"Mit wundem, blutigem Gesäß auf den Sattel zu steigen, oder sich nach einer täglichen, einstündigen Schlafpause komplett indisponiert zu fragen, wo man ist, worum es geht, warum deine Betreuer von dir fordern, dass du dich wieder aufs Rad setzen sollst", gehört zu den weniger erfreulichen Nebenerscheinungen von Strassers Traumjob.

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Race Around Austria-Veranstalter Michael Nussbaumer: "Am Ende bleibt, wenn alles gut geht, nichts über, kein Minus und kein Plus."

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Strasser: "Wenn du während des Rennens zu rätseln beginnst, wirst du nicht durchkommen."

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Es mag befremdend anmuten, rund 5.000 Kilometer möglichst flott und weitgehend ohne Schlaf mit dem Rad quer durch die USA zu strampeln, dabei 30.000 Höhenmeter zu bewältigen, für das Abenteuer ein 50.000-Euro-Budget zu akquirieren  und selbst als Sieger in Rekordzeit anstelle eines respektablen Preisgelds lediglich ein T-Shirt mit dem Aufdruck "Finisher" zu kassieren.

Zweifacher RAAM-Sieger

Doch Christoph Strasser nimmt diese Strapazen gerne in Kauf ohne masochistisch veranlagt zu sein. Es gebe "einfachere und billigere Möglichkeiten um sich Schmerzen zuzufügen. Es macht mir Spaß, weil ich meinen Traum ausleben kann, auch wenn es während des Rennens abgesehen von einigen schönen Phasen schon beinhart ist", sagt der mittlerweile zweifache Race-Across-America-Sieger, der am Mittwoch auch beim fünften Race Around Austria in St. Georgen in Salzkammergut an den Start gehen wird, im Gespräch mit derStandard.at.

Akribische Vorbereitung

In den acht Monaten Vorbereitungszeit für das Race Across America (RAAM) sitzt der Steirer rund 1.100 Stunden im Sattel und legt dabei mehr als 30.000 Kilometer zurück. Daneben heißt es Gönner finden, mittels selbst organisierter Vorträge Geld verdienen, denn die Sponsoren decken gerade einmal die Kosten für die Rennen.

Mit einem Mentaltrainer werden Schwerpunkte und Ziele definiert, die bevorstehenden Strapazen im Kopf durchgespielt, damit er in der Realität von nichts mehr überrascht werden kann. "Wenn die Schmerzen und die Müdigkeit kommen, muss man die Antwort auf die Frage, warum man sich diesen "Scheiß" antut, wirklich genau wissen. Wenn du während des Rennens zu rätseln beginnst, wirst du nicht durchkommen", weiß Strasser.

Die Motivation komme von einem selbst, von tief drinnen. Der Extremsportler versucht während der Rennen "an die positiven, das Leben verändernden Dinge, die passieren, wenn das Ziel erreicht ist", zu denken. Das hat in den USA blendend funktioniert. Der Rekord von sieben Tagen, 22 Stunden und 52 Minuten beim RAAM war nicht geplant, der sei ihm "als Ergebnis eines guten Rennens einfach passiert".

Körperliche und psychische Leiden

"Mit wundem, blutigem Gesäß auf den Sattel zu steigen, oder sich nach einer täglichen, einstündigen Schlafpause komplett indisponiert zu fragen, wo man ist, worum es geht, warum deine Betreuer von dir fordern, dass du dich wieder aufs Rad setzen sollst", gehört zu den weniger erfreulichen Nebenerscheinungen seines Traumjobs. "Was sich bei Schlafentzug im Kopf abspielt, ist sehr, sehr verwunderlich", sagt der Steirer, der den Teamgeist und die Erfahrung, was der menschliche Körper leisten kann, positiv hervorhebt. Die Schmerzen seien schließlich bald wieder vergessen. So weit, dass er vor Müdigkeit vom Rad fallen würde, kommt es nicht, in kritischen Momenten verordne ein medizinischer Betreuer eine Pause oder gar den Abbruch.

