Ein Vergehen im heimischen Kapitalmarkt ist nur, sich auch erwischen zu lassen. Privatanleger sind nur dann erwünscht, wenn sie nicht stören. Insiderhandel, Kursmanipulation, ungleiche Information von Groß- und Kleinaktionären gelten höchstens als Kavaliersdelikte, so wie Handytelefonieren beim Autofahren. Das ist die Normalität im heimischen Kapitalmarkt.

Internationale Standards der Unternehmensführung stehen bei uns zwar im Corporate-Governance-Kodex, umgesetzt werden sie aber größtenteils nicht.

Kapitalmarktgesetze werden bei uns von den Personen gemacht, die im Anschluss Unternehmen beraten und mit Gutachten beliefern, wie sie diese Gesetze am besten umgehen können. Als tüchtig darf demnach gelten, wer Minderheitsaktionären möglichst viel an (Geld-)Werten weg- nimmt: 15 Prozent Paketabschlag für Privataktionäre bei Übernahmen, praktisch keine Möglichkeit für private Anleger, bei einem Squeeze-out (Hinausdrängen verbliebener Aktionäre) eine Überprüfung zu verlangen, weil das erforderliche Nominale mit 70.000 Euro eine enorme Hürde ist.

Das ist der Alltag im heimischen Kapitalmarkt. Manchmal tauchen spektakuläre Fälle auf, etwa die New-Economy-Pleiten YLine, Libro oder zuletzt die Affäre um Voest- Chef Franz Struzl.

Meistens geht aber alles vollkommen unspektakulär vor sich, gehört zur täglichen Routine, ist Normalität. Etwa dass sich die ÖIAG mit ihren 25-prozentigen Unternehmensanteilen benimmt, als gehöre ihr das gesamte Unternehmen. Dass sie den Kurs der Telekom-Austria-Aktie zum Absturz bringt, indem sie eilige Meldungen über die Agenturen jagt, wonach sich "niemand für die Telekom interessiert". Indem sie eine Anleihe mit guter Verzinsung begibt, sie aber für Privatanleger nicht zugänglich macht. Oder indem ihr Aufsichtsratschef Alfred Heinzel unvermutet kundtut, dass ihm die AUA- Beteiligung "schlaflose Nächte" bereite. Werden Abmachungen hinter dem Rücken der Privataktionäre ruchbar, dann sind "böswillige" Journalisten schuld.

Wie weit das Lippenbekenntnis "Transparenz", "geschätzter Privataktionär" und die Wirklichkeit in Österreich auseinander fallen, zeigt auch der in weiten Stücken ignorante Umgang des Börseneulings BA-CA mit der Corporate Governance: elf statt der geforderten zehn Aufsichtsräte, kein Vertreter des Streubesitzes im Gremium, keine Offenlegung von Einzelgagen, Transaktionen oder Verflechtungen der Führungscrew (speziell Gerhard Randa) mit angeschlossenen Stiftungen (Industrie und Immobilien).

Die Österreicher haben mit ihrer Kapitalmarktnormalität die allerschlechtesten Argumente für den harten Wettkampf um Käufer des internationalen Produktes Aktie. An diesem haben sich ja auch noch nie so viele Konsumenten wie in den vergangenen drei Jahren den Magen verdorben. Die Sensibilität ist also besonders hoch.

Mit dem offenbar zutiefst empfundenen Selbstverständnis, dass Moral, Ethik und Anlegerschutz nicht gar so ernst zu nehmen sind, werden die Unternehmenskapitäne aus den Österreichern niemals selbst vorsorgende Aktionäre machen - da kann der Finanzminister die Wiener Börse noch so fördern.

Fairnesskultur im Kapitalmarkt ist nicht allein via Gesetzesvorgabe zu erreichen. Wenn Lauterkeit kein Bestandteil des Selbstverständnisses der handelnden Personen und damit der Kultur ist, können Theorie und Praxis nicht zusammenkommen. Trotzdem ist erwiesen: Die

Regeln der Corporate Governance müssen aus ihrem angenehmen Empfehlungscharakter in verbindliche Gesetzesbuchstaben umgegossen werden. Privatanleger brauchen einen vereinfachten Zugang zu den Gerichten in Kapitalmarktfragen statt einmal im Jahr ein gutes Hauptversammlungsbuffet. Denn derzeit tragen sie sowohl die Kosten als auch die Beweislast. Viele Vergehen bleiben dadurch wohl unspektakulär und im Rahmen der heimischen Normalität verborgen. (Der Standard, Printausgabe, 31.07.2003)