Werner Faymann und Erwin Wurm im Garten des Wiener Volksgartenpavillons: Kanzler und Künstler blieben einander nichts schuldig.

Foto: Standard/Hendrich

"Sie sagen immer, dass Ihnen die kleinen Leute so wichtig sind. Ich seh das aber nicht."

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"Man kann alles beschimpfen. Da gibt es einen Meister der Beschimpfung, der heißt Strache."

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Das sagten Künstler und Kanzler vor dem Treffen über den jeweils anderen.

STANDARD: Herr Wurm, haben Sie das Gefühl, zu viel Steuern zu bezahlen?

Wurm: Ich zahle ja gerne Steuern. Ich glaube, jeder zahlt gerne Steuern, wenn er sieht, dass das Geld vernünftig eingesetzt wird. Das ist leider nicht der Fall. Österreich subventioniert doppelt so viel wie der Rest Europas. Zum Beispiel Eisenbahner, die jetzt mit 54 in Pension gehen können. Es gibt 32.000 Eisenbahner, der Staat muss 5,3 Milliarden zuschießen. Und dann gibt es Leute, die in Kreativberufen arbeiten. Die Gewerbetreibenden werden geschröpft wie nur was: Ein Normalverdiener zahlt 30 Prozent Steuer und 25 Prozent des Einkommens Sozialversicherungsbeiträge. Diejenigen, die ein bissl besser verdienen, zahlen dann insgesamt 75 Prozent Steuer und noch an die Sozialversicherungsanstalt. Da stimmt was nicht. Außerdem zahlt man bei uns den höchsten Steuersatz schon ab 60.000 Euro Jahreseinkommen, in Deutschland erst ab 250.000 Euro.

Faymann: Das war jetzt ein bisserl viel. Fangen wir bei der Bahn an. Die Milliarden, die wir für die Bahn ausgeben, geben wir natürlich nicht aus, weil wir so viel Beschäftigte haben, die wir besonders gut zahlen müssen. Das Teuerste an der Bahn ist die Infrastruktur. Wir sind ein Land, das eine besonders gute Infrastruktur hat. Um auch viele Güter von der Straße auf die Schiene zu verlagern, braucht man mehr als die Milliarden, die genannt wurden. Die Infrastruktur, sowohl Straße als auch Schiene, hat den Unternehmen des Landes enorm geholfen. Man kann sich natürlich über alles lustig machen und die Milliardenbeträge durch die Luft schleudern, aber ich sage Ihnen etwas: Wenn man als Wirtschaftsstandort bestehen will, braucht man eine funktionierende Infrastruktur. Das kann man nicht den Eisenbahnern in die Schuhe schieben.

Wurm: Und die müssen mit 54 in Pension gehen?

Faymann: Nein. Aber das sind verschiedene Dinge. Sie haben das hintereinander so aufgezählt, als würde das zusammengehören. Das eine ist das Pensionsrecht, wo man den Eisenbahnern in einer Zeit, wo man keine bekommen hat ...

Wurm: Das ist vorbei.

Faymann: Richtig. Das Eisenbahnerrecht, das Sie beschreiben, ist auch vorbei. Und die, die jetzt in Pension gehen ...

Wurm: ... gehen noch immer mit 54.

Faymann: Die, die damals aufgenommen wurden. Aber doch nicht die, die jetzt aufgenommen werden. Man kann alle Menschen beschimpfen. Man kann die Eisenbahner beschimpfen. Man kann die Künstler beschimpfen. Da gibt' s viele Menschen, die tun das aus Leidenschaft.

Wurm: Ich weiß. Aber für Künstler wurde in Ihrer Regierung nichts gemacht, weder was das Arbeitslosenrecht, die Sozialabgaben, die Frauen in der Kunst oder das Urheberrecht betrifft.

Faymann: Künstler! Da gibt es viele, die sagen, das ist hinausgeschmissenes Geld. Ich finde das nicht. Man kann in dem Land alles beschimpfen. Da gibt's einen Meister des Beschimpfens, der heißt Strache, der kann das besser als wir zwei miteinander. Und daher möchte ich das nicht so vermischen. Jawohl, die Eisenbahner sind nach dem Krieg zur Bahn gekommen, in den 60er-, 70er-Jahren, als in der Privatwirtschaft viel mehr gezahlt wurde. Damals hat der Staat gesagt, passts auf, ihr kriegts a bissl weniger, aber dafür eine dicke Pension. Dann haben wir zu lange gebraucht für den Übergang. Das gilt auch für andere Bereiche des Pensionsrechts. Natürlich kann man das Steuergeld effizienter einsetzen, wir arbeiten ständig daran. Verbesserungsbedarf bei der Verwaltung ist eine tägliche Aufgabe. Wer sagt, die hat er abgeschlossen, der lügt.

