Das ist kein (!) Symbolbild. Freundlicherweise hat uns Balkansky dieses Foto kostenfrei zur Verfügung gestellt. Prost! Živjeli!

Foto: bogumil balkansky

Endlich ist von Regen die Rede! Doch er bleibt am Festland hängen. Über uns sind nur dünne Wolken, die Sonne heizt die feuchte Luft auf. Obwohl er es versucht, schafft es der Maestral nicht, ein Wind zu werden. Er bleibt eine zeitweilige Briese über der Insel Brač. Wir sitzen auf der Veranda und trinken Whiskey-Cola mit Eiswürfeln und einer Zitronenscheibe: Das taufen wir dann "Snobeskaya".

Das worin wir sitzen, sieht nur aus wie Sessel. Für meine Schwester sind es auch Sessel. Alle sechs. Doch es sind keine Sessel. Ich bin ganz sicher, dass es Dreck aus China ist und in einem Plastikbergwerk gewonnen wird, in das radioaktiv verseuchte Kinder-Sklaven geschickt werden.

Der Sesselgewordene Mediterran

Eines meiner Top-Hits der Fremdwörter ist "Ubiquist". Was Sessel im Mittelmeerraum betrifft, sind diese aufeinander auftürmbaren, aus Guß-spritz-press-und-stanz-plastik gefertigten Norm-Sitzeinheiten "überall vorkommend". Falls Ubiquast überhaupt ein Wort ist. Nun verwende ich es trotz Zweifel, um meiner Freundin wie jeden Sommer, wenn der Nachmittag so heiß ist, das nur noch Snobeskaya hilft, die Historie dieser – hm – Sessel zu erzählen.

Wahr ist, dass wir auf einer Insel sind. Und in einem Dorf, das zu klein ist um andere Geschäfte zu haben, als solche die der Nahrungsmittelbeschaffung dienen. Wer einen Sessel will, muss nach Split. Das ist mühsam, sogar wenn man ein Auto hat. Will man diese Mühe nur einmal erleiden, kauft man nun mal nur ineinander steckbaren Plastikdreck aus China. Punkt. Die zweite Tour nach Split unternimmt meine Schwester um echte Sessel zu kaufen. Davon passen nur vier in ihr Auto. Dafür sind sie aus Stahlrahmen und Hartholz gefertigt. Und sehr bequem. Allerdings kommen diese Sessel in das Obergeschoß. Da wo meine Schwester ihre Pension zu verbringen gedenkt.

So sitzen wir in unseren verschwitzten, leicht radioaktiven Plastikbechern und empfinden so was wie Dankbarkeit. Wir mussten nicht in Split schwitzen und außerdem gibt meine Schwester auch einen zusammensteckbaren Tisch derselben Marke dazu. In der Mitte ist sogar ein Loch für einen Sonnenschirm. Dankbar sind wir auch für die Phantasie, zu der wir angeregt werden. Wir beschreiben einander, wie wir die Veranda einrichten würden, wenn wir ein Auto hätten. Oder auch nur Geld. Und nippen am Snobeskaya.

Dem Himmel nahe

Von sechs Pinien ist heute nur noch eine da. Und vier Zypressen. Zwischen dieser letzten, der Großen Pinie und einer stattlichen Zypresse hängt die Hängematte. Doch man könnte ein Baumhaus dazwischen bauen. Und man müsste nicht einmal nach Split fahren, sondern nur nach Supetar, um alles zu besorgen, das notwendig ist. Vielleicht fährt Ivica, vielleicht Mate, ein Auto ist kein Problem.

Doch unsere Phantasie ist ein Problem. Denn anders als die Hanfschnur und einige Bretter, die in den siebziger Jahren mein Baumhaus auf der Pinie sind, die 1995 von einer heftigen Bura umgeworfen wird, wollen wir so etwas wie ein hängendes Nest bauen. Anfangs ist es noch als Spielstatt für unseren Sohn gedacht. Doch nach weiterem Nippen am Snobeskaya wollen wir Matratzen und einen MP3 Player mit Außenboxen, eine Minibar und einen DVD-Player über den Köpfen. Die Hängematte wäre so was wie ein Balkon und würde aus der Konstruktion ragen, wie ein Rettungsboot.

