringen, die an Dramatik und Spannung jedem Film überlegen sind - vor allem, weil man selbst im Mittelpunkt steht.

Eigentlich, so fiel dem US-amerikanischen Medienkünstler Kent Sheely bei einem Gespräch unter Freunden auf, tauschen Videospielkrieger somit auf ähnliche Weise "Kriegsgeschichten" aus wie Veteranen realer Kriege. "Die Themen und auch die Sprache ähneln sich bei echten Veteranen und Spielern, die von ihren virtuellen Kriegserlebnissen erzählen. Es geht um geteilte Erlebnisse und gemeinsame Erinnerungen - auch wenn die Schlachten an Orten stattgefunden haben, die real nicht existieren."

Zwischen Realität und Virtualität

Kent Sheely beschäftigt sich seit mehreren Jahren künstlerisch mit Computerspielen. Der New Yorker Medienkünstler, der seine Werke bereits international ausgestellt hat, experimentiert im weiten Feld zwischen Spiel und Kunst, zwischen Virtuellem und Realität . Schon lange fasziniert ihn die Wechselwirkung zwischen virtuellem Kriegsspiel und realem Erleben - in seiner Fotoserie "DoD" (2009-2012) etwa zitierte er den legendären Weltkriegsfotografen Robert Capa mit atmosphärischen Schwarzweißfotos aus dem Weltkriegsshooter "Day of Defeat: Source", in "Zappers" stattete er legendäre Filmhelden mit Nintendo-Zappern aus und die Videoserie "Ready for Action" zeigte Actionhelden wie Max Payne beim Warten auf den öffentlichen Nahverkehr - unterlegt mit Geräuschen aus der realen Welt.

"Spiele sind perfekte Werkzeuge, um Kunst zu machen", meint Sheely, und auch sein aktuelles Projekt lebt von der Gegenüberstellung von Realität und Spiel. In seinem Buch "First Person: War Stories from Gamespace" versammelt er Kriegsgeschichten, wie sie User der von ihm eingerichteten und betreuten reddit-Community "Stories of War" im Verlauf der letzten Jahre zusammengetragen haben.

Globale Erlebniskultur

Gemeinsam mit Sheelys beeindruckenden, an reale Kriegsfotografie angelehnten Screenshots ergibt sich in diesem Projekt das Bild einer globalen virtuellen Erlebniskultur - von "Red Orchestra" über "Call of Duty" bis "Day Z" berichten fünfzig Spieler eindrücklich und intensiv von ihren aufregendsten Erlebnissen auf den digitalen Schlachtfeldern. Manche der im Buch versammelten Texte erzählen von glorreichen Siegen, andere von tragischen Niederlagen, von Heldenmut, Verrat, Feigheit und unvergesslichen Momenten heldenhafter Selbstopferung - Erlebnisse, wie sie den Fans kompetitiver Multiplayer-Shooter vertraut sind.

Manche der Berichte lesen sich wie tatsächliche Augenzeugenberichte; bei allen spürt man, dass sie als Erinnerungen in den Köpfen ihrer jeweiligen Spieler lebendig bleiben werden. "Bei spannenden oder gefährlichen Erlebnissen wird im Körper Adrenalin ausgeschüttet, und das eben auch, wenn die Gefahr nur virtuell ist - vielleicht prägen sich auch deshalb diese Spielerfahrungen so lebhaft ein. Wenn man gefährliche Situationen im Spiel  'überlebt', reagiert man eben mit einem großen Gefühl der Erleichterung", versucht sich Sheely an einer Erklärung.

Der falsche Krieg

Was diesen Berichten freilich fehlt, spricht Sheely bereits im Vorwort deutlich und mit impliziter Kritik an: Der Horror und Schrecken des realen Krieges werden auf den virtuellen Schlachtfeldern ausgeblendet; stattdessen ist auch in den Texten des Buches viel die Rede von Ehre, Ruhm und Opferbereitschaft. Dieses Dilemma der verzerrten Darstellung betrifft aber nicht nur interaktive Unterhaltung, wie Sheely aufzeigt: "Spiele sind letztlich genau wie etwa auch Filme Eskapismus und bieten ihrem Publikum Abenteuer und die Möglichkeit, als Held oder zumindest mit dem Helden siegreich zu triumphieren. Das Problem sowohl von Spielen als auch Filmen über den Krieg ist letztlich, dass sie meist nur von einer Konfliktseite erzählen."

"Tod und Töten werden auch in anderen Medien oft dargestellt - aber nur selten werden sie tatsächlich thematisiert, sondern meist heruntergespielt", merkt Sheely kritisch an. "Meiner Ansicht nach ist das Spielen solcher Spiele deshalb nicht per se problematisch - der Unterschied zwischen Realität und Spiel ist für die Spieler selbst sehr klar. Aber ich halte es trotzdem für wichtig, dieses Element der unkritischen Gewaltdarstellung kritisieren zu dürfen, auch wenn man Spiele 'nur' als reine Unterhaltungsprodukte ansieht. Die Ereignisse, die in meinen 'War Stories' beschrieben und nacherzählt werden, mögen nicht real sein - die Erlebnisse der Spieler aber sind es sehr wohl." (Rainer Sigl, derStandard.at, 16.8.2013)

(Video: dust 2 dust)