2.200 Kilometer rund um Österreich

Beim Race Around Austria startet Strasser im Teambewerb. Für einen Soloauftritt ist die Regenerationszeit (fünf Monate) nur zwei Monate nach dem RAAM deutlich zu kurz.

Die Strecke führt über 2.200 Kilometer rund um die Alpenrepublik. "Gefahren wird auf den grenznahesten Straßen, die sinnvoll genutzt werden können", wie Veranstalter Michael Nussbaumer im Gespräch mit derStandard.at erklärt. Feldwege sind für die rund 110 startenden Amateure und Halbprofis natürlich kein Thema.

Die Reise durch acht Bundesländer wartet mit einigen knackigen Steigungen wie den 35 Kilometern im Lesachtal, dem Iselsberg, Glockner, Gerlos, Kühtai, Silvretta-Hochalpenstraße, oder den steilen Rampen des Faschina- und Hochtannbergpasses auf. Insgesamt sind Erhebungen im Ausmaß von rund 28.000 Höhenmetern zu meistern.

Nullsummenrechnung

Die Organisation des erstens Rennens 2008 gestaltete sich zunächst ziemlich schwierig, zumal just zu dieser Zeit Bernhard Kohl des Dopings überführt wurde. Da sich die Teilnehmer des Ultraradrennnens mit Abenteuercharakter aber alles selbst organisieren müssen, hat der Veranstalter vergleichsweise weniger (finanzielle) Sorgen als die Organisatoren der Österreich-Tour. "Am Ende bleibt, wenn alles gut geht, nichts über, kein Minus und kein Plus", so Nussbaumer.

Bis zu 800 Betreuer und 250 Begleitfahrzeuge sind bei diesem "extrem langen Einzelzeitfahren" mit dabei. Straßen werden nicht gesperrt. "Stopptafeln sind Stopptafeln. Die zeitlichen Auswirkungen bei einem Halt bleiben ohne Auswirkung zumal es nicht um Sekunden geht. Ein Abstand von einer halben Stunde ist bei einem der letzten Abenteuer Österreichs ohnehin wenig", erklärt Nussbaumer.

GPS-Tracker

Jeder Radfahrer ist mit einem GPS-Tracker ausgestattet, auf racearoundaustria.at können die aktuellen Daten laufend abgerufen werden, was das Mitverfolgen des Rennens nicht nur für Zuschauer entlang der Strecke wesentlich erleichtert.

Das Motto lautet: "Abenteuer, Teamgeist, Navigation, Radfahren". Das vermeintlich Wesentlichste steht deshalb am Schluss, "weil das Projekt ohne Teamgeist und Navigation zum Scheitern verurteilt wäre", so Nussbaumer.

Doping kein Thema

Ein Arzt für Dopingtests wird engagiert, aber "es wäre finanzieller Selbstmord zu dopen, weil eine Epo-Kur rund 20.000 Euro kostet, sagt Nussbaumer. Bei solchen Distanzen relativiere sich das Streben nach dem ersten Platz. Vorrangig sei, selbst etwas zu schaffen, das man sich in den Kopf gesetzt hat. "Denn wer dopt, bescheißt schließlich vor allem sich selbst".

Doping-Unterstellungen nimmt Strasser gelassen auf. Er gebe keinen Anreiz zu dopen, mangels Preisgeld keine wirtschaftliche Motivation, schließlich könne sich auch ein Letztplatzierter gut vermarkten, wenn er es verstehe, ein gutes Buch zu schreiben. Auch physisch ergebe Doping wenig Sinn, während des Rennens sei er durchschnittlich mit 160 Watt unterwegs, das sei auch mit einem Bein zu schaffen.

Vorausgesetzt die Verdauung funktioniert. "Denn nur die Kalorien, die du zuführst und der Körper verarbeiten kann, kannst du auch aufs Pedal bringen", so Strasser. Zu speisen gibt es unterwegs ausschließlich Flüssignahrung. 15.000 Kilokalorien werden pro Tag verbraucht, das entspricht in etwa 30 Wiener Schnitzeln vom Schwein. (Thomas Hirner, derStandard.at, 13.8.2013)