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Wo diese Frau auftaucht, klicken die Kameras. Mit ihrer bierdeckelgroßen Brille und dem überdimensionalen Schmuck ist Iris Apfel zur Stilikone aufgestiegen. Ein Status, den sie bestens zu vermarkten weiß.

Foto: Reuters/Kena Betancur

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Foto: Archiv von NIka Zupanc

Eine 91-Jährige, die, behängt mit einer türkisfarbenen Federboa und jeder Menge Klimbim bis zu den Ellenbogen, ein ganzes Aufgebot an Anzugträgern aus dem Schmuckbusiness schwachmacht? Das kann nur Iris Apfel sein. Bei einer Schmuckkonferenz in Wien vor einigen Wochen war die Zuhörerschaft jedenfalls nach wenigen Sätzen um den Finger gewickelt. Wie das?

Die dünne New Yorkerin lässt, sobald sie den Mund aufmacht, Alter und Gehstock vergessen. Stattdessen sitzt auf dem Podium ein agiles Bündel faltiger Extravaganz: Auf der Nase balanciert sie eines ihrer übergroßen Hornbrillengestelle, zwei nahezu bierdeckelgroße Gläser. Um Hals und Unterarm hängt eine ganze Schmuckkollektion: "I like to be maximal" ist einer der Sätze, der ihr bei jeder Gelegenheit über die Lippen perlt. Iris Apfel hat es, das maximale Etwas - Alter hin oder her. Ist sie die Vorhut einer zuvor unsichtbaren Generation an Hochbetagten?

Textile Maximierung statt Beauty Doc

Witzig zu sein sei attraktiver, als ständig übers Aussehen nachzudenken, hat sie zuvor im persönlichen Gespräch zum Besten gegeben. Und sie macht - zum Interview sportlich in Jeans unterwegs - klar, dass das auch für ihre Altersgenossinnen gilt: "Frauen sind blöd, wenn sie hinter etwas herlaufen, das sie nicht haben können. Nicht umsonst hat Coco Chanel gesagt: Nichts macht Frauen älter als der verzweifelte Versuch, jung auszusehen." Solcherlei Spitzzüngigkeit mag nicht zuletzt der gelifteten und in Form gesaugten New Yorker Upperclass, in der Iris Apfel und ihr Mann Carl sich seit Jahrzehnten bewegen, gelten.

Dabei ist Apfel ziemlich anders als die diätenden schmallippigen Society-Ladys: Statt die Haut zu straffen und Unschönes wegschnipseln zu lassen, setzt sie auf textile Maximierung, nämlich ganz viel Kostüm plus ein wenig Schminke. Praktischer Nebeneffekt: Das Auge der Betrachter bleibt am bunten Federkleid hängen. Eine reine Altersstrategie? Mitnichten. Apfel war als junge Frau genauso unterwegs: Alte Bilder zeigen sie mit Eulenbrille und einer Menge Schmuck am Körper.

Die zweite, öffentliche Karriere der Iris Apfel, die begann allerdings erst mit Mitte achtzig und ging ziemlich überraschend los. 2005 widmete Harold Koda, der einflussreiche Kurator der Modeabteilung des Metropolitan Museum, den exzentrischen Outfits und Accessoires der leidenschaftlichen Schmucksammlerin, die an der Park Avenue zu Hause ist, eine Ausstellung. Seither hat Apfel keine Ruhe mehr, nicht nur in den USA ist sie bekannt wie ein bunter Hund. Zuletzt zählte sie der britische Guardian in diesem Frühjahr zu den 50 bestgekleideten Menschen über fünfzig.

Selbst Hetero-Männer lieben sie

Sie habe sogar heterosexuelle Männer und Sechsjährige als Fans, berichtet sie. Schuld an ihrer Popularität sind nicht zuletzt die trockenen wie schlagfertigen Kommentarsalven, die sie in Interviews zum Besten gibt: Witzig und unangepasst und gleichermaßen ziemlich unterhaltsam.

Wer nun meint, Iris Apfel funktioniere als altersloses Maskottchen, irrt. Für die, die jünger sind, scheint sie auch Hoffnungsschimmer zu sein: Da ist eine, die der Hysterie um Selbstoptimierung und Faltenreduzierung etwas entgegensetzt - nämlich Persönlichkeit und Charisma. Das mag heute was heißen.