Da könnte dann einer von uns hängen und ein Auge auf unseren Sohn haben, der unten, in der Lacke, wo einst der Beton für das Haus gemischt wird, mit seinen Booten, den Bienen und den Wespen spielt. Währen der Andere einen Cocktail mischt. Einen Mojito vielleicht.

Planet Plastik

Eine andere Anschaffung meiner Schwester kommt ebenfalls überall im Mediterran vor und wird aus Plastik vorgestanzt: Die "antike" Palmenvase aus "Steingut". Hier dient sie allerdings als Behälter für die Asche aus dem Grill-BBQ-Kamin, der durch ein Missverständnis zwischen meiner Schwester und dem Baumeister zu groß geraten ist, um ein simples Lamm darin zu braten. Eher ein Milchkalb.

Dieser Mangel besteht zu meiner großen Freude. Ich kann nun auf zwei Gradelle (Grillrost) Gemüse und diese zarten Lammstücke von Ciko, dem Farmer von Sutivan, gleichzeitig grillen. Am Abend fülle ich die Asche in die antike Palmenvase, wir trinken Snobeskaya und schlafen auf der Veranda. Bis wir gegen Mitternacht durch den Gestank der schmelzenden Palmenvase geweckt werden. Die zu unserem Entsetzen auch brennt. Gartenschlauch. Ein wenig Action. Alles gut.

Den 20 Meter lange Gartenschlauch einer Qualitätsmarke zu kaufen, erweist sich als gute Plastik-Idee meiner Schwester. Und er kann mehr als Plastikbehälter für Asche löschen. Die einstellbare Düse sprüht uns vom Meerwasser ab. Was ein Ritual ist, das wir mehrmals täglich, völlig nackt und unsichtbar hinter dem dichten Grün des Gartens genießen.

Die Berliner Mauer

Wo keine Blätter unsere Nacktheit verbergen, ist eine hohe Mauer. Sie verläuft entlang der gesamten Straßenseite des Grundstückes, ermöglicht uns erst das nackte Vergnügen und ist daher die beste Idee meiner Schwester! Für unsere Nachbarn allerdings ist diese Mauer ein Ärgernis. Ihr Spitzname: "Die Berliner Mauer". Selbstverständlich bin auch ich empört, wenn die Nachbarn gelegentlich versuchen, mir die Mauer ´reinzuwürgen. Ich sage dann immer: "Wie Recht sie haben, lieber Nachbar! Eine Missgeburt von Mauer! Doch mich hat da keiner gefragt, wissen Sie? Wollen Sie mal einen Snobeskaya probieren?" Und dann schiebe ich alles auf meine Schwester.

Doch heimlich freue ich mich über die Mauer. Als sie noch nicht steht, beschweren sich die Nachbarn, dass ihre halbwüchsigen Töchter das Pipi und die Mumu von Erwachsenen sehen. Nun, da die Mauer da ist, meint eine Nachbarin, der Zaun, der früher hier verläuft, habe einem 16-Jährigen das Leben gerettet. Dieser Mulac sei mit seinem Moped vom Hügel des Hl. Vinzenz herabgerast, habe nicht mehr bremsen können und sei dann doch weich im Zaun gelandet, der nur umgeknickt ist. Auf einer Länge von sieben Metern. Doch bei dieser Betonmauer – so endet die Nachbarin ihre Argumentation - könne man sich glatt den Hals brechen. Ich frage sie nur, ob sie weiß, wann der Vater des Mulac kommt, um den Schaden am Zaun zu bezahlen?

Es ist die Zitronenscheibe

Seit Tagen schlafen wir auf der Veranda. Wir haben die Matratzen aus der ehemaligen Zisterne, die mir von meiner Schwester als Sommerzimmer zugedacht ist, auf ihre Veranda vor der Küche übersiedelt. Ein Mosquitonetz und Omas Palme im Hintergrund machen das Bild tropisch. Nach einem weiteren Schluck Snobeskaya malen wir unserem Sohn mit Kugelschreibern "Tatoos" auf die bronzene Haut.

Dann gehen wir zum Oma-Strand, gleich unterhalb des Hauses. Unser Sohn quietscht in seinem Schwimmreifen weil die Wellen des Maestral, der nun voll einsetzt, ihn hochheben. Alles ist gut.

Und: Snobisch macht den Snobeskaya die Zitronenscheibe. (Bogumil Balkansky, 16.8.2013, daStandard.at)