STANDARD: Sie propagieren im Wahlkampf die Millionärssteuer. Ich zähle Wurm auch zu den wohlhabenden Menschen ...

Wurm: Überschätzen Sie mich nicht! Allerdings glaube ich nicht, dass sie mit der Millionärssteuer viel einnehmen werden. Ich sehe das eher als Neidkampagne der SPÖ, gegen Menschen die es in diesem Land aus eigenständiger Leistung zu etwas gebracht haben. Es scheint, dass Leistung vielen in diesem Land suspekt ist.

Faymann: Sie zahlen wahrscheinlich mehr Steuern als so mancher Superreiche.

STANDARD: Wurm verdient sein Geld allerdings nicht mit dem Zuwachs aus einem Immobilienvermögen, sondern mit seiner Arbeit und seiner Kunst. Wie kommt er dazu, eine "Millionärssteuer" zu zahlen?

Faymann: Wir würden gerne eine Erbschafts- und Schenkungssteuer wie in Deutschland einführen. Fast alle Länder Europas haben eine Erbschafts- und Schenkungssteuer. Derzeit ist es so, dass jemand, der etwas vererbt oder verschenkt, das über eine Million Euro wert ist, gar nichts zu zahlen hat. Wir sagen, dass da ein kleiner Beitrag abzuführen ist. Unter einer Million reden wir gar nicht, über einer Million wäre das vorstellbar. Wenn Herr Wurm über eine Million Euro verschenken würde, dann trifft ihn unser Programm, das wir für die nächste Periode verhandeln werden. Bei der Steuerbetrugsbekämpfung werde ich Herrn Wurm nicht treffen, ich gehe davon aus, er zahlt seine Steuern. Bei der Trockenlegung von Steueroasen werde ich ihn nicht treffen, bei meiner wichtigsten Steuer, von der ich rede, der Bankenabgabe und der Verlängerung der 750 Millionen Euro pro Jahr, werde ich ihn auch nicht treffen.

Wurm: Für die Bankenabgabe bin ich auch. Allerdings erstaunt mich, dass die Regierung das Scheitern der Hypo Alpe Adria so großzügig belohnt hat.

Faymann: Für die Bankenabgabe habe ich aber keine Zustimmung des Koalitionspartners. Wenn ich bei drei von vier Maßnahmen Ihre Zustimmung habe, ist das schon besser als mit meinem Partner.

Wurm: Sie sagen immer, dass Ihnen die kleinen Leute so wichtig sind. Ich seh das aber nicht. Ich habe Mitarbeiter angestellt, da zahle ich einer Person 4600 Euro im Monat. So viel kostet sie mich. Die kriegt 2000 Euro heraus. 2600 Euro verschwinden, schluckt der Staat, die Sozialversicherung und so weiter. Ich hätte gerne, dass sich da was verschiebt. Dass die Bevölkerung wirklich mehr bekommt von dem, was sie arbeitet.

Faymann: Das sagt ja meine Partei! Dass die unteren Einkommen entlastet werden sollen, dass die Arbeitskosten sinken. Darum sind wir für verstärkte Betrugsbekämpfung, für eine Bankenabgabe, eine Finanztransaktionssteuer, diese Millionärsabgabe. Weil nur weniger einnehmen ist kein Programm. Wir brauchen eine Reform, die Arbeitskosten gehören runter. Aber wir können nicht sagen: Oben machen wir nichts, unten entlasten wir. Wir müssen etwas für die Beschäftigung tun, wir brauchen mehr Geld für die Spitäler, wir brauchen mehr Geld für die Pflege, wir brauchen mindestens so viel Geld für die Forschung, wir brauchen mehr Geld für die Bildung. Aber die ÖVP ist gegen all das: Die Verlängerung der Bankenabgabe neben der Finanztransaktionssteuer darf nicht sein. Die Millionärsabgabe darf nicht sein. Die Erbschaftssteuer darf nicht sein.