Im Privatfernsehen läuft das "Geschäft mit der Schönheit" in Dauerrotation. Dabei ist die zunehmende Angst vor der Sichtbarkeit des Alters sogar messbar: Die deutsche Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (DGÄPC) stellte im letzten Jahr fest, dass die Altersgruppe der Patienten zwischen 41 und 50 Jahren um fast fünf Prozent zulegte und der Anteil der Patienten über 60 um knapp vier Prozent anstieg. Wenig verwunderlich: Insbesondere weibliche Patientinnen legen sich im höheren Alter unters Messer. Apfels Schönheitsgeheimnis? "Kein Junkfood, nicht zu viel essen, trinken oder rauchen" - das war es auch schon.

Dass Iris Apfel es mit Ende 80 trotzdem zum Gesicht ihrer eigenen MAC-Kosmetik-Linie schaffte, verwundert allerdings schon. Die Beauty-Industrie pflegt bekanntermaßen eine Abneigung gegenüber Falten, Furchen und Krähenfüßen. Aber die Zeiten ändern sich. 2011 wurde eine Lancôme-Werbung mit der 42-jährigen Julia Roberts wegen zu glatt gebügelter Fältchen gestoppt. Das erste hochbetagte Beauty-Model ist Apfel sowieso nicht. Schon 2005 warb Dove mit der 96-jährigen Irene Sinclair, die man in einem Londoner Altersheim für eine Kampagne und die Produkteinführung einer Pflegeserie rekrutierte. In einer Studie, die die Marke damals unter Frauen zwischen 50 und 64 Jahren durchführte, wurde festgestellt: 87 Prozent der Frauen fühlen sich zu jung, um schon als alt abgestempelt zu werden.

Anti-Age ist von gestern

Konsequenz für die Marketingabteilung: Anti-Age ist von gestern, Pflegeserien werden unter der Bezeichnung "Pro Age" verkauft. Die Bedürfnisse der faltigen wie schönheitsbewussten Kundschaft sind schließlich nicht zu unterschätzen. Das erfuhr auch die britische Make-up-Artistin Lisa Eldridge. Normalerweise malt sie eine Kate Moss oder Keira Knighly an, einen Knüller in Sachen Aufmerksamkeit landete sie aber auf Youtube mit einem Video, in dem sie eine 64-jährige Frau schminkt: Mehr als 400.000 Zugriffe hatte die Anleitung bislang.

Und Iris Apfel? Die durfte auf dem Werbeplakat für die Kosmetikmarke MAC die Stirn sogar in Falten legen. Sie muss sich, anders als Julia Roberts, nicht mit den Jungen messen. In ihrem Alter verhelfe ihr sowieso kein Schönheitschirurg mehr zum Aussehen einer Mittzwanzigerin, witzelt sie: "Die Menschen haben solche Angst davor, alt zu werden. Dabei gibt es in Amerika viele Frauen über 60, die eine Menge Geld zum Rauswerfen haben. Niemand kümmert sich darum, stattdessen wird Mode für Zwölfjährige gemacht." Unüberhörbar klingt hier nicht nur Iris Apfels Empörung über die Vernachlässigung der Alten, sondern auch ihr Sinn fürs Geschäftliche durch.

"Geriatrisches Starlet"

Mehr als vierzig Jahre führte sie mit ihrem Mann Carl ein Unternehmen für Wohntextilien, stattete lange das Weiße Haus aus. Und auch heute ist sie durch und durch rüstige Geschäftsfrau. Sie verkauft über den Home-Shopping-Kanal HSN ihre Kollektion Rara Avis. Das ist Latein und heißt übersetzt so viel wie seltener Vogel: Ob käferbesetzte Armreifen oder Uhu-Anstecker, alles ist für unter 100 Dollar erhältlich. Die New Yorkerin will, dass möglichst viele, egal ob jung oder alt, einen Bissen vom Apfel-Universum abbekommen.

Warum auch nicht? Es sind vor allem die Jungen, die die alte Dame zum Star machten. Die Londoner Szenepostille Dazed & Confused hüllte sie im überdimensionalen Mantel von Comme des Garçons und einem Turban auf den Titel, der New Yorker Blogger Ari Seth Cohen, selbst erst Anfang dreißig, liegt ihr schon seit Jahren zu Füßen. Warum aber solch ein Aufstand um eine, die sich selbst als "geriatrisches Starlet" bezeichnet?

Iris Apfel, die ihr Leben lang berufstätig war, mag insbesondere jungen Frauen neue Perspektiven aufzeigen: Selbstverwirklichung macht auch ohne Hautstraffung vor dem ganz hohen Alter nicht halt. Vielleicht gelingt es dem bunten Vogel aus New York ja, nicht nur Botox die Stirn zu bieten. (Anne Feldkamp, Rondo, DER STANDARD, 16.8.2013)