STANDARD: Sie haben aber nicht nur in der ÖVP einen Gegner, Sie haben auch in der Beamtengewerkschaft einen starken Gegner.

Faymann: Wir haben in der Schule eh eine Menge zu tun und eine Menge Ärger und Probleme. Das merken Sie ja auch, welchen Ärger wir mit Neugebauer und den Reformen haben.

Wurm: Da lassen Sie sich vorführen.

Faymann: Ich lasse mich nicht vorführen. Aber in der Demokratie geht es darum, dass man einen Beschluss im Parlament braucht. Und um diesen Beschluss zu bekommen, muss man den Koalitionspartner überzeugen. Ich bin jetzt dafür, dass wir jetzt einmal ins Parlament gehen und dort ein Gesetz beschließen.

STANDARD: Auch ohne Koalitionspartner und gegen die Gewerkschaft?

Faymann: Nicht ohne Koalitionspartner, aber zur Not ohne Zustimmung des Herrn Neugebauer. Man kann doch nicht jemandem wie dem Herrn Neugebauer ausrichten, man wird nie etwas machen, solange er nicht will. Wir haben wirklich lange und ernsthaft und respektvoll verhandelt. Aber irgendwann muss man ins Parlament gehen und einfach abstimmen. Es kann nicht sein, dass der Herr Neugebauer entscheidet, Daumen rauf oder runter. In dieser Rolle will ich ihn nicht haben.

STANDARD: Sie wissen aber auch, dass Sie Ihren Koalitionspartner dazu brauchen, oder?

Faymann: Wir haben uns jetzt angenähert. Wir überlegen, ob wir ein Gesetz in Begutachtung schicken. Ich setze mich sehr dafür ein, dass wir einmal diesen Schritt gehen und das Gesetz einbringen.

Wurm: Das finde ich sehr gut. Wir wissen, dass unsere Lehrer weltweit das zweithöchste Gehalt beziehen mit dem zweitniedrigsten Stundenaufkommen. Das gehört verändert zum Besten unserer Kinder. Aber ich habe den Eindruck, dass die Beamtengewerkschaft die Regierung vor sich hertreibt. Da müsst ihr was machen.

Faymann: Nicht einmal innerhalb der Lehrergewerkschaft gibt es eine Gesamtblockade. Da gibt's welche, die haben mittlerweile gesagt, wenn wir den Kompromiss nicht nehmen, sollten wir uns am besten auflösen.

STANDARD: Und warum schaffen Sie es dann nicht, sich durchzusetzen?

Faymann: Wir haben wirklich intensiv mit der Gewerkschaft verhandelt. Es geht nur um neue Verträge, nicht um die bestehenden, und die Neuen dürfen sich fünf Jahre aussuchen, ob sie im alten oder im neuen Vertrag tätig sein wollen. Also, mehr kann man nimmer machen. Daher finde ich, dass wir bei den Zugeständnissen sehr weit gegangen sind. Für mich muss jetzt ein Ende absehbar sein. Ich bin dafür, dass man jetzt, noch vor der Wahl, einen Schritt setzt und noch in diesem Jahr die Gesetze beschließt.

STANDARD: Auch ohne Gewerkschaft?

Faymann: Ich kann dem Herrn Neugebauer nicht die Karte in die Hand geben, dass nichts passiert, wenn er das nicht will. Herr Neugebauer kann nicht über die Bildung der nächsten 20 Jahre befinden.

STANDARD: Was sagt Ihr Koalitionspartner dazu?

Faymann: Der verhandelt mit uns intensiv, ob wir ein Gesetz in Begutachtung schicken. Das wäre ein Schritt.

STANDARD: Und wie geht das aus?

Faymann: Ich bin ein Optimist, ich glaube, die ÖVP wird mitgehen.

Wurm: Ich wollte Ihnen noch einen Tausch vorschlagen: Falls Sie wieder zum Bundeskanzler gewählt werden sollten, übernehme ich die nächsten drei Jahre Ihr Amt, und Sie werden dafür Gewerbetreibender, damit Sie einmal sehen, wo die Probleme liegen.

Faymann: Ich habe das Gefühl, wenn wir beide in einer für uns ungeeigneten Position tätig sind, ist das für alle schlecht. (Michael Völker, DER STANDARD, 10.8.2013)